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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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was der Biograph verschuldet, indem er sie der Möglichkeit beraubte, zu wissen,
wer denn eigentlich ihr alter Freund, oder gelegentlich Feind, gewesen, wie er
gelebt, was er getrieben habe? wir wollen den Mythos von Zumpt', so weit es
an uns ist, zerstören. War er doch selbst ein Kind der Stadt der Aufklärung,
denn in Berlin ist er am 20. März 1792 geboren, der Sohn eines achtbaren
Handwerkers. Seine Studien begann er in Heidelberg, wohin ihn vornehmlich
Böckh gezogen hatte, der schon damals an der Schwelle des Mannesalters es
erkennen ließ, daß er einst der Erste unter den Deutschen Philologen sein würde.
Sein Biograph spricht die Vermuthung aus (S. 24), daß er dort sehr fleißig
gewesen; zufällig bin ich im Stande, seine Conjectur zur Gewißheit zu erheben,
da ich vor etwa zwölf Jahren einmal im Omnibus von Heidelberg nach Mannheim
mit eiuer alten Frau gefahren bin, die sich im Laufe der Unterhaltung als die
ehemalige Wirthin des Siudiosuö Zumpt zu erkennen gab, und seinen anhaltenden
Fleiß uoch jetzt nicht genug zu preisen vermochte. Unter sämmtlichen spätern Bewoh¬
nern ihres Zimmers schien Keiner ihn anch nur annäherungsweise erreicht zu
haben. In Berlin, wo Z. seine Studien fortsetzte, schloß er sich namentlich an
den damaligen Fürsten der Philologie, an Fr. Aug. Wolf. Seiner Empfehlung
verdankte der zwanzigjährige Jüngling Beschäftigung am Werderschen Gymnasium;
der junge, schlanke und hochgewachsene Lehrer konnte aber nicht dem Spotte der
lieben Schuljugend entgehen, die es nicht ahnen konnte, welchen Respect er kom¬
menden Generationen einflößen würde. Das erfüllte seine Seele mit nachdenk¬
lichen Schmerze. Die ersten Sommerferien wandte er -- sagt der Biograph --
außer zur Ablegung des Examens, vornämlich dazu an, über pädagogische
Disciplin nachzusinnen und die Frucht dieser Meditationen v war, daß er nach
demselben, wie ein Phönix aus der Asche hervorgehend, sich an dem Himmel der
Deutschen Schule zu einem leuchtenden Gestirn aufschwang.

Unmittelbar uach deu Ferien erscheint der bis dahin arg mitgenommene
Lehrer plötzlich wie ein Orpheus, denn -- sagt der Biograph -- die Knaben
ließen sich willig und vom brennendsten Eifer erfüllt von ihm führen, wohin er
immer wollte. Er selbst aber kam sich nicht wie der Meister des Gesanges, son¬
dern -- sagt der Biograph -- wie ein Feldherr vor, der seine Truppen vor
den gemeinsamen Feind, die Wissenschaften, führt, um sie zu besiegen und sie ge¬
fangen zu nehmen. Und er war ein so tapferer Feldherr, daß man ihn bleibend
an das Heer der Werderaner zu fesseln suchte; Bernhardi, der damalige Director, bot
ihm den für einen Kriegsobersten allerdings kärglichen Sold von jährlich hundert und
zwanzig Thälern dafür an. Aber -- sagt der Biograph -- Zumpt erschien es
unwürdig, daß ein öffentlich angestellter Lehrer an einem stark besuchten Gymna¬
sium so genügen Lohn erhielte, und er schlug es aus, auf solche Bedingungen ein¬
zugehen. Gefragt, wie viel er denn verlange, fordert er zehn Thaler mehr,
woraus männiglich wenigstens soviel ersieht, daß der Biograph auf psycholo-


was der Biograph verschuldet, indem er sie der Möglichkeit beraubte, zu wissen,
wer denn eigentlich ihr alter Freund, oder gelegentlich Feind, gewesen, wie er
gelebt, was er getrieben habe? wir wollen den Mythos von Zumpt', so weit es
an uns ist, zerstören. War er doch selbst ein Kind der Stadt der Aufklärung,
denn in Berlin ist er am 20. März 1792 geboren, der Sohn eines achtbaren
Handwerkers. Seine Studien begann er in Heidelberg, wohin ihn vornehmlich
Böckh gezogen hatte, der schon damals an der Schwelle des Mannesalters es
erkennen ließ, daß er einst der Erste unter den Deutschen Philologen sein würde.
Sein Biograph spricht die Vermuthung aus (S. 24), daß er dort sehr fleißig
gewesen; zufällig bin ich im Stande, seine Conjectur zur Gewißheit zu erheben,
da ich vor etwa zwölf Jahren einmal im Omnibus von Heidelberg nach Mannheim
mit eiuer alten Frau gefahren bin, die sich im Laufe der Unterhaltung als die
ehemalige Wirthin des Siudiosuö Zumpt zu erkennen gab, und seinen anhaltenden
Fleiß uoch jetzt nicht genug zu preisen vermochte. Unter sämmtlichen spätern Bewoh¬
nern ihres Zimmers schien Keiner ihn anch nur annäherungsweise erreicht zu
haben. In Berlin, wo Z. seine Studien fortsetzte, schloß er sich namentlich an
den damaligen Fürsten der Philologie, an Fr. Aug. Wolf. Seiner Empfehlung
verdankte der zwanzigjährige Jüngling Beschäftigung am Werderschen Gymnasium;
der junge, schlanke und hochgewachsene Lehrer konnte aber nicht dem Spotte der
lieben Schuljugend entgehen, die es nicht ahnen konnte, welchen Respect er kom¬
menden Generationen einflößen würde. Das erfüllte seine Seele mit nachdenk¬
lichen Schmerze. Die ersten Sommerferien wandte er — sagt der Biograph —
außer zur Ablegung des Examens, vornämlich dazu an, über pädagogische
Disciplin nachzusinnen und die Frucht dieser Meditationen v war, daß er nach
demselben, wie ein Phönix aus der Asche hervorgehend, sich an dem Himmel der
Deutschen Schule zu einem leuchtenden Gestirn aufschwang.

Unmittelbar uach deu Ferien erscheint der bis dahin arg mitgenommene
Lehrer plötzlich wie ein Orpheus, denn — sagt der Biograph — die Knaben
ließen sich willig und vom brennendsten Eifer erfüllt von ihm führen, wohin er
immer wollte. Er selbst aber kam sich nicht wie der Meister des Gesanges, son¬
dern — sagt der Biograph — wie ein Feldherr vor, der seine Truppen vor
den gemeinsamen Feind, die Wissenschaften, führt, um sie zu besiegen und sie ge¬
fangen zu nehmen. Und er war ein so tapferer Feldherr, daß man ihn bleibend
an das Heer der Werderaner zu fesseln suchte; Bernhardi, der damalige Director, bot
ihm den für einen Kriegsobersten allerdings kärglichen Sold von jährlich hundert und
zwanzig Thälern dafür an. Aber — sagt der Biograph — Zumpt erschien es
unwürdig, daß ein öffentlich angestellter Lehrer an einem stark besuchten Gymna¬
sium so genügen Lohn erhielte, und er schlug es aus, auf solche Bedingungen ein¬
zugehen. Gefragt, wie viel er denn verlange, fordert er zehn Thaler mehr,
woraus männiglich wenigstens soviel ersieht, daß der Biograph auf psycholo-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/465>, abgerufen am 27.07.2024.