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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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nachdem er eine Auflage von 13,000 Abdrücken verkauft hatte, wie er selbst sagte,
mit Ehren von dem Kampfplatze abtreten. Die beiden letzten hatten keinen Erfolg
mehr, da mittlerweile durch Byron eine neue Richtung in die englische Poesie
gekommen war. Außerdem hat er in dieser Zeit noch eine Reihe von Ausgaben
älterer Dichter mit Lebensgeschichte und Anmerkungen besorgt: Dryden, Anna
Seward, Swift und die Memoiren von Ralph Satler und Lord Somers.

Schon in diesen poetischen Werken, noch mehr in seinen spätern Romanen
tritt eine doppelte Anlage seines Wesens hervor, die in seiner persönlichen Stel¬
lung begründet war. Er ist nicht blos romantischer Dichter, sondern auch ge¬
schäftskundiger Weltmann, der dem wirklichen Leben der Gegenwart nicht fern
steht. Wenn die Grundlage seiner poetischen Anschauungen theils ans der homo¬
genen deutschen Literatur, theils aus der Anschauung jener in der Erinnerung
des Volks uoch lebendiger und ihm selbst durch seine Familientraditionen gegen¬
wärtiger Sagen von den Grenzkriegen mit den Engländern sich herschreibt, so
tritt andererseits seine weltmännische und gelehrte Bildung hinzu, um diesem
künstlerischen Stoff die angemessene Form zu geben. Die Romantik, so sehr
sie mit seinen Neigungen übereinstimmt, ist ihm doch immer nur
Gegenstand. Er ist niemals innerlich so weit von ihr besangen,
daß er die Freiheit und Autonomie seines Denkens und Empfin¬
dens darüber verliert, wie es bei den deutscheu Romantikern der
Fall war; trotz seiner Vorliebe schildert er den barbarischenStoff
vom Standpunkt der Humanität.

Was den eigentlichen Inhalt seiner epischen Gedichte betrifft, so kann man
ihn als einen poetisirlen Burke bezeichnen. Was der Redner in vereinzelten Aper¬
cus angedeutet hatte, stellt der Dichter in künstlerisch abgerundeten Gemälden
dar: die Schönheiten deö Ritterthums, der königlichen Gewalt, der Lehnstreue,
der nationalen Besonderheit. Die Gedichte haben daher auch alle eine sehr ähn¬
liche Physiognomie, und ich kann mich bei der Charakterisirung derselben aus die
beiden vorzüglichsten beschränken: "das Lied des letzten Minstrel" und "die Jungfrau
am See;" ich möchte noch den Ivanhoe dazu rechnen, der zwar in Prosa gehalten
ist, aber seinem Wesen nach mit diesen Gedichten vollständig übereinstimmt, und
durch eine poetische Form nur gewonnen haben würde.

Das romantische Epos gehört zu jenen Zwittcrgattungen, die man in einem
Register der Poetik, nur schwer unterbringen kann. Das englische Epos der Art
hat mit dem italienischen und spanischen des 15. und 16. Jahrhunderts keine Ver¬
wandtschaft; diese bewegen sich ans einem rein phantastischen Gebiet und verstatten
der Phantasie eine viel größere Willkür, als selbst das griechische Epos, welches
sich doch immer innerhalb eines leicht übersehbaren Kreises bewegt und aus sehr be¬
stimmt festgehaltenen Sitten beruht; dagegen sind sie in ihrer Form rein episch.
Das romantische Gedicht der Engländer hat einen vorzugsweise lyrischen Charakter;


nachdem er eine Auflage von 13,000 Abdrücken verkauft hatte, wie er selbst sagte,
mit Ehren von dem Kampfplatze abtreten. Die beiden letzten hatten keinen Erfolg
mehr, da mittlerweile durch Byron eine neue Richtung in die englische Poesie
gekommen war. Außerdem hat er in dieser Zeit noch eine Reihe von Ausgaben
älterer Dichter mit Lebensgeschichte und Anmerkungen besorgt: Dryden, Anna
Seward, Swift und die Memoiren von Ralph Satler und Lord Somers.

Schon in diesen poetischen Werken, noch mehr in seinen spätern Romanen
tritt eine doppelte Anlage seines Wesens hervor, die in seiner persönlichen Stel¬
lung begründet war. Er ist nicht blos romantischer Dichter, sondern auch ge¬
schäftskundiger Weltmann, der dem wirklichen Leben der Gegenwart nicht fern
steht. Wenn die Grundlage seiner poetischen Anschauungen theils ans der homo¬
genen deutschen Literatur, theils aus der Anschauung jener in der Erinnerung
des Volks uoch lebendiger und ihm selbst durch seine Familientraditionen gegen¬
wärtiger Sagen von den Grenzkriegen mit den Engländern sich herschreibt, so
tritt andererseits seine weltmännische und gelehrte Bildung hinzu, um diesem
künstlerischen Stoff die angemessene Form zu geben. Die Romantik, so sehr
sie mit seinen Neigungen übereinstimmt, ist ihm doch immer nur
Gegenstand. Er ist niemals innerlich so weit von ihr besangen,
daß er die Freiheit und Autonomie seines Denkens und Empfin¬
dens darüber verliert, wie es bei den deutscheu Romantikern der
Fall war; trotz seiner Vorliebe schildert er den barbarischenStoff
vom Standpunkt der Humanität.

Was den eigentlichen Inhalt seiner epischen Gedichte betrifft, so kann man
ihn als einen poetisirlen Burke bezeichnen. Was der Redner in vereinzelten Aper¬
cus angedeutet hatte, stellt der Dichter in künstlerisch abgerundeten Gemälden
dar: die Schönheiten deö Ritterthums, der königlichen Gewalt, der Lehnstreue,
der nationalen Besonderheit. Die Gedichte haben daher auch alle eine sehr ähn¬
liche Physiognomie, und ich kann mich bei der Charakterisirung derselben aus die
beiden vorzüglichsten beschränken: „das Lied des letzten Minstrel" und „die Jungfrau
am See;" ich möchte noch den Ivanhoe dazu rechnen, der zwar in Prosa gehalten
ist, aber seinem Wesen nach mit diesen Gedichten vollständig übereinstimmt, und
durch eine poetische Form nur gewonnen haben würde.

Das romantische Epos gehört zu jenen Zwittcrgattungen, die man in einem
Register der Poetik, nur schwer unterbringen kann. Das englische Epos der Art
hat mit dem italienischen und spanischen des 15. und 16. Jahrhunderts keine Ver¬
wandtschaft; diese bewegen sich ans einem rein phantastischen Gebiet und verstatten
der Phantasie eine viel größere Willkür, als selbst das griechische Epos, welches
sich doch immer innerhalb eines leicht übersehbaren Kreises bewegt und aus sehr be¬
stimmt festgehaltenen Sitten beruht; dagegen sind sie in ihrer Form rein episch.
Das romantische Gedicht der Engländer hat einen vorzugsweise lyrischen Charakter;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/58>, abgerufen am 09.01.2025.