Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zerstört; der Tod hat mir meine Lieben entrissen, und mit blutendem Herzen senkte
ich alle Hoffnungen der Zukunft in die Gruft! Durch alle politischen Kämpfe,
dnrch alle großen Erlebnisse des vergangenen Jahres hat für mich ein Zug der
Trauer und Schwermut!) sich hindurchziehen müssen, und meine Theilnahme am
politischen Treiben ist vielleicht dadurch eine weniger frische und lebendige gewesen.
Bei solchen Erfahrungen, mitten hineingestellt in die großen, gewaltigen Bewe¬
gungen der Gegenwart, wird man sich seiner Kleinheit immer lebendiger bewußt,
und mit Gleichgültigkeit betrachtet man die Zukunft der eignen Person. Ich
wende mich dahin, wo der deutsche Name bis zur Stunde mit Ehren sich geltend
macht, ich ziehe zu unsern norddeutschen Brüdern, welche sür ihre Nationalität und
ihr gutes Recht kämpfen. Sollte eine verrätherische Diplomatie einen schmach¬
vollen Frieden schließen, so hoffe ich, daß die Schleswig-Holsteiner sich denselben
nicht aufdrängen lassen, sondern mit eigenen Kräften den Kampf fortsetzen werden.
Sollte ich mich darin täuschen, nun, so wird wol uoch wo anders ans dieser Welt
ein Platz sein, wo der deutsche Mann wenigstens mit Ehren die Waffen führen
kann! Möge mein Geschick sein, welches es wolle, -- mein lebendigster Gedanke
wird im letzten Augenblicke meines Lebens noch sein: Die Einheit und Größe
des deutschen Vaterlandes!"

Eben damals war Raumer durch das Vertrauen seiner Mitbürger zur Bür¬
germeisterstelle in Dinkelsbühl berufen worden. Er lehnte dies Amt ab und legte
der Regierung seines Kreises offen die Gründe seines Verzichtes dar. "Als mich
das Vertrauen meiner Mitbürger als Abgeordneten zum ersten deutschen Parla¬
mente berief," sagte er in diesem Schreiben, "stand in mir der Grundsatz fest,
daß ich uur dann unter der bairischen Regierung ferner dienen könne, wenn die¬
selbe diejenigen Opfer bringen werde, welche zur Gründung eines einigen Deutsch¬
lands nach dem Ausspruch der Mehrheit der Nationalvertreter gebracht werden
müssen. Die bairische Regierung hat in Gemeinschaft mit drei andern königlichen
Cabinetten, entgegen den von allen Volksvertretungen in Deutschland ausge¬
sprochenen Ansichten, die Anerkennung der Reichsverfassung verweigern zu müssen
geglaubt und hat es vorgezogen, das Vaterland den Gefahren des Bürgerkriegs
auszusetzen. Ich vermag die höhere Weisheit, welche vielleicht dieser Politik zu
Grunde liegt, nicht zu würdigen, und wenn ich auch weit davon entfernt bin, die
gewaltsamen Bewegungen, welche in einigen Theilen Deutschlands gegen die ge¬
setzlichen Organe sich erhoben haben, gutzuheißen oder gar zu fördern, so ist es
mir doch unmöglich, den Eid der Treue, welchen ich Sr. Majestät dem König
von Baiern und der bairischen Verfassung geleistet habe, in der Weise zu halten,
wie es von einem Beamten verlangt wird und vom Standpunkte des Gouverne¬
ments aus verlangt werden muß. Als im vorigen Frühjahr einsichtslose und ehr¬
geizige Demokraten den allgemeinen Umsturz predigten, bin ich denselben, wo ich
konnte, mit Wort und Schrift entgegengetreten; das ganze Jahr über bin ich die-


zerstört; der Tod hat mir meine Lieben entrissen, und mit blutendem Herzen senkte
ich alle Hoffnungen der Zukunft in die Gruft! Durch alle politischen Kämpfe,
dnrch alle großen Erlebnisse des vergangenen Jahres hat für mich ein Zug der
Trauer und Schwermut!) sich hindurchziehen müssen, und meine Theilnahme am
politischen Treiben ist vielleicht dadurch eine weniger frische und lebendige gewesen.
