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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Katholik geworden war. El" kurzer Aufenthalt in Berlin zeigte ihm Napoleon,
den Nvrmaltyrannen, nach dessen idcalistrtem Bilde er seinen "Attila, König der
Hunnen", dichtete, der 1808 in Berlin erschien. Von da ging er nach der Schweiz,
lernte deu nachmaligen König Ludwig von Baiern kennen, und hielt sich eine Zeit
lang auf dem Schlosse der Frau v. Staöl in Coppet auf, mit Schlegel, Oehlen-
schlägcr und Andern. Er fand in diesem Kreise eine vielseitige Anerkennung, so
wie auch in Weimar, wo er sich fünf Mouate aufhielt und von dem Herzog mit
einer Pension bedacht wurde. Nachdem er sein fünftes Trauerspiel, "Wanda",
herausgegeben hatte, ging er anf's Neue, 1809, auf einige Monate zur Frau von
StaÄ, vollendete dort die Stücke "die heilige Kunigunde" und "der 24. Februar",
die aber erst 18-I ö erschienen, und reiste dann auf deu Rath seiner Freundin nach
Italien. Ehe wir zu diesem Wendepunkte seines Lebens übergehen, richten wir
unsre Aufmerksamkeit noch einmal ans seine letzten poetischen Leistungen.

Die Tendenz des Attila ist, die Berechtigung eines starken und in sich
selbst sichern Gemüths nachzuweisen, in Zeiten allgemeiner Verderbniß als Geißel
Gottes aufzutreten. Attila, der Barbar, ist aus dem Uebermaß strenger Gerechtig¬
keit ein Verheerer der Welt geworden. DaS war die einzige Frucht, welche die
schreckliche Erscheinung Napoleons in Werners Gemüth erzeugte. Indessen wäre
der Gegensatz zwischen dem Barbaren, der trotz seiner ungeheuren Macht mit
schlichtem, geradem Sinn die Zerwürfnisse des Hochgebilderen, aber sittlich depra-
virten Römerreichs zerhaue, und in dessen Erscheinung das Schicksal die Bösen
ereilt, ein uicht unpoetischer Gedanke, wenn nicht Werner, indem er des Gute"
zu viel that, die ganze Anlage verdorben hätte. Er stellt uns Attila nicht blos
als einen streng gerechten, sondern,auch als einen empfindsamen Mann dar. Daß
er auch Diejenigen, die ihm am Nächsten stehen, wenn sie eine Sünde begangen
haben, streug bestrafen läßt, ist in der Ordnung; daß er aber sie vorher unter
Thränen umarmt, ehe er sie von Pferden zerreißen läßt, ist ein sentimentaler Zug,
der dem ganzen Bilde eine falsche Färbung giebt. Damit ist es aber noch nicht
einmal genug, er versinkt alle Augenblicke in tiefe Gedanken und Träume, schwärmt
für die. Freiheit der Welt, philosophirt über die Natur der Liebe, ganz so, wie
der Sohn der Wildniß, und dergleichen. Attila mußte entweder als naiver
Barbar geschildert werden, der doch durch seine einfache Stärke den entnervten
Römern gegenüber einen guten Eindruck machen konnte, oder als harter Fanatiker,
der sich von Scrupelu der Empfindung nicht anfechten ließ. -- Als Schatten
ist ihm zur Seite gegeben die Burguuderiu Hildegunde, deren Geliebten er er¬
schlagen hat, und die, um sich an ihm zu rächen, beschlossen hat, ihn in der Braut-
nacht zu ermorde". Vou ihren Rachegedanken ganz erfüllt, ist sie eine bloße
Abstraction geworden; sie hat sich den dunkeln Göttern geweiht, und zuckt jedes¬
mal krampfhaft zusammen, sobald das Wort "Licht" ausgesprochen wird; sie
schielt beständig mit "gräßlichen Seitenblicken" auf Attila, während sie ihn liebkost


