Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

selbstständigen Eindringen in die Wissenschaft ist sehr selten die Rede, ja man
scheint es nicht zu lieben, wenn ein kräftiger Geist auch hier die streng vorge¬
schriebene Bahn zu verlassen wagt. Daß aber dies Vollpfropfen mit einer Menge
"unverdauter" Kenntnisse der östreichischen Artillerie ein praktisches Uebergewicht
über die Artillerie anderer Heere geben sollte, habe ich nie bemerken können.
Ich habe französische, preußische, bairische, schwedische, dänische und holsteinische
Feldartillerie ebenso schnell, ja oft schneller manövriren und dabei ein ebenso kräf¬
tiges und wirksames Feuer unterhalten sehen, wie eine gut bediente östreichi¬
sche Batterie. Ja, ich muß gegen die allgemeine Meinung behaupten, daß man
in Oestreich bei der Feldartillerie manche veraltete, ganz zopfmäßige Einrichtungen
beibehalten hat, die in anderen Staaten als unzweckmäßig schon längst beseitigt
sind. Dazu gehört z. B., daß die Bespannung der Geschütze bisher noch von
besonderen Trainsoldaten und Officieren geleitet wurde; eine sehr schlechte Ein¬
richtung, die man erst jetzt abzuschaffen beginnt. Die preußische Artillerie hat
einen etwaigen Kampf mit der östreichischen durchaus nicht zu scheuen, und
jede Schleswig-holsteinische Feldbatterie war den östreichischen, welche ich im Feuer
beobachtet habe, überlegen.

Zurückgesetzt gegen die Reiterei ward in Oestreich bisher die Linieninfan¬
terie, die Hauptmasse des Heeres. Bei vielen trefflichen Eigenschaften, die vor¬
hin angeführt wurden, klebt der östreichischen Linieninfanterie doch etwas Lang¬
sames, Schwerfälliges, Unbehilfliches an. Es mangelt ihr, trotz der guten Dres¬
sur, die leichte, gewandte Manövrirfähigkeit, worin das französische und, obgleich
in geringerem Grade, das preußische Fußvolk ausgezeichnet ist. Ein östreichischer
größerer Truppenkörper aus Infanterie ist oft ungemein schwerfällig, und kommt
leicht in Stocken. Auch das Commando ist langsam und schleppend. Besonders
das Tirailliren, diese charakteristische und wichtige Fechtart der neueren Zeit, wird
bei der Mehrzahl der kaiserlichen Regimenter lange nicht genng geübt. Dazu
kommen die Schwächen des Officiercorps der Linie. Man trifft neben vielen
sehr, tüchtigen, im Felddienst geübten Officieren gerade in der Linie eine Menge
gänzlich unbrauchbarer Menschen jeglichen Grades an, die der Tüchtigkeit des
Regiments oft verhängnißvoll werden. Ein Fluch des Protectionssyftems. Bei¬
spiele einer grenzenlosen militärischen Unwissenheit und totaler Unbrauchbarst
lassen sich in Menge aufstellen an Hauptleuten, Obersten, selbst Generälen. In
der italienischen Armee Radetzky's kommen dergleichen Subjecte stets nur sehr
selten vor, da sein Einfluß sich dieselben schnell vom Halse zu schaffen wußte, am
meisten waren sie in der Armee, welche damals Fürst Windischgrätz führte, der
auf vornehme Geburt mehr sah, als ihm und seinem Kaiser nützlich war. -- Ein
anderer Nachtheil für die östreichische Linieninfanterie ist, daß, während bei ihr
alle unbrauchbaren Leute des ganzen Heeres abgegeben werden, sie selbst ihre
zuverlässigsten Soldaten wieder den Grenadieren, von denen das Linienregi-


selbstständigen Eindringen in die Wissenschaft ist sehr selten die Rede, ja man
scheint es nicht zu lieben, wenn ein kräftiger Geist auch hier die streng vorge¬
schriebene Bahn zu verlassen wagt. Daß aber dies Vollpfropfen mit einer Menge
„unverdauter" Kenntnisse der östreichischen Artillerie ein praktisches Uebergewicht
über die Artillerie anderer Heere geben sollte, habe ich nie bemerken können.
Ich habe französische, preußische, bairische, schwedische, dänische und holsteinische
Feldartillerie ebenso schnell, ja oft schneller manövriren und dabei ein ebenso kräf¬
tiges und wirksames Feuer unterhalten sehen, wie eine gut bediente östreichi¬
sche Batterie. Ja, ich muß gegen die allgemeine Meinung behaupten, daß man
in Oestreich bei der Feldartillerie manche veraltete, ganz zopfmäßige Einrichtungen
beibehalten hat, die in anderen Staaten als unzweckmäßig schon längst beseitigt
sind. Dazu gehört z. B., daß die Bespannung der Geschütze bisher noch von
besonderen Trainsoldaten und Officieren geleitet wurde; eine sehr schlechte Ein¬
richtung, die man erst jetzt abzuschaffen beginnt. Die preußische Artillerie hat
einen etwaigen Kampf mit der östreichischen durchaus nicht zu scheuen, und
jede Schleswig-holsteinische Feldbatterie war den östreichischen, welche ich im Feuer
beobachtet habe, überlegen.

