Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Tischlern trägt kein Wappen, sein Name kein Von; nur in der Uebereilung be¬
schenkt ihn bisweilen das Präsidium damit.

Das Präsidium führt, seitdem das Publicum in die hohe Kammer dringt,
Freiherr Schenk von Stauffenberg, sehr bequem im breiten Armstuhl gelagert.
In der Vicepräsidentenwahl war die Kammer nothgedrungen minder conservativ.
Da der morgenröthliche Minister und lebenslängliche Reichsrath Frech, v. Zu-Rhein
als Würzburger Regierungspräsident nicht regelmäßig anwesend sein konnte, wählte
man schon 18i9 den Grafen Carl von Seinsheim, nicht minder bekannt durch
seine Apologie der Prügelstrafe in den dreißiger Jahren, als durch seine Ver¬
waltung des Finauzministeriums in den Vierzigern und seiue Kammerrede in den
fünfzigern. Er sitzt am Fuße des Bureaus in einem Armsessel und bildet ge¬
wissermaßen die Mittelstation zwischen dem Präsidenten und dem ersten Reichsrath
königlichen Geblütes. Noch spricht er nicht, aber gewiß bald. Der Präsident
verliest unterdessen mit gelangweilter Eile die Präsensliste, welche von 39 Mit¬
gliedern selten viel mehr als die nothwendige Hälfte ergiebt. Nur als man 18i9
und 18S0 die Versicherungen der Adresse von 18i8 durch Beschränkung der
Amnestie, durch Verwerfung der Judenemancipation, durch Verschärfung des
Preß- und Vereinsgesetzes, durch Verkrüppelung des Gerichtsorganisationsgesetzes,
und im Jahre -I8ö-I durch Bekämpfung des Notariatsgesetzes bewahrheitete --
da waren die Pairs in größerer Anzahl vereint. Die gelangweilte Eile des
Prästdialvortrags in Haltung und Ton dauert auch fort, wenn die Berathungs¬
gegenstände selbst zur Sprache kommen. Anderwärts könnte dies Wunder nehmen,
hier nicht. Schon das äußere Ansehen sagt ja deutlich, daß der Präsident nur
eine peinliche Gesellschastspflicht erfüllt. Man kann sich den Mann eigentlich
gar nicht anders denken, denn zu Pferd, oder mit der Flinte über dem Rücken
an der Spitze eines Jagdzngs. Selbst das Gesicht, obgleich ans einem modern
eleganten Körper sitzend, sieht ans, als wär's aus einem Ahnenbild in Stahl und
Harnisch unversehens hiehergekommen. Und dann weiß er ja, wie dem eigent¬
lichen Kerne der hohen Versammlung, schon während der Berichterstatter des Aus¬
schusses sein Referat verliest, und vollends, wenn er's erläutert, die peinigendste
Langeweile sich mittheilt. Er weiß es ja, daß man in gewöhnlichen Fällen dies
Alles nur der Form, der "untern Schwesterkammer", des Publicums, vielleicht
beiläufig auch der Journalisten halber, abmacht. Drinnen im Versammlungs¬
zimmer ist schon festgestellt, wie man stimmen will; man braucht den Bericht¬
erstatter gar nicht zu hören, noch viel weniger einen Redner sür oder wider zu
incommodireu; das Präsidium könnte durch den Kanzleidirector das Ergebniß
ohne Sitzung mit zwei Worten notiren lassen.... Endlich ist der Bericht er¬
stattet. "Wenn Niemand mehr das Wort verlangt, so ist die Debatte geschlossen,
und wir schreiten zur Abstimmung." Die Eile und Lebhaftigkeit, womit diese
Worte der letzten Sylbe des Berichterstatters folgen, die Unmöglichkeit zwischen


69*

Tischlern trägt kein Wappen, sein Name kein Von; nur in der Uebereilung be¬
schenkt ihn bisweilen das Präsidium damit.

