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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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und stehlen sich in das stille Haus des Traumes. Sie offnen die Thüren, sie
sehen ans den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken sich im
Schlaf, die Lippen murmeln. -- Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum,
sind wir nicht Nachtwandler n. s. w. . . Die Sünde ist im Gedanken. --" --
Das ist zu fein subtilisirt für die dramatische Gestalt, obgleich an sich, anch psy¬
chologisch, nicht unwahr.

Wir kommen jetzt an die ethische Seite des Dramas. -- Ans jeden Unbe¬
fangenen macht es den Eindruck, daß die Revolution etwas Entsetzliches nud
VerabscheuungSwürdiges sei. Auch in den Briefen an seiue Braut, die gerade
in dieser Zeit sehr trübe siud, spricht sich dieser Eindruck aus. "Ich studirte die
Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen
Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche
Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen
und Keinem verliehen. Der Einzelne nur-Schaum auf der Welle, die Größe ein
bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen
gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmög¬
lich. -- Ich gewöhnte mein Auge aus Blut. Aber ich bin kein Guillotinemesser.
Das muß ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft
worden. Der Ausspruch: es muß ja Aergerniß kommen, aber wehe dem, durch
den es kommt, ist schauderhaft. Ich mag dem Gedanken nicht weiter nach¬
gehen." --

Und in dieser Stimmung stand er an der Spitze einer ziemlich
verbreiteten geheimen Gesellschaft, welche Brandpamphlete in
die Hütten des Volks schleuderte, um einen Krieg der Armen
gegen die Reichen zu erregen. Er theilte uicht die Illusionen des ehema¬
ligen Liberalismus, das Volk für blos politische Ideen in Bewegung setzen zu
können. "Für die große Classe, schreibt er uoch Ende 1836 an Gutzkow, giebt
es nur zwei Hebel, materielles Elend und religiöser Fanatismus. Jede
Partei, welche diese Hebel anzusetzen versteht, wird siegen. Unsere Zeit braucht
Eisen und Brod -- und dann ein Kreuz oder sonst so was. Ich glaube, man muß
in socialen Dingen von einem absoluten Rechtsgrundsatz ausgehen, die Bildung
eines neuen geistigen Lebens im Volke suchen, und die abgelebte moderne
Gesellschaft zum Teufel gehen lassen. Zu was soll ein Ding, wie diese, zwischen
Himmel und Erde herumlaufen? Das ganze Leben derselben besteht nnr in
Versuchen, sich die entsetzlichste Langeweile zu vertreiben. Sie mag aussterben,
das ist das einzig Neue, was sie noch erleben kann." -- Die eigne Stimmung
wird der Gesellschaft imputirt.

Schlug ihm nicht das Gewissen, jenes Gewissen, das er in Danton mit so
tiefer Empfindung nachgefühlt? -- Die Sache war arg genug. Wir können aus
den mitgetheilten Fragmenten, namentlich dem "Landboten" (von Büchner verfaßt,


und stehlen sich in das stille Haus des Traumes. Sie offnen die Thüren, sie
sehen ans den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken sich im
Schlaf, die Lippen murmeln. — Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum,
sind wir nicht Nachtwandler n. s. w. . . Die Sünde ist im Gedanken. —" —
Das ist zu fein subtilisirt für die dramatische Gestalt, obgleich an sich, anch psy¬
chologisch, nicht unwahr.

Wir kommen jetzt an die ethische Seite des Dramas. — Ans jeden Unbe¬
fangenen macht es den Eindruck, daß die Revolution etwas Entsetzliches nud
VerabscheuungSwürdiges sei. Auch in den Briefen an seiue Braut, die gerade
in dieser Zeit sehr trübe siud, spricht sich dieser Eindruck aus. „Ich studirte die
Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen
Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche
Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen
und Keinem verliehen. Der Einzelne nur-Schaum auf der Welle, die Größe ein
bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen
gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmög¬
lich. — Ich gewöhnte mein Auge aus Blut. Aber ich bin kein Guillotinemesser.
Das muß ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft
worden. Der Ausspruch: es muß ja Aergerniß kommen, aber wehe dem, durch
den es kommt, ist schauderhaft. Ich mag dem Gedanken nicht weiter nach¬
gehen." —