Zurückgesetzt gegen die Reiterei ward in Oestreich bisher die Linieninfan¬
terie, die Hauptmasse des Heeres. Bei vielen trefflichen Eigenschaften, die vor¬
hin angeführt wurden, klebt der östreichischen Linieninfanterie doch etwas Lang¬
sames, Schwerfälliges, Unbehilfliches an. Es mangelt ihr, trotz der guten Dres¬
sur, die leichte, gewandte Manövrirfähigkeit, worin das französische und, obgleich
in geringerem Grade, das preußische Fußvolk ausgezeichnet ist. Ein östreichischer
größerer Truppenkörper aus Infanterie ist oft ungemein schwerfällig, und kommt
leicht in Stocken. Auch das Commando ist langsam und schleppend. Besonders
das Tirailliren, diese charakteristische und wichtige Fechtart der neueren Zeit, wird
bei der Mehrzahl der kaiserlichen Regimenter lange nicht genng geübt. Dazu
kommen die Schwächen des Officiercorps der Linie. Man trifft neben vielen
sehr, tüchtigen, im Felddienst geübten Officieren gerade in der Linie eine Menge
gänzlich unbrauchbarer Menschen jeglichen Grades an, die der Tüchtigkeit des
Regiments oft verhängnißvoll werden. Ein Fluch des Protectionssyftems. Bei¬
spiele einer grenzenlosen militärischen Unwissenheit und totaler Unbrauchbarst
lassen sich in Menge aufstellen an Hauptleuten, Obersten, selbst Generälen. In
der italienischen Armee Radetzky's kommen dergleichen Subjecte stets nur sehr
selten vor, da sein Einfluß sich dieselben schnell vom Halse zu schaffen wußte, am
meisten waren sie in der Armee, welche damals Fürst Windischgrätz führte, der
auf vornehme Geburt mehr sah, als ihm und seinem Kaiser nützlich war. — Ein
anderer Nachtheil für die östreichische Linieninfanterie ist, daß, während bei ihr
alle unbrauchbaren Leute des ganzen Heeres abgegeben werden, sie selbst ihre
zuverlässigsten Soldaten wieder den Grenadieren, von denen das Linienregi-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91837"/>
          <p xml:id="ID_244" prev="#ID_243"> selbstständigen Eindringen in die Wissenschaft ist sehr selten die Rede, ja man<lb/>
scheint es nicht zu lieben, wenn ein kräftiger Geist auch hier die streng vorge¬<lb/>
schriebene Bahn zu verlassen wagt. Daß aber dies Vollpfropfen mit einer Menge<lb/>
&#x201E;unverdauter" Kenntnisse der östreichischen Artillerie ein praktisches Uebergewicht<lb/>
über die Artillerie anderer Heere geben sollte, habe ich nie bemerken können.<lb/>
Ich habe französische, preußische, bairische, schwedische, dänische und holsteinische<lb/>
Feldartillerie ebenso schnell, ja oft schneller manövriren und dabei ein ebenso kräf¬<lb/>
tiges und wirksames Feuer unterhalten sehen, wie eine gut bediente östreichi¬<lb/>
sche Batterie. Ja, ich muß gegen die allgemeine Meinung behaupten, daß man<lb/>
in Oestreich bei der Feldartillerie manche veraltete, ganz zopfmäßige Einrichtungen<lb/>
beibehalten hat, die in anderen Staaten als unzweckmäßig schon längst beseitigt<lb/>
sind. Dazu gehört z. B., daß die Bespannung der Geschütze bisher noch von<lb/>
besonderen Trainsoldaten und Officieren geleitet wurde; eine sehr schlechte Ein¬<lb/>
richtung, die man erst jetzt abzuschaffen beginnt. Die preußische Artillerie hat<lb/>
einen etwaigen Kampf mit der östreichischen durchaus nicht zu scheuen, und<lb/>
jede Schleswig-holsteinische Feldbatterie war den östreichischen, welche ich im Feuer<lb/>
beobachtet habe, überlegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_245" next="#ID_246"> Zurückgesetzt gegen die Reiterei ward in Oestreich bisher die Linieninfan¬<lb/>
terie, die Hauptmasse des Heeres. Bei vielen trefflichen Eigenschaften, die vor¬<lb/>
hin angeführt wurden, klebt der östreichischen Linieninfanterie doch etwas Lang¬<lb/>
sames, Schwerfälliges, Unbehilfliches an. Es mangelt ihr, trotz der guten Dres¬<lb/>
sur, die leichte, gewandte Manövrirfähigkeit, worin das französische und, obgleich<lb/>
in geringerem Grade, das preußische Fußvolk ausgezeichnet ist. Ein östreichischer<lb/>
größerer Truppenkörper aus Infanterie ist oft ungemein schwerfällig, und kommt<lb/>
leicht in Stocken. Auch das Commando ist langsam und schleppend. Besonders<lb/>
das Tirailliren, diese charakteristische und wichtige Fechtart der neueren Zeit, wird<lb/>
bei der Mehrzahl der kaiserlichen Regimenter lange nicht genng geübt. Dazu<lb/>
kommen die Schwächen des Officiercorps der Linie. Man trifft neben vielen<lb/>