Das Präsidium führt, seitdem das Publicum in die hohe Kammer dringt,
Freiherr Schenk von Stauffenberg, sehr bequem im breiten Armstuhl gelagert.
In der Vicepräsidentenwahl war die Kammer nothgedrungen minder conservativ.
Da der morgenröthliche Minister und lebenslängliche Reichsrath Frech, v. Zu-Rhein
als Würzburger Regierungspräsident nicht regelmäßig anwesend sein konnte, wählte
man schon 18i9 den Grafen Carl von Seinsheim, nicht minder bekannt durch
seine Apologie der Prügelstrafe in den dreißiger Jahren, als durch seine Ver¬
waltung des Finauzministeriums in den Vierzigern und seiue Kammerrede in den
fünfzigern. Er sitzt am Fuße des Bureaus in einem Armsessel und bildet ge¬
wissermaßen die Mittelstation zwischen dem Präsidenten und dem ersten Reichsrath
königlichen Geblütes. Noch spricht er nicht, aber gewiß bald. Der Präsident
verliest unterdessen mit gelangweilter Eile die Präsensliste, welche von 39 Mit¬
gliedern selten viel mehr als die nothwendige Hälfte ergiebt. Nur als man 18i9
und 18S0 die Versicherungen der Adresse von 18i8 durch Beschränkung der
Amnestie, durch Verwerfung der Judenemancipation, durch Verschärfung des
Preß- und Vereinsgesetzes, durch Verkrüppelung des Gerichtsorganisationsgesetzes,
und im Jahre -I8ö-I durch Bekämpfung des Notariatsgesetzes bewahrheitete —
da waren die Pairs in größerer Anzahl vereint. Die gelangweilte Eile des
Prästdialvortrags in Haltung und Ton dauert auch fort, wenn die Berathungs¬
gegenstände selbst zur Sprache kommen. Anderwärts könnte dies Wunder nehmen,
hier nicht. Schon das äußere Ansehen sagt ja deutlich, daß der Präsident nur
eine peinliche Gesellschastspflicht erfüllt. Man kann sich den Mann eigentlich
gar nicht anders denken, denn zu Pferd, oder mit der Flinte über dem Rücken
an der Spitze eines Jagdzngs. Selbst das Gesicht, obgleich ans einem modern
eleganten Körper sitzend, sieht ans, als wär's aus einem Ahnenbild in Stahl und
Harnisch unversehens hiehergekommen. Und dann weiß er ja, wie dem eigent¬
lichen Kerne der hohen Versammlung, schon während der Berichterstatter des Aus¬
schusses sein Referat verliest, und vollends, wenn er's erläutert, die peinigendste
Langeweile sich mittheilt. Er weiß es ja, daß man in gewöhnlichen Fällen dies
Alles nur der Form, der „untern Schwesterkammer", des Publicums, vielleicht
beiläufig auch der Journalisten halber, abmacht. Drinnen im Versammlungs¬
zimmer ist schon festgestellt, wie man stimmen will; man braucht den Bericht¬
erstatter gar nicht zu hören, noch viel weniger einen Redner sür oder wider zu
incommodireu; das Präsidium könnte durch den Kanzleidirector das Ergebniß
ohne Sitzung mit zwei Worten notiren lassen.... Endlich ist der Bericht er¬
stattet. „Wenn Niemand mehr das Wort verlangt, so ist die Debatte geschlossen,
und wir schreiten zur Abstimmung." Die Eile und Lebhaftigkeit, womit diese
Worte der letzten Sylbe des Berichterstatters folgen, die Unmöglichkeit zwischen


69*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91672"/>
          <p xml:id="ID_1296" prev="#ID_1295"> Tischlern trägt kein Wappen, sein Name kein Von; nur in der Uebereilung be¬<lb/>
schenkt ihn bisweilen das Präsidium damit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1297" next="#ID_1298"> Das Präsidium führt, seitdem das Publicum in die hohe Kammer dringt,<lb/>
