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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Aber Danton ist eine wirkliche Gestalt von Fleisch und Blut. Ein Hamlet
mit einer Vorgeschichte, und das ist ein wesentlicher Fortschritt. Er hat sich im
Vollgefühl seiner Kraft in die Revolution eingelassen, aber das Blut, das er selber
und Andere vergossen, hat ihm Ekel gemacht; er sucht sich in sinnlichen Ausschwei¬
fungen zu betäuben, aber die Stimme seines Gewissens läßt sich immer von Neuem
hören; er hofft mitunter, daß mit dem Tode Alles zu Ende sein wird, nud doch
scheut er wieder den Tod, und doch ist er wieder zu schlaff, einen Schritt zu thun,
um seinem Verderben zu entgehn. "Das ist sehr langweilig", sagt er zu Camille,
als dieser ihn treibt, "immer das Hemd zuerst und dann die Hosen darüber zu
ziehen und des Abends in's Bett und Morgens wieder heraus zu kriechen, und
einen Fuß immer so vor den andern zu setzen, da ist gar kein Absehen, wie es
anders werden soll. Das ist sehr traurig, und daß Millionen es schon so gemacht
haben, nud daß Millionen es wieder so machen werden, und daß wir noch oben¬
drein ans zwei Hälften bestehen, die beide das Nämliche thun, so daß Alles doppelt
geschieht, das ist sehr traurig." -- Das ist ganz Leonce. Du sprichst in einem
kindischen Tone, bemerkt Camille. -- "Sterbende werden kindisch... Es war
mir zuletzt langweilig, immer im nämlichen Rocke herumzulaufen, und die nämlichen
Falten zu ziehen. Das ist erbärmlich. So ein armseliges Instrument zu sein,
auf dem die Saite immer nur einen Ton angibt. Ich wollte mir's bequem machen.
Ich hab' es erreicht, die Revolution setzt mich in Ruhe, aber auf andere Weise,
als ich dachte." -- Und Frankreich bleibt seinen Henkern? -- "Was liegt daran?
Die Leute befinden sich ganz wohl dabei! Sie haben Unglück; kann man mehr
verlangen, um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein, oder um überhaupt
keine Langeweile zu haben? Ob sie nnn an der Guillotine oder am Fieber oder
am Alter sterbe"! Es ist noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter
die Coulissen und können im Abgehen noch hübsch gesticuliren und die Zuschauer
klatschen hören." -- Endlich kurz vor seinem Tode: -- Was willst du deun? --
"Ruhe." -- Die ist in Gott. -- "Im Nichts . . . Aber Etwas kaun nicht
zu Nichts werden! und ich bin Etwas, das ist der Jammer! Die Schöpfung
hat sich so breit gemacht, da ist nichts leer. Alles voll Gewimmels. Das Nichts
hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen,
die Welt das Grab, worin es verfault." U. s. w.

Wäre diesem Blasirten gegenüber die selbstgewisse "Tugend" der Fanatiker
in scharfem Lichte dargestellt, so wäre der Contrast gewiß sehr poetisch. Aber
Büchner zersetzt mit dem Scheidewasser seines Skepticismus auch die härtesten
Gestalten. Selbst Robespierre sieht Gespenster, wenn er allein ist. -- "Es ist
lächerlich, wie meine Gedanken einander beaufsichtigen.... Ich weiß nicht, was
in mir das Andere belügt--. Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt
sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos,
die scheu vor des Tages Licht sich verkröche", empfangen jetzt Form und Gewand


Aber Danton ist eine wirkliche Gestalt von Fleisch und Blut. Ein Hamlet
mit einer Vorgeschichte, und das ist ein wesentlicher Fortschritt. Er hat sich im
Vollgefühl seiner Kraft in die Revolution eingelassen, aber das Blut, das er selber
und Andere vergossen, hat ihm Ekel gemacht; er sucht sich in sinnlichen Ausschwei¬
fungen zu betäuben, aber die Stimme seines Gewissens läßt sich immer von Neuem
hören; er hofft mitunter, daß mit dem Tode Alles zu Ende sein wird, nud doch
scheut er wieder den Tod, und doch ist er wieder zu schlaff, einen Schritt zu thun,
um seinem Verderben zu entgehn. „Das ist sehr langweilig", sagt er zu Camille,
als dieser ihn treibt, „immer das Hemd zuerst und dann die Hosen darüber zu
ziehen und des Abends in's Bett und Morgens wieder heraus zu kriechen, und
einen Fuß immer so vor den andern zu setzen, da ist gar kein Absehen, wie es
anders werden soll. Das ist sehr traurig, und daß Millionen es schon so gemacht
haben, nud daß Millionen es wieder so machen werden, und daß wir noch oben¬
drein ans zwei Hälften bestehen, die beide das Nämliche thun, so daß Alles doppelt
geschieht, das ist sehr traurig." — Das ist ganz Leonce. Du sprichst in einem
kindischen Tone, bemerkt Camille. — „Sterbende werden kindisch... Es war
mir zuletzt langweilig, immer im nämlichen Rocke herumzulaufen, und die nämlichen
Falten zu ziehen. Das ist erbärmlich. So ein armseliges Instrument zu sein,
auf dem die Saite immer nur einen Ton angibt. Ich wollte mir's bequem machen.
Ich hab' es erreicht, die Revolution setzt mich in Ruhe, aber auf andere Weise,
als ich dachte." — Und Frankreich bleibt seinen Henkern? — „Was liegt daran?
Die Leute befinden sich ganz wohl dabei! Sie haben Unglück; kann man mehr
verlangen, um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein, oder um überhaupt
keine Langeweile zu haben? Ob sie nnn an der Guillotine oder am Fieber oder
am Alter sterbe«! Es ist noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter
die Coulissen und können im Abgehen noch hübsch gesticuliren und die Zuschauer
klatschen hören." — Endlich kurz vor seinem Tode: — Was willst du deun? —
„Ruhe." — Die ist in Gott. — „Im Nichts . . . Aber Etwas kaun nicht
zu Nichts werden! und ich bin Etwas, das ist der Jammer! Die Schöpfung
hat sich so breit gemacht, da ist nichts leer. Alles voll Gewimmels. Das Nichts
hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen,
die Welt das Grab, worin es verfault." U. s. w.

Wäre diesem Blasirten gegenüber die selbstgewisse „Tugend" der Fanatiker
in scharfem Lichte dargestellt, so wäre der Contrast gewiß sehr poetisch. Aber
Büchner zersetzt mit dem Scheidewasser seines Skepticismus auch die härtesten
Gestalten. Selbst Robespierre sieht Gespenster, wenn er allein ist. — „Es ist
lächerlich, wie meine Gedanken einander beaufsichtigen.... Ich weiß nicht, was
in mir das Andere belügt--. Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt
sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos,
die scheu vor des Tages Licht sich verkröche«, empfangen jetzt Form und Gewand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/138>, abgerufen am 23.06.2024.