Katholik geworden war. El» kurzer Aufenthalt in Berlin zeigte ihm Napoleon,
den Nvrmaltyrannen, nach dessen idcalistrtem Bilde er seinen „Attila, König der
Hunnen", dichtete, der 1808 in Berlin erschien. Von da ging er nach der Schweiz,
lernte deu nachmaligen König Ludwig von Baiern kennen, und hielt sich eine Zeit
lang auf dem Schlosse der Frau v. Staöl in Coppet auf, mit Schlegel, Oehlen-
schlägcr und Andern. Er fand in diesem Kreise eine vielseitige Anerkennung, so
wie auch in Weimar, wo er sich fünf Mouate aufhielt und von dem Herzog mit
einer Pension bedacht wurde. Nachdem er sein fünftes Trauerspiel, „Wanda",
herausgegeben hatte, ging er anf's Neue, 1809, auf einige Monate zur Frau von
StaÄ, vollendete dort die Stücke „die heilige Kunigunde" und „der 24. Februar",
die aber erst 18-I ö erschienen, und reiste dann auf deu Rath seiner Freundin nach
Italien. Ehe wir zu diesem Wendepunkte seines Lebens übergehen, richten wir
unsre Aufmerksamkeit noch einmal ans seine letzten poetischen Leistungen.

Die Tendenz des Attila ist, die Berechtigung eines starken und in sich
selbst sichern Gemüths nachzuweisen, in Zeiten allgemeiner Verderbniß als Geißel
Gottes aufzutreten. Attila, der Barbar, ist aus dem Uebermaß strenger Gerechtig¬
keit ein Verheerer der Welt geworden. DaS war die einzige Frucht, welche die
schreckliche Erscheinung Napoleons in Werners Gemüth erzeugte. Indessen wäre
der Gegensatz zwischen dem Barbaren, der trotz seiner ungeheuren Macht mit
schlichtem, geradem Sinn die Zerwürfnisse des Hochgebilderen, aber sittlich depra-
virten Römerreichs zerhaue, und in dessen Erscheinung das Schicksal die Bösen
ereilt, ein uicht unpoetischer Gedanke, wenn nicht Werner, indem er des Gute»
zu viel that, die ganze Anlage verdorben hätte. Er stellt uns Attila nicht blos
als einen streng gerechten, sondern,auch als einen empfindsamen Mann dar. Daß
er auch Diejenigen, die ihm am Nächsten stehen, wenn sie eine Sünde begangen
haben, streug bestrafen läßt, ist in der Ordnung; daß er aber sie vorher unter
Thränen umarmt, ehe er sie von Pferden zerreißen läßt, ist ein sentimentaler Zug,
der dem ganzen Bilde eine falsche Färbung giebt. Damit ist es aber noch nicht
einmal genug, er versinkt alle Augenblicke in tiefe Gedanken und Träume, schwärmt
für die. Freiheit der Welt, philosophirt über die Natur der Liebe, ganz so, wie
der Sohn der Wildniß, und dergleichen. Attila mußte entweder als naiver
Barbar geschildert werden, der doch durch seine einfache Stärke den entnervten
Römern gegenüber einen guten Eindruck machen konnte, oder als harter Fanatiker,
der sich von Scrupelu der Empfindung nicht anfechten ließ. — Als Schatten
ist ihm zur Seite gegeben die Burguuderiu Hildegunde, deren Geliebten er er¬
schlagen hat, und die, um sich an ihm zu rächen, beschlossen hat, ihn in der Braut-
nacht zu ermorde». Vou ihren Rachegedanken ganz erfüllt, ist sie eine bloße
Abstraction geworden; sie hat sich den dunkeln Göttern geweiht, und zuckt jedes¬
mal krampfhaft zusammen, sobald das Wort „Licht" ausgesprochen wird; sie
schielt beständig mit „gräßlichen Seitenblicken" auf Attila, während sie ihn liebkost


