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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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sten Beifall und dieser blieb ihr, so lange sie daselbst verweilte. Wenn sie den
Muth und das Geschick hat, ihre musikalische Bildung ans denselben Standpunkt
zu bringen, den sie vermöge ihrer Technik einnimmt, so darf sie auf eine glänzende
Zukunft hoffen; ohne die innige Vereinigung dieser beiden Tugenden werden ihre
Bestrebungen keinen dauernden Erfolg erlangen. Der Mangel einer tiefern Kunst-
bildung zeigte sich darin, daß sie weder Händel noch Mozart zu singen verstand,
während ihr jedesmal die von ihrem Meister Garcia überreich colorirten Arien
der Italiener so gut gelangen, daß sie damit Furore machte. -- Fräulein Grau¬
mann ans London trat in der ersten Hälfte der Saison als Sängerin auf, mit
sehr getheiltem Beifall. Es mangelt ihr sowol Geist, als Stimme; unter solchen
Umständen wird auch die ungeheuerste Fertigkeit die Zuhörer kalt lassen.

Das Virtuosenthum war diesen Winter, wie schon einige Jahre zuvor, Dank
sei es der jetzt eingetretenen ernsteren Richtung, nur wenig, und wenn es geschah,
größtentheils aus würdige Weise vertreten. Der hauptsächlichste, Repräsentant
desselben war Heinrich Littolf, der sich in doppelter Eigenschaft, als Componist
und Virtuos, dem Publicum darstellte. Er spielte in zwei verschiedenen Concerten
zwei Sinfonie-Concerte für Pianoforte, und in einer Quartettunterhaltnng ein
Trio für Piano, Violine und Violoncell. Es war fast eine zu reichliche Dosis
und es dürste schwer sein, die Gründe dieses dreimaligen Auftretens zu erforschen.
Littolf ist eine excentrische Natur, und es ist daher nicht möglich, längere Zeit mit
ihm zu thun zu haben, ohne zu dem lebhaften Wunsch gedrängt zu werden, das
durch seinen Umgang aufgeregte Gemüth bei Leuten sanfteren Charakters in ruhi¬
gere Bewegung zu versetzen. Er thut Alles weit über das Maß hinaus; dafür
dient schon als erster Beweis seine Unzufriedenheit mit dem Namen Concert, er
gestaltet daraus das Ungethüm eines "Sinfonie-Concerts". Wozu diese Ueber¬
treibung? Weil seine Concerte aus vier Sätzen bestehen? Ob nicht unsre guten
Meister mit drei Sätzen dasselbe gesagt haben? oder sind z. B. Beethoven's
Concerte Kinderspiel und liegen in ihnen nicht so viele stnfonistische Elemente, als
es die Zusammensetzung des Pianoforte mit dem Orchester gerade zuläßt? In
Littolf's Seele scheinen immer zwei Dämonen mit einander im Streit zu liegen,
ein freundlicher und ein wilder. Er läßt dem freundlichen immer den Vortritt,
aber das böse Element siegt dann, und so geschieht es fast in allen seinen Kom¬
positionen, daß am Anfange eine milde Klarheit uns entgegentritt, daß aber die
Mitte der Sätze, besonders die Durchführungen, mit den abenteuerlichsten Ton¬
gebilden angefüllt sind; es ist in ihnen nur Gr.ausen und Entsetzen; harmonische
Unschönheiten wechseln ab mit wilden phantastischen Figurationen, jeden freund¬
lichen Gedanken wirft er daun bei Seile; es ist so, als ob man den phantastischen
Hoffmann in Musik übergetragen vor sich sähe. Man mag das noch dulden in
Sätzen, wo das Orchester mit seinen reichen Mitteln zu solchen Uebertreibungen
gleichsam auffordert; in einem schlichten Trio tritt es aber unangenehmer ent-


sten Beifall und dieser blieb ihr, so lange sie daselbst verweilte. Wenn sie den
Muth und das Geschick hat, ihre musikalische Bildung ans denselben Standpunkt
zu bringen, den sie vermöge ihrer Technik einnimmt, so darf sie auf eine glänzende
Zukunft hoffen; ohne die innige Vereinigung dieser beiden Tugenden werden ihre
Bestrebungen keinen dauernden Erfolg erlangen. Der Mangel einer tiefern Kunst-
bildung zeigte sich darin, daß sie weder Händel noch Mozart zu singen verstand,
während ihr jedesmal die von ihrem Meister Garcia überreich colorirten Arien
der Italiener so gut gelangen, daß sie damit Furore machte. — Fräulein Grau¬
mann ans London trat in der ersten Hälfte der Saison als Sängerin auf, mit
sehr getheiltem Beifall. Es mangelt ihr sowol Geist, als Stimme; unter solchen
Umständen wird auch die ungeheuerste Fertigkeit die Zuhörer kalt lassen.

Das Virtuosenthum war diesen Winter, wie schon einige Jahre zuvor, Dank
sei es der jetzt eingetretenen ernsteren Richtung, nur wenig, und wenn es geschah,
größtentheils aus würdige Weise vertreten. Der hauptsächlichste, Repräsentant
desselben war Heinrich Littolf, der sich in doppelter Eigenschaft, als Componist
und Virtuos, dem Publicum darstellte. Er spielte in zwei verschiedenen Concerten
zwei Sinfonie-Concerte für Pianoforte, und in einer Quartettunterhaltnng ein
Trio für Piano, Violine und Violoncell. Es war fast eine zu reichliche Dosis
und es dürste schwer sein, die Gründe dieses dreimaligen Auftretens zu erforschen.
Littolf ist eine excentrische Natur, und es ist daher nicht möglich, längere Zeit mit
ihm zu thun zu haben, ohne zu dem lebhaften Wunsch gedrängt zu werden, das
durch seinen Umgang aufgeregte Gemüth bei Leuten sanfteren Charakters in ruhi¬
gere Bewegung zu versetzen. Er thut Alles weit über das Maß hinaus; dafür
dient schon als erster Beweis seine Unzufriedenheit mit dem Namen Concert, er
gestaltet daraus das Ungethüm eines „Sinfonie-Concerts". Wozu diese Ueber¬
treibung? Weil seine Concerte aus vier Sätzen bestehen? Ob nicht unsre guten
Meister mit drei Sätzen dasselbe gesagt haben? oder sind z. B. Beethoven's
Concerte Kinderspiel und liegen in ihnen nicht so viele stnfonistische Elemente, als
es die Zusammensetzung des Pianoforte mit dem Orchester gerade zuläßt? In
Littolf's Seele scheinen immer zwei Dämonen mit einander im Streit zu liegen,
ein freundlicher und ein wilder. Er läßt dem freundlichen immer den Vortritt,
aber das böse Element siegt dann, und so geschieht es fast in allen seinen Kom¬
positionen, daß am Anfange eine milde Klarheit uns entgegentritt, daß aber die
Mitte der Sätze, besonders die Durchführungen, mit den abenteuerlichsten Ton¬
gebilden angefüllt sind; es ist in ihnen nur Gr.ausen und Entsetzen; harmonische
Unschönheiten wechseln ab mit wilden phantastischen Figurationen, jeden freund¬
lichen Gedanken wirft er daun bei Seile; es ist so, als ob man den phantastischen
Hoffmann in Musik übergetragen vor sich sähe. Man mag das noch dulden in
Sätzen, wo das Orchester mit seinen reichen Mitteln zu solchen Uebertreibungen
gleichsam auffordert; in einem schlichten Trio tritt es aber unangenehmer ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/74>, abgerufen am 27.07.2024.