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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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übergegangen ist. Dagegen zeigt sich sein unhistorischer Sinn in der Einmischung
von halb mystischen, halb sentimentalen Momenten in die derbe, sehr reale Gestalt
des Deutschen Reformators; nicht allein ist aus der Ehe mit Katharina von Bora
ein somnambules Verhältniß gemacht, welches sich mit seinen Träumen, Visionen
und dergleichen schon tief ins Klosterleben hinein ausdehnt, sondern es sind neben
den halbheiligen Gestalten Luther's und Katharina's auch wieder ein Paar über¬
heilige hinzugefügt, nämlich zwei Kinder, die in Liebe zu einander ausgehen,
die aber eigentlich Nichts sind als verkappte Seraphe und Luther's Schutzgeister.
Die Eine spricht und singt beständig von der Hyacinthe, der Andere vom Kar¬
funkel, und Katharina, so wie ihre Aebtissin, Luther und seine Freunde stimmen
in diese Karfnnkelpoesie so lebhaft ein, daß zuletzt eine wüste mystische Atmosphäre
das historisch-dramatische Gemälde vollständig überschleiert. Ich darf wol kaum
hinzusetzen, daß auch hier das doctrinaire Interesse überwiegend ist, da sich der
Stoff doch eigentlich nicht sür das Drama eignet, und daß die Verklärung der
Reformation aus sehr unprvtestantischen Motiven hergeleitet wird. Es ist, als
ob zwei entgegengesetzte Naturen in diesem Dichter mit einander streiten; in den
Phrasen herrscht überall die Mystik, aber in den Figuren drängt sich alle Augen¬
blicke die ursprünglich realistische Natur hervor.

In seinem Leben war es ähnlich. In seinen Tagebüchern, die zum Theil
sehr ausführlich sind, ist es zuweilen sehr spaßhaft, wie dicht neben dem gemeinsten
Cynismus die erhabenste Ueberschwenglichkeit sich brüstet, und wie mit der näm¬
lichen Ausführlichkeit der Act des Nasirens und Anderes, was wir hier nicht er¬
wähnen wollen, aufgezeichnet ist, wie das Gebet und die Meditation. In seinem
Leben in Berlin herrschte die Liederlichkeit vor; er trieb sich zwischen Aus¬
schweifungen und Gewissensbissen umher, bis die Unsicherheit aller Verhältnisse
nach dem Einzug der Franzosen ihn unruhig machte; er verließ Berlin und ging
über Dresden und Prag uach Wie", wo ihn zwar die Gemüthlichkeit des Volks
sehr anzog, wo er aber die sonderbare Erfahrung machen mußte, daß man ihn
eigentlich wegen seiner aufgeklärten protestantischen Grundsätze schätzte, daß man
nach der protestantischen Berliner Bildung wie nach einem Ideal hiMickte.
"Wenn ich mir nun dazu denke," sagt er, "daß Berlin seinerseits wieder Porstel's
Gesangbuch im Nähbeutel mit nach dem Thiergarten nimmt, und der Strahl des
katholisch-platonischen Glaubens immer tiefer in die Berlinischen, ohnehin von
Natur schon so tiefen GeheimrathSmamsells dringt, so glaube ich, daß ganz
Deutschland ein Tollhaus ist, und mochte gleich morgen mich mit der ersten besten
Gelegenheit aufpacken und nach Italien reisen, nicht um dort, wo auch Tollheiten
genug sind, zu wirken, sondern um unter Trümmern und Blüthen Alles und
mich selbst zu vergessen."

Eine Reise nach München machte ihn mit Jakobi und Schelling, eine Reise
nach Weimar mit Goethe bekannt, den er hoch verehrte, auch noch, als er bereits


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übergegangen ist. Dagegen zeigt sich sein unhistorischer Sinn in der Einmischung
von halb mystischen, halb sentimentalen Momenten in die derbe, sehr reale Gestalt
des Deutschen Reformators; nicht allein ist aus der Ehe mit Katharina von Bora
ein somnambules Verhältniß gemacht, welches sich mit seinen Träumen, Visionen
und dergleichen schon tief ins Klosterleben hinein ausdehnt, sondern es sind neben
den halbheiligen Gestalten Luther's und Katharina's auch wieder ein Paar über¬
heilige hinzugefügt, nämlich zwei Kinder, die in Liebe zu einander ausgehen,
die aber eigentlich Nichts sind als verkappte Seraphe und Luther's Schutzgeister.
Die Eine spricht und singt beständig von der Hyacinthe, der Andere vom Kar¬
funkel, und Katharina, so wie ihre Aebtissin, Luther und seine Freunde stimmen
in diese Karfnnkelpoesie so lebhaft ein, daß zuletzt eine wüste mystische Atmosphäre
das historisch-dramatische Gemälde vollständig überschleiert. Ich darf wol kaum
hinzusetzen, daß auch hier das doctrinaire Interesse überwiegend ist, da sich der
Stoff doch eigentlich nicht sür das Drama eignet, und daß die Verklärung der
Reformation aus sehr unprvtestantischen Motiven hergeleitet wird. Es ist, als
ob zwei entgegengesetzte Naturen in diesem Dichter mit einander streiten; in den
Phrasen herrscht überall die Mystik, aber in den Figuren drängt sich alle Augen¬
blicke die ursprünglich realistische Natur hervor.