Bei solchen Erfahrungen, mitten hineingestellt in die großen, gewaltigen Bewe¬
gungen der Gegenwart, wird man sich seiner Kleinheit immer lebendiger bewußt,
und mit Gleichgültigkeit betrachtet man die Zukunft der eignen Person. Ich
wende mich dahin, wo der deutsche Name bis zur Stunde mit Ehren sich geltend
macht, ich ziehe zu unsern norddeutschen Brüdern, welche sür ihre Nationalität und
ihr gutes Recht kämpfen. Sollte eine verrätherische Diplomatie einen schmach¬
vollen Frieden schließen, so hoffe ich, daß die Schleswig-Holsteiner sich denselben
nicht aufdrängen lassen, sondern mit eigenen Kräften den Kampf fortsetzen werden.
Sollte ich mich darin täuschen, nun, so wird wol uoch wo anders ans dieser Welt
ein Platz sein, wo der deutsche Mann wenigstens mit Ehren die Waffen führen
kann! Möge mein Geschick sein, welches es wolle, — mein lebendigster Gedanke
wird im letzten Augenblicke meines Lebens noch sein: Die Einheit und Größe
des deutschen Vaterlandes!"

Eben damals war Raumer durch das Vertrauen seiner Mitbürger zur Bür¬
germeisterstelle in Dinkelsbühl berufen worden. Er lehnte dies Amt ab und legte
der Regierung seines Kreises offen die Gründe seines Verzichtes dar. „Als mich
das Vertrauen meiner Mitbürger als Abgeordneten zum ersten deutschen Parla¬
mente berief," sagte er in diesem Schreiben, „stand in mir der Grundsatz fest,
daß ich uur dann unter der bairischen Regierung ferner dienen könne, wenn die¬
selbe diejenigen Opfer bringen werde, welche zur Gründung eines einigen Deutsch¬
lands nach dem Ausspruch der Mehrheit der Nationalvertreter gebracht werden
müssen. Die bairische Regierung hat in Gemeinschaft mit drei andern königlichen
Cabinetten, entgegen den von allen Volksvertretungen in Deutschland ausge¬
sprochenen Ansichten, die Anerkennung der Reichsverfassung verweigern zu müssen
geglaubt und hat es vorgezogen, das Vaterland den Gefahren des Bürgerkriegs
auszusetzen. Ich vermag die höhere Weisheit, welche vielleicht dieser Politik zu
Grunde liegt, nicht zu würdigen, und wenn ich auch weit davon entfernt bin, die
gewaltsamen Bewegungen, welche in einigen Theilen Deutschlands gegen die ge¬
setzlichen Organe sich erhoben haben, gutzuheißen oder gar zu fördern, so ist es
mir doch unmöglich, den Eid der Treue, welchen ich Sr. Majestät dem König
von Baiern und der bairischen Verfassung geleistet habe, in der Weise zu halten,
wie es von einem Beamten verlangt wird und vom Standpunkte des Gouverne¬
ments aus verlangt werden muß. Als im vorigen Frühjahr einsichtslose und ehr¬
geizige Demokraten den allgemeinen Umsturz predigten, bin ich denselben, wo ich
konnte, mit Wort und Schrift entgegengetreten; das ganze Jahr über bin ich die-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91275"/>
          <p xml:id="ID_207" prev="#ID_206"> zerstört; der Tod hat mir meine Lieben entrissen, und mit blutendem Herzen senkte<lb/>
ich alle Hoffnungen der Zukunft in die Gruft! Durch alle politischen Kämpfe,<lb/>
dnrch alle großen Erlebnisse des vergangenen Jahres hat für mich ein Zug der<lb/>
Trauer und Schwermut!) sich hindurchziehen müssen, und meine Theilnahme am<lb/>
