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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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wandbreiten an den Flüssen ausgespannt, um mit dem klaren Bergwasser zu blei¬
chen. Wohlhabende Leute aus dem Flachlande oder, wie man hier schlechtweg
sagt, ans dem Lande, verdingen deshalb ihr Leinen Hieher; der rauhe Harz selbst
kennt den Flachsbau mit seinem blauen, wogenden Blüthenmeere nicht.

Wenig Obst und Korn, worunter mau auf dem Harze bescheiden nur
den Roggen versteht, noch weniger Weizen gedeiht in diesem Klima; desto mehr stehen
Blumen, Wald und Wiesen in Flor. Pflanzensammler, zum Theil uicht ungebil¬
dete Leute, verdorbene Oekonomen und dergl. durchziehen, ihr Bündel mit offici-
nellen Kräutern auf dem Rücken, das ganze Gebirge und haben in den Städten
am Fuße desselben die Niederlage für ihr Geschäft und ihren Handel, der sie
jedoch jetzt nur noch dürftig ernährt. Auch der Botaniker, der mit seiner grünen
langen Kapsel selten an einem Wirthshause vorbeigeht, ist keine seltene Erscheinung,
und er findet unter Anderm die Waldanimone, die Steinnelke und verschiedene
Ranunkeln. Der Ertrag an Beeren ist so überreich, daß er als ein theilweiser
Ersatz für den Mangel an Korn betrachtet werden kann; am Häufigsten sind die rothe
Kronsbeere (Preißelbeere) und die blaue Heilebeerc (Heidelbeere). Beide werde"
von den Harzträgerinnen ins offene Land hinabgetragen, die rothe Kronsbeere
zum Einmachen für die Honoratioren und Gastwirthe, die blaue Heidelbeere,
als Leckerbissen zum Rohessen, auf die großen Bauernhöfe, wo man Hede oder
gar ein wenig Flachs dafür eintauscht. Auch an Haselnüssen ist kein Mangel,
und die Zeit der Nußlese ist für Alt und Jung hier ein ähnliches Fest, wie in
mildern Gegenden die Weinlese. Die Baumarten wechseln im Unterharz sehr
häufig, und man kommt zuweilen in den Wäldern ans hochgelegene lichtere Plätze,
wo die verschiedenartigsten Bäume, alle groß und schön gewachsen, nahe bei
einander stehen, was einen sehr prächtigen Anblick gewährt. Da findet man
neben einander die Hainbuche, den Ahorn, die Esche, Ulme, Birke, und jeden¬
falls fehlt auch die Rothbuche nicht, welche bei all diesem Baumreichthnm am
Unterharz vorherrscht. An den mildesten Punkten stehen Linden, wilde Kastanien
und Espen. Am Oberharz findet man nicht die breiten, stämmigen Bänme des
Unterharzes; hier herrscht die Fichte vor, die überhaupt durch die bis jetzt ganz
vom Bergbau abhängige Forstwirthschaft des Harzes am Meisten begünstigt wird,
so daß man an allen Wegen die "srischgrnne Tannensaat" auf wohlabgemessenen
Feldern ausschießen sieht. Sie leidet aber auffallend von Wind und Wetter, und
liegt nach jedem Sturm zu Tausenden entwurzelt da. Auch die schlanke Birke steigt
eine Strecke weit den Oberharz hinan, sie ist zugleich der Weinstock des Harzes,
denn aus ihrem Safte wird im Frühling ein hier sehr beliebter Champagner,
das Birkenwasser, bereitet. Noch höher steigt die Qnitscher, deren rothe Vogel¬
beeren dem Oberharzer bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Vogelfange, dienen,
und mit denen er mitten in der Armuth der Natur die Thür seines Hauses ver¬
ziert, wenn Hochzeiten und Kindtaufen bei ihm in die Herbstzeit fallen, wo dann


wandbreiten an den Flüssen ausgespannt, um mit dem klaren Bergwasser zu blei¬
chen. Wohlhabende Leute aus dem Flachlande oder, wie man hier schlechtweg
sagt, ans dem Lande, verdingen deshalb ihr Leinen Hieher; der rauhe Harz selbst
kennt den Flachsbau mit seinem blauen, wogenden Blüthenmeere nicht.

Wenig Obst und Korn, worunter mau auf dem Harze bescheiden nur
den Roggen versteht, noch weniger Weizen gedeiht in diesem Klima; desto mehr stehen
Blumen, Wald und Wiesen in Flor. Pflanzensammler, zum Theil uicht ungebil¬
dete Leute, verdorbene Oekonomen und dergl. durchziehen, ihr Bündel mit offici-
nellen Kräutern auf dem Rücken, das ganze Gebirge und haben in den Städten
am Fuße desselben die Niederlage für ihr Geschäft und ihren Handel, der sie
jedoch jetzt nur noch dürftig ernährt. Auch der Botaniker, der mit seiner grünen
langen Kapsel selten an einem Wirthshause vorbeigeht, ist keine seltene Erscheinung,
und er findet unter Anderm die Waldanimone, die Steinnelke und verschiedene
Ranunkeln. Der Ertrag an Beeren ist so überreich, daß er als ein theilweiser
Ersatz für den Mangel an Korn betrachtet werden kann; am Häufigsten sind die rothe
Kronsbeere (Preißelbeere) und die blaue Heilebeerc (Heidelbeere). Beide werde»
von den Harzträgerinnen ins offene Land hinabgetragen, die rothe Kronsbeere
zum Einmachen für die Honoratioren und Gastwirthe, die blaue Heidelbeere,
als Leckerbissen zum Rohessen, auf die großen Bauernhöfe, wo man Hede oder
gar ein wenig Flachs dafür eintauscht. Auch an Haselnüssen ist kein Mangel,
und die Zeit der Nußlese ist für Alt und Jung hier ein ähnliches Fest, wie in
mildern Gegenden die Weinlese. Die Baumarten wechseln im Unterharz sehr
häufig, und man kommt zuweilen in den Wäldern ans hochgelegene lichtere Plätze,
wo die verschiedenartigsten Bäume, alle groß und schön gewachsen, nahe bei
einander stehen, was einen sehr prächtigen Anblick gewährt. Da findet man
neben einander die Hainbuche, den Ahorn, die Esche, Ulme, Birke, und jeden¬
falls fehlt auch die Rothbuche nicht, welche bei all diesem Baumreichthnm am
Unterharz vorherrscht. An den mildesten Punkten stehen Linden, wilde Kastanien
und Espen. Am Oberharz findet man nicht die breiten, stämmigen Bänme des
Unterharzes; hier herrscht die Fichte vor, die überhaupt durch die bis jetzt ganz
vom Bergbau abhängige Forstwirthschaft des Harzes am Meisten begünstigt wird,
so daß man an allen Wegen die „srischgrnne Tannensaat" auf wohlabgemessenen
Feldern ausschießen sieht. Sie leidet aber auffallend von Wind und Wetter, und
liegt nach jedem Sturm zu Tausenden entwurzelt da. Auch die schlanke Birke steigt
eine Strecke weit den Oberharz hinan, sie ist zugleich der Weinstock des Harzes,
denn aus ihrem Safte wird im Frühling ein hier sehr beliebter Champagner,
das Birkenwasser, bereitet. Noch höher steigt die Qnitscher, deren rothe Vogel¬
beeren dem Oberharzer bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Vogelfange, dienen,
und mit denen er mitten in der Armuth der Natur die Thür seines Hauses ver¬
ziert, wenn Hochzeiten und Kindtaufen bei ihm in die Herbstzeit fallen, wo dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/472>, abgerufen am 01.09.2024.