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[0510] Katholik geworden war. El» kurzer Aufenthalt in Berlin zeigte ihm Napoleon, den Nvrmaltyrannen, nach dessen idcalistrtem Bilde er seinen „Attila, König der Hunnen", dichtete, der 1808 in Berlin erschien. Von da ging er nach der Schweiz, lernte deu nachmaligen König Ludwig von Baiern kennen, und hielt sich eine Zeit lang auf dem Schlosse der Frau v. Staöl in Coppet auf, mit Schlegel, Oehlen- schlägcr und Andern. Er fand in diesem Kreise eine vielseitige Anerkennung, so wie auch in Weimar, wo er sich fünf Mouate aufhielt und von dem Herzog mit einer Pension bedacht wurde. Nachdem er sein fünftes Trauerspiel, „Wanda", herausgegeben hatte, ging er anf's Neue, 1809, auf einige Monate zur Frau von StaÄ, vollendete dort die Stücke „die heilige Kunigunde" und „der 24. Februar", die aber erst 18-I ö erschienen, und reiste dann auf deu Rath seiner Freundin nach Italien. Ehe wir zu diesem Wendepunkte seines Lebens übergehen, richten wir unsre Aufmerksamkeit noch einmal ans seine letzten poetischen Leistungen. Die Tendenz des Attila ist, die Berechtigung eines starken und in sich selbst sichern Gemüths nachzuweisen, in Zeiten allgemeiner Verderbniß als Geißel Gottes aufzutreten. Attila, der Barbar, ist aus dem Uebermaß strenger Gerechtig¬ keit ein Verheerer der Welt geworden. DaS war die einzige Frucht, welche die schreckliche Erscheinung Napoleons in Werners Gemüth erzeugte. Indessen wäre der Gegensatz zwischen dem Barbaren, der trotz seiner ungeheuren Macht mit schlichtem, geradem Sinn die Zerwürfnisse des Hochgebilderen, aber sittlich depra- virten Römerreichs zerhaue, und in dessen Erscheinung das Schicksal die Bösen ereilt, ein uicht unpoetischer Gedanke, wenn nicht Werner, indem er des Gute» zu viel that, die ganze Anlage verdorben hätte. Er stellt uns Attila nicht blos als einen streng gerechten, sondern,auch als einen empfindsamen Mann dar. Daß er auch Diejenigen, die ihm am Nächsten stehen, wenn sie eine Sünde begangen haben, streug bestrafen läßt, ist in der Ordnung; daß er aber sie vorher unter Thränen umarmt, ehe er sie von Pferden zerreißen läßt, ist ein sentimentaler Zug, der dem ganzen Bilde eine falsche Färbung giebt. Damit ist es aber noch nicht einmal genug, er versinkt alle Augenblicke in tiefe Gedanken und Träume, schwärmt für die. Freiheit der Welt, philosophirt über die Natur der Liebe, ganz so, wie der Sohn der Wildniß, und dergleichen. Attila mußte entweder als naiver Barbar geschildert werden, der doch durch seine einfache Stärke den entnervten Römern gegenüber einen guten Eindruck machen konnte, oder als harter Fanatiker, der sich von Scrupelu der Empfindung nicht anfechten ließ. — Als Schatten ist ihm zur Seite gegeben die Burguuderiu Hildegunde, deren Geliebten er er¬ schlagen hat, und die, um sich an ihm zu rächen, beschlossen hat, ihn in der Braut- nacht zu ermorde». Vou ihren Rachegedanken ganz erfüllt, ist sie eine bloße Abstraction geworden; sie hat sich den dunkeln Göttern geweiht, und zuckt jedes¬ mal krampfhaft zusammen, sobald das Wort „Licht" ausgesprochen wird; sie schielt beständig mit „gräßlichen Seitenblicken" auf Attila, während sie ihn liebkost

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/510>, abgerufen am 01.09.2024.