Freiherr Schenk von Stauffenberg, sehr bequem im breiten Armstuhl gelagert.<lb/>
In der Vicepräsidentenwahl war die Kammer nothgedrungen minder conservativ.<lb/>
Da der morgenröthliche Minister und lebenslängliche Reichsrath Frech, v. Zu-Rhein<lb/>
als Würzburger Regierungspräsident nicht regelmäßig anwesend sein konnte, wählte<lb/>
man schon 18i9 den Grafen Carl von Seinsheim, nicht minder bekannt durch<lb/>
seine Apologie der Prügelstrafe in den dreißiger Jahren, als durch seine Ver¬<lb/>
waltung des Finauzministeriums in den Vierzigern und seiue Kammerrede in den<lb/>
fünfzigern. Er sitzt am Fuße des Bureaus in einem Armsessel und bildet ge¬<lb/>
wissermaßen die Mittelstation zwischen dem Präsidenten und dem ersten Reichsrath<lb/>
königlichen Geblütes. Noch spricht er nicht, aber gewiß bald. Der Präsident<lb/>
verliest unterdessen mit gelangweilter Eile die Präsensliste, welche von 39 Mit¬<lb/>
gliedern selten viel mehr als die nothwendige Hälfte ergiebt. Nur als man 18i9<lb/>
und 18S0 die Versicherungen der Adresse von 18i8 durch Beschränkung der<lb/>
Amnestie, durch Verwerfung der Judenemancipation, durch Verschärfung des<lb/>
Preß- und Vereinsgesetzes, durch Verkrüppelung des Gerichtsorganisationsgesetzes,<lb/>
und im Jahre -I8ö-I durch Bekämpfung des Notariatsgesetzes bewahrheitete &#x2014;<lb/>
da waren die Pairs in größerer Anzahl vereint. Die gelangweilte Eile des<lb/>
Prästdialvortrags in Haltung und Ton dauert auch fort, wenn die Berathungs¬<lb/>
gegenstände selbst zur Sprache kommen. Anderwärts könnte dies Wunder nehmen,<lb/>
hier nicht. Schon das äußere Ansehen sagt ja deutlich, daß der Präsident nur<lb/>
eine peinliche Gesellschastspflicht erfüllt. Man kann sich den Mann eigentlich<lb/>
gar nicht anders denken, denn zu Pferd, oder mit der Flinte über dem Rücken<lb/>
an der Spitze eines Jagdzngs. Selbst das Gesicht, obgleich ans einem modern<lb/>
eleganten Körper sitzend, sieht ans, als wär's aus einem Ahnenbild in Stahl und<lb/>
Harnisch unversehens hiehergekommen. Und dann weiß er ja, wie dem eigent¬<lb/>
lichen Kerne der hohen Versammlung, schon während der Berichterstatter des Aus¬<lb/>
schusses sein Referat verliest, und vollends, wenn er's erläutert, die peinigendste<lb/>
Langeweile sich mittheilt. Er weiß es ja, daß man in gewöhnlichen Fällen dies<lb/>
Alles nur der Form, der &#x201E;untern Schwesterkammer", des Publicums, vielleicht<lb/>
beiläufig auch der Journalisten halber, abmacht. Drinnen im Versammlungs¬<lb/>
zimmer ist schon festgestellt, wie man stimmen will; man braucht den Bericht¬<lb/>
erstatter gar nicht zu hören, noch viel weniger einen Redner sür oder wider zu<lb/>
incommodireu; das Präsidium könnte durch den Kanzleidirector das Ergebniß<lb/>
ohne Sitzung mit zwei Worten notiren lassen.... Endlich ist der Bericht er¬<lb/>
stattet. &#x201E;Wenn Niemand mehr das Wort verlangt, so ist die Debatte geschlossen,<lb/>
und wir schreiten zur Abstimmung." Die Eile und Lebhaftigkeit, womit diese<lb/>
