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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Kreuzes und der Guillotine, aber mit Schwanenrittern, mit den Geheimnissen des
Schweigens, dem Venusberg und dergleichen hat es Nichts zu schaffen.

Wagner's poetische Richtung, die er im Jahre 1830 in mehrern Schriften
ausgesprochen hat ("das Kunstwerk der Zuknifft," "die Kunst und die Revolution,"
mehrere Aufsätze in der Kolatschek'scheu Monatsschrift u. s. w>), geht aus einer
allgemeinen Richtung der Zeit hervor. Als die lichtfreuudliche Bewegung, die im
Anfang Nichts weiter war, als eine Polemik gegen die Uebergriffe der Ortho¬
doxie, in den sogenannten freien Gemeinden versumpfte, die sich in langweiliger
stoffloser Erbaulichkeit hinschleppten, fanden sich einzelne hoher gestimmte Gemüther,
die diesen freien Gemeinden einen idealen Zuhält geben wollten. Die freie Ge¬
meinde' sollte der Träger der neuen Religion sein, welche Feuerbach in seinen
spätern Schriften predigte, jener Natur- und Kunstreligion, die mit aller Geschichte
brach, und die in der übergroßen Sehnsucht nach unbedingter Realität alle Reali¬
tät in Symbole auflöste. Das Hauptdogma dieser Schule, die in Dresden in
einem Cirkel geistreicher Mäuner ans den allerverschiedensten Richtungen (z. B.
der Maler Kaufmann, Fröbel, v. Keudell, Ruge u. s. w.; auch der klare und
verständige Eduard Devrient konnte sich ihren Einflüssen nicht entziehen) einen
ihrer Hauptsitze hatte, war die Theorie vou der Identität der Religion, der Kunst
"ud der wirklichen Gesellschaft, so wie von der Identität aller Künste: ein Dogma,
dessen Bekenner wol selber nicht wußten, daß es um eine Wiederholung der
Weissagungen von Novalis, Schleiermacher u. f. w. war. Zwar fügte man den
demokratischen Einfall hinzu, daß jeder Mensch ohne Unterschied Künstler, Geist¬
licher, Poet nud Schauspieler sein sollte; aber das war doch nur eine Idee der
Zukunft, für die Gegenwart konnte die Knnstreligion eben so wie bei den Ro¬
mantikern nur auf die auserwählten Geister berechnet sein. Wenn man daher auf
der einen Seite verlangte, die Localität der freien Gemeinde sollte zugleich Volks¬
versammlung, Kirche, Theater, Spielplatz, Akademie und dergleichen enthalten,
und die Kunst sollte so einfach sein, daß jeder freie Mann der Gemeinde sie
ausüben könnte, so spannte man doch in der Praxis die Anforderungen dieser
einfachen Kunst so hoch, daß sie nicht einmal dex geschulte Künstler erfüllen konnte.
Wagner ist die einzige productive Natur dieses Kreises. Desto weniger hat er
kritisches Talent. In seinen theoretischen Schriften verräth er so lange den geist¬
reichen und gebildeten Mann, als es sich um bekannte und anderweit bereits
besprochene Stoffe handelt, z. B. von dem Verhältniß des Christenthums zum
Heidenthum; wenn er aber an diejenigen Punkte kommt, in denen man von ihm
die eigentliche Aufklärung erwartet, so wird er so unklar und verworren, daß
alle Gedanken aufhören. So fordert er z. B. für sein neues Kunstwerk das Zu¬
sammenwirken aller einzelnen Künste, die durch die Theilung der Arbeit bisher
ein selbstständiges Gedeihen gehabt haben. Diesem Kunstwerk der Zukunft, welches
er Drama nennt, soll die Architektur alle ihre Kräfte widmen, die Landschasts-
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Kreuzes und der Guillotine, aber mit Schwanenrittern, mit den Geheimnissen des
Schweigens, dem Venusberg und dergleichen hat es Nichts zu schaffen.

Wagner's poetische Richtung, die er im Jahre 1830 in mehrern Schriften
ausgesprochen hat („das Kunstwerk der Zuknifft," „die Kunst und die Revolution,"
mehrere Aufsätze in der Kolatschek'scheu Monatsschrift u. s. w>), geht aus einer
allgemeinen Richtung der Zeit hervor. Als die lichtfreuudliche Bewegung, die im
Anfang Nichts weiter war, als eine Polemik gegen die Uebergriffe der Ortho¬
doxie, in den sogenannten freien Gemeinden versumpfte, die sich in langweiliger
stoffloser Erbaulichkeit hinschleppten, fanden sich einzelne hoher gestimmte Gemüther,
die diesen freien Gemeinden einen idealen Zuhält geben wollten. Die freie Ge¬
meinde' sollte der Träger der neuen Religion sein, welche Feuerbach in seinen
spätern Schriften predigte, jener Natur- und Kunstreligion, die mit aller Geschichte
brach, und die in der übergroßen Sehnsucht nach unbedingter Realität alle Reali¬
tät in Symbole auflöste. Das Hauptdogma dieser Schule, die in Dresden in
einem Cirkel geistreicher Mäuner ans den allerverschiedensten Richtungen (z. B.