politischen Treiben ist vielleicht dadurch eine weniger frische und lebendige gewesen.<lb/>
Bei solchen Erfahrungen, mitten hineingestellt in die großen, gewaltigen Bewe¬<lb/>
gungen der Gegenwart, wird man sich seiner Kleinheit immer lebendiger bewußt,<lb/>
und mit Gleichgültigkeit betrachtet man die Zukunft der eignen Person. Ich<lb/>
wende mich dahin, wo der deutsche Name bis zur Stunde mit Ehren sich geltend<lb/>
macht, ich ziehe zu unsern norddeutschen Brüdern, welche sür ihre Nationalität und<lb/>
ihr gutes Recht kämpfen. Sollte eine verrätherische Diplomatie einen schmach¬<lb/>
vollen Frieden schließen, so hoffe ich, daß die Schleswig-Holsteiner sich denselben<lb/>
nicht aufdrängen lassen, sondern mit eigenen Kräften den Kampf fortsetzen werden.<lb/>
Sollte ich mich darin täuschen, nun, so wird wol uoch wo anders ans dieser Welt<lb/>
ein Platz sein, wo der deutsche Mann wenigstens mit Ehren die Waffen führen<lb/>
kann! Möge mein Geschick sein, welches es wolle, &#x2014; mein lebendigster Gedanke<lb/>
wird im letzten Augenblicke meines Lebens noch sein: Die Einheit und Größe<lb/>
des deutschen Vaterlandes!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_208" next="#ID_209"> Eben damals war Raumer durch das Vertrauen seiner Mitbürger zur Bür¬<lb/>
germeisterstelle in Dinkelsbühl berufen worden. Er lehnte dies Amt ab und legte<lb/>
der Regierung seines Kreises offen die Gründe seines Verzichtes dar. &#x201E;Als mich<lb/>
das Vertrauen meiner Mitbürger als Abgeordneten zum ersten deutschen Parla¬<lb/>
mente berief," sagte er in diesem Schreiben, &#x201E;stand in mir der Grundsatz fest,<lb/>
daß ich uur dann unter der bairischen Regierung ferner dienen könne, wenn die¬<lb/>
selbe diejenigen Opfer bringen werde, welche zur Gründung eines einigen Deutsch¬<lb/>
lands nach dem Ausspruch der Mehrheit der Nationalvertreter gebracht werden<lb/>
müssen. Die bairische Regierung hat in Gemeinschaft mit drei andern königlichen<lb/>
Cabinetten, entgegen den von allen Volksvertretungen in Deutschland ausge¬<lb/>
sprochenen Ansichten, die Anerkennung der Reichsverfassung verweigern zu müssen<lb/>
geglaubt und hat es vorgezogen, das Vaterland den Gefahren des Bürgerkriegs<lb/>
auszusetzen. Ich vermag die höhere Weisheit, welche vielleicht dieser Politik zu<lb/>
Grunde liegt, nicht zu würdigen, und wenn ich auch weit davon entfernt bin, die<lb/>
gewaltsamen Bewegungen, welche in einigen Theilen Deutschlands gegen die ge¬<lb/>
setzlichen Organe sich erhoben haben, gutzuheißen oder gar zu fördern, so ist es<lb/>
mir doch unmöglich, den Eid der Treue, welchen ich Sr. Majestät dem König<lb/>
von Baiern und der bairischen Verfassung geleistet habe, in der Weise zu halten,<lb/>
wie es von einem Beamten verlangt wird und vom Standpunkte des Gouverne¬<lb/>
ments aus verlangt werden muß. Als im vorigen Frühjahr einsichtslose und ehr¬<lb/>
geizige Demokraten den allgemeinen Umsturz predigten, bin ich denselben, wo ich<lb/>