Worte der letzten Sylbe des Berichterstatters folgen, die Unmöglichkeit zwischen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 69*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0479] Tischlern trägt kein Wappen, sein Name kein Von; nur in der Uebereilung be¬ schenkt ihn bisweilen das Präsidium damit. Das Präsidium führt, seitdem das Publicum in die hohe Kammer dringt, Freiherr Schenk von Stauffenberg, sehr bequem im breiten Armstuhl gelagert. In der Vicepräsidentenwahl war die Kammer nothgedrungen minder conservativ. Da der morgenröthliche Minister und lebenslängliche Reichsrath Frech, v. Zu-Rhein als Würzburger Regierungspräsident nicht regelmäßig anwesend sein konnte, wählte man schon 18i9 den Grafen Carl von Seinsheim, nicht minder bekannt durch seine Apologie der Prügelstrafe in den dreißiger Jahren, als durch seine Ver¬ waltung des Finauzministeriums in den Vierzigern und seiue Kammerrede in den fünfzigern. Er sitzt am Fuße des Bureaus in einem Armsessel und bildet ge¬ wissermaßen die Mittelstation zwischen dem Präsidenten und dem ersten Reichsrath königlichen Geblütes. Noch spricht er nicht, aber gewiß bald. Der Präsident verliest unterdessen mit gelangweilter Eile die Präsensliste, welche von 39 Mit¬ gliedern selten viel mehr als die nothwendige Hälfte ergiebt. Nur als man 18i9 und 18S0 die Versicherungen der Adresse von 18i8 durch Beschränkung der Amnestie, durch Verwerfung der Judenemancipation, durch Verschärfung des Preß- und Vereinsgesetzes, durch Verkrüppelung des Gerichtsorganisationsgesetzes, und im Jahre -I8ö-I durch Bekämpfung des Notariatsgesetzes bewahrheitete — da waren die Pairs in größerer Anzahl vereint. Die gelangweilte Eile des Prästdialvortrags in Haltung und Ton dauert auch fort, wenn die Berathungs¬ gegenstände selbst zur Sprache kommen. Anderwärts könnte dies Wunder nehmen, hier nicht. Schon das äußere Ansehen sagt ja deutlich, daß der Präsident nur eine peinliche Gesellschastspflicht erfüllt. Man kann sich den Mann eigentlich gar nicht anders denken, denn zu Pferd, oder mit der Flinte über dem Rücken an der Spitze eines Jagdzngs. Selbst das Gesicht, obgleich ans einem modern eleganten Körper sitzend, sieht ans, als wär's aus einem Ahnenbild in Stahl und Harnisch unversehens hiehergekommen. Und dann weiß er ja, wie dem eigent¬ lichen Kerne der hohen Versammlung, schon während der Berichterstatter des Aus¬ schusses sein Referat verliest, und vollends, wenn er's erläutert, die peinigendste Langeweile sich mittheilt. Er weiß es ja, daß man in gewöhnlichen Fällen dies Alles nur der Form, der „untern Schwesterkammer", des Publicums, vielleicht beiläufig auch der Journalisten halber, abmacht. Drinnen im Versammlungs¬ zimmer ist schon festgestellt, wie man stimmen will; man braucht den Bericht¬ erstatter gar nicht zu hören, noch viel weniger einen Redner sür oder wider zu incommodireu; das Präsidium könnte durch den Kanzleidirector das Ergebniß ohne Sitzung mit zwei Worten notiren lassen.... Endlich ist der Bericht er¬ stattet. „Wenn Niemand mehr das Wort verlangt, so ist die Debatte geschlossen, und wir schreiten zur Abstimmung." Die Eile und Lebhaftigkeit, womit diese Worte der letzten Sylbe des Berichterstatters folgen, die Unmöglichkeit zwischen 69*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/479
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/479>, abgerufen am 27.07.2024.