der Maler Kaufmann, Fröbel, v. Keudell, Ruge u. s. w.; auch der klare und
verständige Eduard Devrient konnte sich ihren Einflüssen nicht entziehen) einen
ihrer Hauptsitze hatte, war die Theorie vou der Identität der Religion, der Kunst
«ud der wirklichen Gesellschaft, so wie von der Identität aller Künste: ein Dogma,
dessen Bekenner wol selber nicht wußten, daß es um eine Wiederholung der
Weissagungen von Novalis, Schleiermacher u. f. w. war. Zwar fügte man den
demokratischen Einfall hinzu, daß jeder Mensch ohne Unterschied Künstler, Geist¬
licher, Poet nud Schauspieler sein sollte; aber das war doch nur eine Idee der
Zukunft, für die Gegenwart konnte die Knnstreligion eben so wie bei den Ro¬
mantikern nur auf die auserwählten Geister berechnet sein. Wenn man daher auf
der einen Seite verlangte, die Localität der freien Gemeinde sollte zugleich Volks¬
versammlung, Kirche, Theater, Spielplatz, Akademie und dergleichen enthalten,
und die Kunst sollte so einfach sein, daß jeder freie Mann der Gemeinde sie
ausüben könnte, so spannte man doch in der Praxis die Anforderungen dieser
einfachen Kunst so hoch, daß sie nicht einmal dex geschulte Künstler erfüllen konnte.
Wagner ist die einzige productive Natur dieses Kreises. Desto weniger hat er
kritisches Talent. In seinen theoretischen Schriften verräth er so lange den geist¬
reichen und gebildeten Mann, als es sich um bekannte und anderweit bereits
besprochene Stoffe handelt, z. B. von dem Verhältniß des Christenthums zum
Heidenthum; wenn er aber an diejenigen Punkte kommt, in denen man von ihm
die eigentliche Aufklärung erwartet, so wird er so unklar und verworren, daß
alle Gedanken aufhören. So fordert er z. B. für sein neues Kunstwerk das Zu¬
sammenwirken aller einzelnen Künste, die durch die Theilung der Arbeit bisher
ein selbstständiges Gedeihen gehabt haben. Diesem Kunstwerk der Zukunft, welches
er Drama nennt, soll die Architektur alle ihre Kräfte widmen, die Landschasts-
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[0415] Kreuzes und der Guillotine, aber mit Schwanenrittern, mit den Geheimnissen des Schweigens, dem Venusberg und dergleichen hat es Nichts zu schaffen. Wagner's poetische Richtung, die er im Jahre 1830 in mehrern Schriften ausgesprochen hat („das Kunstwerk der Zuknifft," „die Kunst und die Revolution," mehrere Aufsätze in der Kolatschek'scheu Monatsschrift u. s. w>), geht aus einer allgemeinen Richtung der Zeit hervor. Als die lichtfreuudliche Bewegung, die im Anfang Nichts weiter war, als eine Polemik gegen die Uebergriffe der Ortho¬ doxie, in den sogenannten freien Gemeinden versumpfte, die sich in langweiliger stoffloser Erbaulichkeit hinschleppten, fanden sich einzelne hoher gestimmte Gemüther, die diesen freien Gemeinden einen idealen Zuhält geben wollten. Die freie Ge¬ meinde' sollte der Träger der neuen Religion sein, welche Feuerbach in seinen spätern Schriften predigte, jener Natur- und Kunstreligion, die mit aller Geschichte brach, und die in der übergroßen Sehnsucht nach unbedingter Realität alle Reali¬ tät in Symbole auflöste. Das Hauptdogma dieser Schule, die in Dresden in einem Cirkel geistreicher Mäuner ans den allerverschiedensten Richtungen (z. B. der Maler Kaufmann, Fröbel, v. Keudell, Ruge u. s. w.; auch der klare und verständige Eduard Devrient konnte sich ihren Einflüssen nicht entziehen) einen ihrer Hauptsitze hatte, war die Theorie vou der Identität der Religion, der Kunst «ud der wirklichen Gesellschaft, so wie von der Identität aller Künste: ein Dogma, dessen Bekenner wol selber nicht wußten, daß es um eine Wiederholung der Weissagungen von Novalis, Schleiermacher u. f. w. war. Zwar fügte man den demokratischen Einfall hinzu, daß jeder Mensch ohne Unterschied Künstler, Geist¬ licher, Poet nud Schauspieler sein sollte; aber das war doch nur eine Idee der Zukunft, für die Gegenwart konnte die Knnstreligion eben so wie bei den Ro¬ mantikern nur auf die auserwählten Geister berechnet sein. Wenn man daher auf der einen Seite verlangte, die Localität der freien Gemeinde sollte zugleich Volks¬ versammlung, Kirche, Theater, Spielplatz, Akademie und dergleichen enthalten, und die Kunst sollte so einfach sein, daß jeder freie Mann der Gemeinde sie ausüben könnte, so spannte man doch in der Praxis die Anforderungen dieser einfachen Kunst so hoch, daß sie nicht einmal dex geschulte Künstler erfüllen konnte. Wagner ist die einzige productive Natur dieses Kreises. Desto weniger hat er kritisches Talent. In seinen theoretischen Schriften verräth er so lange den geist¬ reichen und gebildeten Mann, als es sich um bekannte und anderweit bereits besprochene Stoffe handelt, z. B. von dem Verhältniß des Christenthums zum Heidenthum; wenn er aber an diejenigen Punkte kommt, in denen man von ihm die eigentliche Aufklärung erwartet, so wird er so unklar und verworren, daß alle Gedanken aufhören. So fordert er z. B. für sein neues Kunstwerk das Zu¬ sammenwirken aller einzelnen Künste, die durch die Theilung der Arbeit bisher ein selbstständiges Gedeihen gehabt haben. Diesem Kunstwerk der Zukunft, welches er Drama nennt, soll die Architektur alle ihre Kräfte widmen, die Landschasts- ' 51 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/415>, abgerufen am 01.09.2024.