sehr, tüchtigen, im Felddienst geübten Officieren gerade in der Linie eine Menge<lb/>
gänzlich unbrauchbarer Menschen jeglichen Grades an, die der Tüchtigkeit des<lb/>
Regiments oft verhängnißvoll werden. Ein Fluch des Protectionssyftems. Bei¬<lb/>
spiele einer grenzenlosen militärischen Unwissenheit und totaler Unbrauchbarst<lb/>
lassen sich in Menge aufstellen an Hauptleuten, Obersten, selbst Generälen. In<lb/>
der italienischen Armee Radetzky's kommen dergleichen Subjecte stets nur sehr<lb/>
selten vor, da sein Einfluß sich dieselben schnell vom Halse zu schaffen wußte, am<lb/>
meisten waren sie in der Armee, welche damals Fürst Windischgrätz führte, der<lb/>
auf vornehme Geburt mehr sah, als ihm und seinem Kaiser nützlich war. &#x2014; Ein<lb/>
anderer Nachtheil für die östreichische Linieninfanterie ist, daß, während bei ihr<lb/>
alle unbrauchbaren Leute des ganzen Heeres abgegeben werden, sie selbst ihre<lb/>
zuverlässigsten Soldaten wieder den Grenadieren, von denen das Linienregi-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] selbstständigen Eindringen in die Wissenschaft ist sehr selten die Rede, ja man scheint es nicht zu lieben, wenn ein kräftiger Geist auch hier die streng vorge¬ schriebene Bahn zu verlassen wagt. Daß aber dies Vollpfropfen mit einer Menge „unverdauter" Kenntnisse der östreichischen Artillerie ein praktisches Uebergewicht über die Artillerie anderer Heere geben sollte, habe ich nie bemerken können. Ich habe französische, preußische, bairische, schwedische, dänische und holsteinische Feldartillerie ebenso schnell, ja oft schneller manövriren und dabei ein ebenso kräf¬ tiges und wirksames Feuer unterhalten sehen, wie eine gut bediente östreichi¬ sche Batterie. Ja, ich muß gegen die allgemeine Meinung behaupten, daß man in Oestreich bei der Feldartillerie manche veraltete, ganz zopfmäßige Einrichtungen beibehalten hat, die in anderen Staaten als unzweckmäßig schon längst beseitigt sind. Dazu gehört z. B., daß die Bespannung der Geschütze bisher noch von besonderen Trainsoldaten und Officieren geleitet wurde; eine sehr schlechte Ein¬ richtung, die man erst jetzt abzuschaffen beginnt. Die preußische Artillerie hat einen etwaigen Kampf mit der östreichischen durchaus nicht zu scheuen, und jede Schleswig-holsteinische Feldbatterie war den östreichischen, welche ich im Feuer beobachtet habe, überlegen. Zurückgesetzt gegen die Reiterei ward in Oestreich bisher die Linieninfan¬ terie, die Hauptmasse des Heeres. Bei vielen trefflichen Eigenschaften, die vor¬ hin angeführt wurden, klebt der östreichischen Linieninfanterie doch etwas Lang¬ sames, Schwerfälliges, Unbehilfliches an. Es mangelt ihr, trotz der guten Dres¬ sur, die leichte, gewandte Manövrirfähigkeit, worin das französische und, obgleich in geringerem Grade, das preußische Fußvolk ausgezeichnet ist. Ein östreichischer größerer Truppenkörper aus Infanterie ist oft ungemein schwerfällig, und kommt leicht in Stocken. Auch das Commando ist langsam und schleppend. Besonders das Tirailliren, diese charakteristische und wichtige Fechtart der neueren Zeit, wird bei der Mehrzahl der kaiserlichen Regimenter lange nicht genng geübt. Dazu kommen die Schwächen des Officiercorps der Linie. Man trifft neben vielen sehr, tüchtigen, im Felddienst geübten Officieren gerade in der Linie eine Menge gänzlich unbrauchbarer Menschen jeglichen Grades an, die der Tüchtigkeit des Regiments oft verhängnißvoll werden. Ein Fluch des Protectionssyftems. Bei¬ spiele einer grenzenlosen militärischen Unwissenheit und totaler Unbrauchbarst lassen sich in Menge aufstellen an Hauptleuten, Obersten, selbst Generälen. In der italienischen Armee Radetzky's kommen dergleichen Subjecte stets nur sehr selten vor, da sein Einfluß sich dieselben schnell vom Halse zu schaffen wußte, am meisten waren sie in der Armee, welche damals Fürst Windischgrätz führte, der auf vornehme Geburt mehr sah, als ihm und seinem Kaiser nützlich war. — Ein anderer Nachtheil für die östreichische Linieninfanterie ist, daß, während bei ihr alle unbrauchbaren Leute des ganzen Heeres abgegeben werden, sie selbst ihre zuverlässigsten Soldaten wieder den Grenadieren, von denen das Linienregi-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/100>, abgerufen am 23.06.2024.