Und in dieser Stimmung stand er an der Spitze einer ziemlich
verbreiteten geheimen Gesellschaft, welche Brandpamphlete in
die Hütten des Volks schleuderte, um einen Krieg der Armen
gegen die Reichen zu erregen. Er theilte uicht die Illusionen des ehema¬
ligen Liberalismus, das Volk für blos politische Ideen in Bewegung setzen zu
können. „Für die große Classe, schreibt er uoch Ende 1836 an Gutzkow, giebt
es nur zwei Hebel, materielles Elend und religiöser Fanatismus. Jede
Partei, welche diese Hebel anzusetzen versteht, wird siegen. Unsere Zeit braucht
Eisen und Brod — und dann ein Kreuz oder sonst so was. Ich glaube, man muß
in socialen Dingen von einem absoluten Rechtsgrundsatz ausgehen, die Bildung
eines neuen geistigen Lebens im Volke suchen, und die abgelebte moderne
Gesellschaft zum Teufel gehen lassen. Zu was soll ein Ding, wie diese, zwischen
Himmel und Erde herumlaufen? Das ganze Leben derselben besteht nnr in
Versuchen, sich die entsetzlichste Langeweile zu vertreiben. Sie mag aussterben,
das ist das einzig Neue, was sie noch erleben kann." — Die eigne Stimmung
wird der Gesellschaft imputirt.

Schlug ihm nicht das Gewissen, jenes Gewissen, das er in Danton mit so
tiefer Empfindung nachgefühlt? — Die Sache war arg genug. Wir können aus
den mitgetheilten Fragmenten, namentlich dem „Landboten" (von Büchner verfaßt,


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[0139] und stehlen sich in das stille Haus des Traumes. Sie offnen die Thüren, sie sehen ans den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken sich im Schlaf, die Lippen murmeln. — Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum, sind wir nicht Nachtwandler n. s. w. . . Die Sünde ist im Gedanken. —" — Das ist zu fein subtilisirt für die dramatische Gestalt, obgleich an sich, anch psy¬ chologisch, nicht unwahr. Wir kommen jetzt an die ethische Seite des Dramas. — Ans jeden Unbe¬ fangenen macht es den Eindruck, daß die Revolution etwas Entsetzliches nud VerabscheuungSwürdiges sei. Auch in den Briefen an seiue Braut, die gerade in dieser Zeit sehr trübe siud, spricht sich dieser Eindruck aus. „Ich studirte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur-Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmög¬ lich. — Ich gewöhnte mein Auge aus Blut. Aber ich bin kein Guillotinemesser. Das muß ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft worden. Der Ausspruch: es muß ja Aergerniß kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, ist schauderhaft. Ich mag dem Gedanken nicht weiter nach¬ gehen." — Und in dieser Stimmung stand er an der Spitze einer ziemlich verbreiteten geheimen Gesellschaft, welche Brandpamphlete in die Hütten des Volks schleuderte, um einen Krieg der Armen gegen die Reichen zu erregen. Er theilte uicht die Illusionen des ehema¬ ligen Liberalismus, das Volk für blos politische Ideen in Bewegung setzen zu können. „Für die große Classe, schreibt er uoch Ende 1836 an Gutzkow, giebt es nur zwei Hebel, materielles Elend und religiöser Fanatismus. Jede Partei, welche diese Hebel anzusetzen versteht, wird siegen. Unsere Zeit braucht Eisen und Brod — und dann ein Kreuz oder sonst so was. Ich glaube, man muß in socialen Dingen von einem absoluten Rechtsgrundsatz ausgehen, die Bildung eines neuen geistigen Lebens im Volke suchen, und die abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel gehen lassen. Zu was soll ein Ding, wie diese, zwischen Himmel und Erde herumlaufen? Das ganze Leben derselben besteht nnr in Versuchen, sich die entsetzlichste Langeweile zu vertreiben. Sie mag aussterben, das ist das einzig Neue, was sie noch erleben kann." — Die eigne Stimmung wird der Gesellschaft imputirt. Schlug ihm nicht das Gewissen, jenes Gewissen, das er in Danton mit so tiefer Empfindung nachgefühlt? — Die Sache war arg genug. Wir können aus den mitgetheilten Fragmenten, namentlich dem „Landboten" (von Büchner verfaßt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/139>, abgerufen am 04.07.2024.