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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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als er paulskirchlich abgeschafft war, wie heute vergnüglich der wiedergekehrten alten
guten Zeit entgegen. Darum war Einem auch immer in den Jahren der "be¬
trübenden Vorgänge", als verkehre der bewegliche Mann hier nicht für Lebendige,
sondern ordne fein säuberlich einen Gedächtnißdienst für Abgeschiedene. Der vorhin
erwähnte"Katafalk ist auch wirklich kein Katafalk, sondern der erhöhte Präsidentensitz
gerade vor dem mittelsten der drei Fenster, und die Betschemel, welche von da
in je vier Reihen zu beiden Seiten des Saales herablaufen, siud blau überzogene,
silberfarbig gesäumte Sitze der Senatoren. Vor jedem breitet sich aber eine roth¬
braune Platte, worauf in bunten Farben und zierlichen Formen das alte oder
neue Wappen des sitzbegabten Geschlechtes und Mannes prangt. Dies sieht
täuschend ans, wie renovirte Grabsteine aus der guten Zeit des schlechten Geschmacks,
welche bekanntlich ebenfalls gemalt waren. Erst später bemerkte man verwundert,
daß es Arbeitstischlein. Denn selbst die wenig lockende Aussicht durch jene drei
Fenster auf verwittertes Gemäuer eines engen Hofes hatte etwas Gruftartiges,
und in den grünseidenen Halbvorhängen, welche consequent den untern Theil der
Fenster verschließen, dadurch die purpurne Düsterung noch düsterer machen, erkennen
wir erst jetzt Abwehrmittel gegen einen solchen Anblick, nicht etwa gegen das Tages-
licht oder gar gegen Sonnenhelle, welche überhaupt höchstens beim Untergange
ihre Scheidestrahlen Hieher werfen könnte ....

Da plötzlich rauscht ein breites Murmeln gerade unter uns auf, wo bisher
höchstens leise flüsternde Hauche säuselten, da am Eingange des Saales, unserm
Auge verborgen, die profanen Reporters ihre Loge haben. Dem Murmeln folgen
zwei blaue, goldbetreßte Männer, den dreieckigen Hut unter dem Arme, den
Paradedegen an der Seite. Ungefähr bis zur Mitte des Saales vorgeschritten,
stehen sie still und machen Front gegen einander. Zwischen ihnen hindurch bewegt
sich hierauf eine Schaar befrackter Männer, jetzt wieder mit vielen Ordens¬
zeichen, ehemals ohne diese, ja sogar mitunter im farbigen und nur halbseierlichen
Kleide. In der Ordnung, wie sie kommen, nehmen sie auch ihre Plätze. In
der ersten Reihe, rechts vom Bureau und ihm am Nächsten, die königlichen Prinzen;
ihnen gerade gegenüber die Minister. Die nächsten Nachbarn der Prinzen von
Geblüt sind Fürst Thurn und Taxis, die Erzbischöfe von Bamberg und München ;
dann eine Reihe constaut leerer Plätze, welche eigentlich von gräflichen und fürst¬
lichen Standesherren eingenommen sein sollten. Die übrigen "erblichen und solche,
welche nach dem Gesetz vom 9. März 1828 den erblichen gleich zu achten sind",
folgen in den hintern Reihen bis an die Wand dieser Seite. Der Präsident
des protestantischen Oberconflstoriums ist jedoch erst der achtundzwanzigste und
des Bischofs von Eichstädt Nachbar. Ans die Seite des Ministertisches kommen
die Reste der Erblichen, reichsräthlich minderen Grades; hinter ihnen die lebens¬
länglichen, deren Schluß der Oberappellatiousgerichtspräsident Staatsrath Friedrich
Heintz bildet, seitdem er den Marterstuhl des Ministertisches verlassen. Sein


als er paulskirchlich abgeschafft war, wie heute vergnüglich der wiedergekehrten alten
guten Zeit entgegen. Darum war Einem auch immer in den Jahren der „be¬
trübenden Vorgänge", als verkehre der bewegliche Mann hier nicht für Lebendige,
sondern ordne fein säuberlich einen Gedächtnißdienst für Abgeschiedene. Der vorhin
erwähnte"Katafalk ist auch wirklich kein Katafalk, sondern der erhöhte Präsidentensitz
gerade vor dem mittelsten der drei Fenster, und die Betschemel, welche von da
in je vier Reihen zu beiden Seiten des Saales herablaufen, siud blau überzogene,
silberfarbig gesäumte Sitze der Senatoren. Vor jedem breitet sich aber eine roth¬
braune Platte, worauf in bunten Farben und zierlichen Formen das alte oder
neue Wappen des sitzbegabten Geschlechtes und Mannes prangt. Dies sieht
täuschend ans, wie renovirte Grabsteine aus der guten Zeit des schlechten Geschmacks,
welche bekanntlich ebenfalls gemalt waren. Erst später bemerkte man verwundert,
daß es Arbeitstischlein. Denn selbst die wenig lockende Aussicht durch jene drei
Fenster auf verwittertes Gemäuer eines engen Hofes hatte etwas Gruftartiges,
und in den grünseidenen Halbvorhängen, welche consequent den untern Theil der
Fenster verschließen, dadurch die purpurne Düsterung noch düsterer machen, erkennen
wir erst jetzt Abwehrmittel gegen einen solchen Anblick, nicht etwa gegen das Tages-
licht oder gar gegen Sonnenhelle, welche überhaupt höchstens beim Untergange
ihre Scheidestrahlen Hieher werfen könnte ....

Da plötzlich rauscht ein breites Murmeln gerade unter uns auf, wo bisher
höchstens leise flüsternde Hauche säuselten, da am Eingange des Saales, unserm
Auge verborgen, die profanen Reporters ihre Loge haben. Dem Murmeln folgen
zwei blaue, goldbetreßte Männer, den dreieckigen Hut unter dem Arme, den
Paradedegen an der Seite. Ungefähr bis zur Mitte des Saales vorgeschritten,
stehen sie still und machen Front gegen einander. Zwischen ihnen hindurch bewegt
sich hierauf eine Schaar befrackter Männer, jetzt wieder mit vielen Ordens¬
zeichen, ehemals ohne diese, ja sogar mitunter im farbigen und nur halbseierlichen
Kleide. In der Ordnung, wie sie kommen, nehmen sie auch ihre Plätze. In
der ersten Reihe, rechts vom Bureau und ihm am Nächsten, die königlichen Prinzen;
ihnen gerade gegenüber die Minister. Die nächsten Nachbarn der Prinzen von
Geblüt sind Fürst Thurn und Taxis, die Erzbischöfe von Bamberg und München ;
dann eine Reihe constaut leerer Plätze, welche eigentlich von gräflichen und fürst¬
lichen Standesherren eingenommen sein sollten. Die übrigen „erblichen und solche,
welche nach dem Gesetz vom 9. März 1828 den erblichen gleich zu achten sind",
folgen in den hintern Reihen bis an die Wand dieser Seite. Der Präsident
des protestantischen Oberconflstoriums ist jedoch erst der achtundzwanzigste und
des Bischofs von Eichstädt Nachbar. Ans die Seite des Ministertisches kommen
die Reste der Erblichen, reichsräthlich minderen Grades; hinter ihnen die lebens¬
länglichen, deren Schluß der Oberappellatiousgerichtspräsident Staatsrath Friedrich
Heintz bildet, seitdem er den Marterstuhl des Ministertisches verlassen. Sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/478>, abgerufen am 27.07.2024.