In seinem Leben war es ähnlich. In seinen Tagebüchern, die zum Theil
sehr ausführlich sind, ist es zuweilen sehr spaßhaft, wie dicht neben dem gemeinsten
Cynismus die erhabenste Ueberschwenglichkeit sich brüstet, und wie mit der näm¬
lichen Ausführlichkeit der Act des Nasirens und Anderes, was wir hier nicht er¬
wähnen wollen, aufgezeichnet ist, wie das Gebet und die Meditation. In seinem
Leben in Berlin herrschte die Liederlichkeit vor; er trieb sich zwischen Aus¬
schweifungen und Gewissensbissen umher, bis die Unsicherheit aller Verhältnisse
nach dem Einzug der Franzosen ihn unruhig machte; er verließ Berlin und ging
über Dresden und Prag uach Wie», wo ihn zwar die Gemüthlichkeit des Volks
sehr anzog, wo er aber die sonderbare Erfahrung machen mußte, daß man ihn
eigentlich wegen seiner aufgeklärten protestantischen Grundsätze schätzte, daß man
nach der protestantischen Berliner Bildung wie nach einem Ideal hiMickte.
„Wenn ich mir nun dazu denke," sagt er, „daß Berlin seinerseits wieder Porstel's
Gesangbuch im Nähbeutel mit nach dem Thiergarten nimmt, und der Strahl des
katholisch-platonischen Glaubens immer tiefer in die Berlinischen, ohnehin von
Natur schon so tiefen GeheimrathSmamsells dringt, so glaube ich, daß ganz
Deutschland ein Tollhaus ist, und mochte gleich morgen mich mit der ersten besten
Gelegenheit aufpacken und nach Italien reisen, nicht um dort, wo auch Tollheiten
genug sind, zu wirken, sondern um unter Trümmern und Blüthen Alles und
mich selbst zu vergessen."

Eine Reise nach München machte ihn mit Jakobi und Schelling, eine Reise
nach Weimar mit Goethe bekannt, den er hoch verehrte, auch noch, als er bereits


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[0509] übergegangen ist. Dagegen zeigt sich sein unhistorischer Sinn in der Einmischung von halb mystischen, halb sentimentalen Momenten in die derbe, sehr reale Gestalt des Deutschen Reformators; nicht allein ist aus der Ehe mit Katharina von Bora ein somnambules Verhältniß gemacht, welches sich mit seinen Träumen, Visionen und dergleichen schon tief ins Klosterleben hinein ausdehnt, sondern es sind neben den halbheiligen Gestalten Luther's und Katharina's auch wieder ein Paar über¬ heilige hinzugefügt, nämlich zwei Kinder, die in Liebe zu einander ausgehen, die aber eigentlich Nichts sind als verkappte Seraphe und Luther's Schutzgeister. Die Eine spricht und singt beständig von der Hyacinthe, der Andere vom Kar¬ funkel, und Katharina, so wie ihre Aebtissin, Luther und seine Freunde stimmen in diese Karfnnkelpoesie so lebhaft ein, daß zuletzt eine wüste mystische Atmosphäre das historisch-dramatische Gemälde vollständig überschleiert. Ich darf wol kaum hinzusetzen, daß auch hier das doctrinaire Interesse überwiegend ist, da sich der Stoff doch eigentlich nicht sür das Drama eignet, und daß die Verklärung der Reformation aus sehr unprvtestantischen Motiven hergeleitet wird. Es ist, als ob zwei entgegengesetzte Naturen in diesem Dichter mit einander streiten; in den Phrasen herrscht überall die Mystik, aber in den Figuren drängt sich alle Augen¬ blicke die ursprünglich realistische Natur hervor. In seinem Leben war es ähnlich. In seinen Tagebüchern, die zum Theil sehr ausführlich sind, ist es zuweilen sehr spaßhaft, wie dicht neben dem gemeinsten Cynismus die erhabenste Ueberschwenglichkeit sich brüstet, und wie mit der näm¬ lichen Ausführlichkeit der Act des Nasirens und Anderes, was wir hier nicht er¬ wähnen wollen, aufgezeichnet ist, wie das Gebet und die Meditation. In seinem Leben in Berlin herrschte die Liederlichkeit vor; er trieb sich zwischen Aus¬ schweifungen und Gewissensbissen umher, bis die Unsicherheit aller Verhältnisse nach dem Einzug der Franzosen ihn unruhig machte; er verließ Berlin und ging über Dresden und Prag uach Wie», wo ihn zwar die Gemüthlichkeit des Volks sehr anzog, wo er aber die sonderbare Erfahrung machen mußte, daß man ihn eigentlich wegen seiner aufgeklärten protestantischen Grundsätze schätzte, daß man nach der protestantischen Berliner Bildung wie nach einem Ideal hiMickte. „Wenn ich mir nun dazu denke," sagt er, „daß Berlin seinerseits wieder Porstel's Gesangbuch im Nähbeutel mit nach dem Thiergarten nimmt, und der Strahl des katholisch-platonischen Glaubens immer tiefer in die Berlinischen, ohnehin von Natur schon so tiefen GeheimrathSmamsells dringt, so glaube ich, daß ganz Deutschland ein Tollhaus ist, und mochte gleich morgen mich mit der ersten besten Gelegenheit aufpacken und nach Italien reisen, nicht um dort, wo auch Tollheiten genug sind, zu wirken, sondern um unter Trümmern und Blüthen Alles und mich selbst zu vergessen." Eine Reise nach München machte ihn mit Jakobi und Schelling, eine Reise nach Weimar mit Goethe bekannt, den er hoch verehrte, auch noch, als er bereits Grenzboten. !l. I8S1. KZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/509>, abgerufen am 27.07.2024.