konnte, mit Wort und Schrift entgegengetreten; das ganze Jahr über bin ich die-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0082] zerstört; der Tod hat mir meine Lieben entrissen, und mit blutendem Herzen senkte ich alle Hoffnungen der Zukunft in die Gruft! Durch alle politischen Kämpfe, dnrch alle großen Erlebnisse des vergangenen Jahres hat für mich ein Zug der Trauer und Schwermut!) sich hindurchziehen müssen, und meine Theilnahme am politischen Treiben ist vielleicht dadurch eine weniger frische und lebendige gewesen. Bei solchen Erfahrungen, mitten hineingestellt in die großen, gewaltigen Bewe¬ gungen der Gegenwart, wird man sich seiner Kleinheit immer lebendiger bewußt, und mit Gleichgültigkeit betrachtet man die Zukunft der eignen Person. Ich wende mich dahin, wo der deutsche Name bis zur Stunde mit Ehren sich geltend macht, ich ziehe zu unsern norddeutschen Brüdern, welche sür ihre Nationalität und ihr gutes Recht kämpfen. Sollte eine verrätherische Diplomatie einen schmach¬ vollen Frieden schließen, so hoffe ich, daß die Schleswig-Holsteiner sich denselben nicht aufdrängen lassen, sondern mit eigenen Kräften den Kampf fortsetzen werden. Sollte ich mich darin täuschen, nun, so wird wol uoch wo anders ans dieser Welt ein Platz sein, wo der deutsche Mann wenigstens mit Ehren die Waffen führen kann! Möge mein Geschick sein, welches es wolle, — mein lebendigster Gedanke wird im letzten Augenblicke meines Lebens noch sein: Die Einheit und Größe des deutschen Vaterlandes!" Eben damals war Raumer durch das Vertrauen seiner Mitbürger zur Bür¬ germeisterstelle in Dinkelsbühl berufen worden. Er lehnte dies Amt ab und legte der Regierung seines Kreises offen die Gründe seines Verzichtes dar. „Als mich das Vertrauen meiner Mitbürger als Abgeordneten zum ersten deutschen Parla¬ mente berief," sagte er in diesem Schreiben, „stand in mir der Grundsatz fest, daß ich uur dann unter der bairischen Regierung ferner dienen könne, wenn die¬ selbe diejenigen Opfer bringen werde, welche zur Gründung eines einigen Deutsch¬ lands nach dem Ausspruch der Mehrheit der Nationalvertreter gebracht werden müssen. Die bairische Regierung hat in Gemeinschaft mit drei andern königlichen Cabinetten, entgegen den von allen Volksvertretungen in Deutschland ausge¬ sprochenen Ansichten, die Anerkennung der Reichsverfassung verweigern zu müssen geglaubt und hat es vorgezogen, das Vaterland den Gefahren des Bürgerkriegs auszusetzen. Ich vermag die höhere Weisheit, welche vielleicht dieser Politik zu Grunde liegt, nicht zu würdigen, und wenn ich auch weit davon entfernt bin, die gewaltsamen Bewegungen, welche in einigen Theilen Deutschlands gegen die ge¬ setzlichen Organe sich erhoben haben, gutzuheißen oder gar zu fördern, so ist es mir doch unmöglich, den Eid der Treue, welchen ich Sr. Majestät dem König von Baiern und der bairischen Verfassung geleistet habe, in der Weise zu halten, wie es von einem Beamten verlangt wird und vom Standpunkte des Gouverne¬ ments aus verlangt werden muß. Als im vorigen Frühjahr einsichtslose und ehr¬ geizige Demokraten den allgemeinen Umsturz predigten, bin ich denselben, wo ich konnte, mit Wort und Schrift entgegengetreten; das ganze Jahr über bin ich die-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/82
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/82>, abgerufen am 27.07.2024.