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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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gegen, es gibt hier keinen einzigen Grund zu diesem übertriebenen Gebahren.
Verstände es Littolf, zur rechten Zeit sich zu mäßigen und den reichen Fluß seiner
Gedanken in ein sanfteres Bett zu leiten, er dürste auf größere Anerkennung
hoffen. Als Spieler ist er nicht unbedeutend, doch spielt er weniger wie ein
Virtuose, sondern mehr als guter Musiker. -- Unter den übrigen Pianoforte-
virtuoseu dieses Wiuters sind als mehr oder minder bedeutend noch zu erwähnen
Blaßmann aus Dresden (in der Euterpe, K Dur-Concert von Beethoven),
Goldschmidt aus Hamburg, Marie Wiek aus Dresden, Tedesco aus Prag.
Schul ho ff, der noch auf dem reinen Virtuosenpfade wandelt, gab ein wenig
besuchtes Concert und errang reichen Beifall; es schadete ihm, daß er nur eigne
Compositionen zum Vortrag wählte. -- Unter deu hervorragenden Vivliusvielern
ist nächst unserm trefflichen Meister David und dem schou angeführten Drey Schock
noch Hilf, zeither in Cassel, zu erwähnen. Er trat in der Euterpe mit dem
Vortrage des zweiten David'schen Concerts und einer eigenen Komposition auf;
seine Leistungen ragen weit über das gewöhnliche Gute hinaus; nächst Joachim
ist er als der bedeutendste Schüler David's zu betrachten.

Die musikalischen Abendunterhaltungen für Kammermusik im Gewandhause
fanden dieses Jahr in geringer Zahl statt, doch war das Gebotene der vortreff¬
lichsten Art und Verpflichtetuns zu lebhafter Anerkennung. Auch hier hörten wir
einige Neuigkeiten, ein Trio von Heinrich Littolf, ein Quintett von Louis
Spohr, und eine Sonate für Pianoforte und Violoncell von Ignaz Mo-
scheles, gespielt von dem Komponisten selbst und dem Capellmeister Julius
Rietz. Die Sonate errang reichen Beifall, eines Theils, weil zu ihrem Vortrage
der Meister sich selbst herbeigelassen hatte, während er sonst seit Jahren es zu¬
rückgewiesen hat, öffentlich zu spielen, andern Theils, weil sie viel Verdienstliches
hat, und in der Art und Weise geschrieben ist, die hier die am meisten aner¬
kannte ist. Das Spohr'sche Quintett wich nicht von dem gewohnten Stile des
Meisters ab; Heinrich Littolfs Trio findet seine Charakterisirung in den oben
ausgesprochenen Sätzen. Einen hohen Genuß bereitete David durch den Vortrag
der Bach'schen Ciaconne mit der vortrefflichen, ganz dem Geiste des Satzes an¬
gemessenen Klavierbegleitung von Mendelssohn.

Auch die Oper hat diesen Winter eine lobenswerthe Thätigkeit entwickelt:
der unvermeidliche Prophet und die läppische Nosenfee haben einer Menge älterer
Opern von gediegenem Inhalte weichen müssen, unter denen besonders Euryanthe
von Weber hervorzuheben ist.

Das ist ungefähr die Summe der musikalischen Thätigkeit unserer Stadt.
Für die verhältnißmäßigen geringen Kunstmittel, welche wir hier aufzuwenden ha¬
ben, dürfen wir gewiß mit Stolz auf unsere Leistungen blicken. Möge ein gü¬
tiges Geschick es so günstig lenken, daß wir auch in künftigen Jahren dieses Ge¬
fühl in unserm Herzen hegen können!




gegen, es gibt hier keinen einzigen Grund zu diesem übertriebenen Gebahren.
Verstände es Littolf, zur rechten Zeit sich zu mäßigen und den reichen Fluß seiner
Gedanken in ein sanfteres Bett zu leiten, er dürste auf größere Anerkennung
hoffen. Als Spieler ist er nicht unbedeutend, doch spielt er weniger wie ein
Virtuose, sondern mehr als guter Musiker. — Unter den übrigen Pianoforte-
virtuoseu dieses Wiuters sind als mehr oder minder bedeutend noch zu erwähnen
Blaßmann aus Dresden (in der Euterpe, K Dur-Concert von Beethoven),
Goldschmidt aus Hamburg, Marie Wiek aus Dresden, Tedesco aus Prag.
Schul ho ff, der noch auf dem reinen Virtuosenpfade wandelt, gab ein wenig
besuchtes Concert und errang reichen Beifall; es schadete ihm, daß er nur eigne
Compositionen zum Vortrag wählte. — Unter deu hervorragenden Vivliusvielern
ist nächst unserm trefflichen Meister David und dem schou angeführten Drey Schock
noch Hilf, zeither in Cassel, zu erwähnen. Er trat in der Euterpe mit dem
Vortrage des zweiten David'schen Concerts und einer eigenen Komposition auf;
seine Leistungen ragen weit über das gewöhnliche Gute hinaus; nächst Joachim
ist er als der bedeutendste Schüler David's zu betrachten.

Die musikalischen Abendunterhaltungen für Kammermusik im Gewandhause
fanden dieses Jahr in geringer Zahl statt, doch war das Gebotene der vortreff¬
lichsten Art und Verpflichtetuns zu lebhafter Anerkennung. Auch hier hörten wir
einige Neuigkeiten, ein Trio von Heinrich Littolf, ein Quintett von Louis
Spohr, und eine Sonate für Pianoforte und Violoncell von Ignaz Mo-
scheles, gespielt von dem Komponisten selbst und dem Capellmeister Julius
Rietz. Die Sonate errang reichen Beifall, eines Theils, weil zu ihrem Vortrage
der Meister sich selbst herbeigelassen hatte, während er sonst seit Jahren es zu¬
rückgewiesen hat, öffentlich zu spielen, andern Theils, weil sie viel Verdienstliches
hat, und in der Art und Weise geschrieben ist, die hier die am meisten aner¬
kannte ist. Das Spohr'sche Quintett wich nicht von dem gewohnten Stile des
Meisters ab; Heinrich Littolfs Trio findet seine Charakterisirung in den oben
ausgesprochenen Sätzen. Einen hohen Genuß bereitete David durch den Vortrag
der Bach'schen Ciaconne mit der vortrefflichen, ganz dem Geiste des Satzes an¬
gemessenen Klavierbegleitung von Mendelssohn.

Auch die Oper hat diesen Winter eine lobenswerthe Thätigkeit entwickelt:
der unvermeidliche Prophet und die läppische Nosenfee haben einer Menge älterer
Opern von gediegenem Inhalte weichen müssen, unter denen besonders Euryanthe
von Weber hervorzuheben ist.

Das ist ungefähr die Summe der musikalischen Thätigkeit unserer Stadt.
Für die verhältnißmäßigen geringen Kunstmittel, welche wir hier aufzuwenden ha¬
ben, dürfen wir gewiß mit Stolz auf unsere Leistungen blicken. Möge ein gü¬
tiges Geschick es so günstig lenken, daß wir auch in künftigen Jahren dieses Ge¬
fühl in unserm Herzen hegen können!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/75>, abgerufen am 27.07.2024.