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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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sollte einmal eine Seite im Thucydides ausschlagen, um zu sehen, was das für
eine Demokratie war. Eine Stadt, in der man, ohne allgemeines Gelächter zu
erregen, den Vorschlag machen konnte, die bedürftigen Bürger auf den unterthänigen
Inseln in Beköstigung zu geben; eine Stadt, die das Mark eines großen Laubes
aussog, und abgesehen von der Masse ihrer Sclaven über eine Unzahl rechtloser
Unterthanen gebot, kann freilich jenen Luxus der Kunst hervorbringen, den man
in neuerer Zeit in der Regel nur bei deu Fürsten findet; aber man wird sie
schwerlich eine Demokratie im modernen Sinne nennen können.

Eigentlich ist die künstlerische Richtung Wagners entschieden antidemokratisch;
sie beruht auf jenem Idealismus der Künstlerwelt, der für exclusive Naturen be¬
rechnet ist, und der schon einmal zu Anfang dieses Jahrhunderts in deu Schriften
der romantischen Schule auftauchte. Eben so wie das Athenäum, die Europa
und andere Zeitschriften dieser Schule, predigt Wagner die vollständige Ablösung
des Künstlers von allen praktischen Interessen, die Heiligung seines Lebens durch
die Ertödtung alles Egoismus, und jene strenge Sammlung, mit der die Zerstreutheit
der Interessen in unserm Zeitalter in schreienden Widerspruch steht. So wie
Tieck, Schlegel und die Uebrigen den aufgeklärten und Humaner Philister der
damaligen Zeit verspotteten, so richtet Wagner seine Angriffe vorzugsweise gegen
den Träger des heutigen einfachen oder raffinirten Egoismus, gegen die sogenannte
Bourgeoisie, und damit hat er ein neues Stichwort, sich mit den Demokraten zu
verständigen. Aber Beide verstehen etwas sehr Verschiedenes unter diesem Ausdruck.
Die Demokraten bezeichnen damit ihren Haß gegen die Wohlhäbigkeit, die sich
vor allen gewaltsamen Aufregungen scheut; Wagner dagegen die Versenkung in
praktische Interessen. Für ihn müßte das verabschenungswürdigste Volk die
Amerikaner sein, das Ideal der Demokratie. Eben so verschieden ist seine Auf¬
fassung des Begriffs "Volk." Das ideale Publicum, für welches er seine künst¬
lerischen Leistungen bestimmt, schließt allerdings auch die wohlhabenden Klassen
aus, deren Bedürfnissen sich heutzutage der Dichter bequemt, aber eben so die
revolutionaire souveraine Masse, aus die sich die demokratische Partei beruft.
Sein Volk ist ein Ideal, welches, wie alle Ideale, die widersprechendsten An¬
forderungen in sich vereinigt: Hochherzigkeit der Gesinnung und Freiheit von
allen weltlichen Bedürfnissen; Gefühl der Noth und vollkommenes Verständniß
für alle Subtilitäten einer höhern Weltordnung. Wen" er das Volk definirt
als Inbegriff aller der Menschen, die eine gemeinsame Noth vereinigt, so irrt er
sich, wenn er diesem Volk durch das heitere Spiel einer edlen Kunst die ange¬
messene Erhebung und Läuterung geben will. Das Volk in Noth verlangt eine
handgreiflichere Kost, es hält sich an das Christenthum oder an den Communismus,
an das Verspreche" künftiger Genüsse im Himmel oder ans Erden. Das Volk in
Noth ist uicht die Welt, in der die Symbole jener vornehmen Kunst, wie sie
Wagner darstellen will, ihre Stätte finden; wol versteht es die Symbole des


sollte einmal eine Seite im Thucydides ausschlagen, um zu sehen, was das für
eine Demokratie war. Eine Stadt, in der man, ohne allgemeines Gelächter zu
erregen, den Vorschlag machen konnte, die bedürftigen Bürger auf den unterthänigen
Inseln in Beköstigung zu geben; eine Stadt, die das Mark eines großen Laubes
aussog, und abgesehen von der Masse ihrer Sclaven über eine Unzahl rechtloser
Unterthanen gebot, kann freilich jenen Luxus der Kunst hervorbringen, den man
in neuerer Zeit in der Regel nur bei deu Fürsten findet; aber man wird sie
schwerlich eine Demokratie im modernen Sinne nennen können.

Eigentlich ist die künstlerische Richtung Wagners entschieden antidemokratisch;
sie beruht auf jenem Idealismus der Künstlerwelt, der für exclusive Naturen be¬
rechnet ist, und der schon einmal zu Anfang dieses Jahrhunderts in deu Schriften
der romantischen Schule auftauchte. Eben so wie das Athenäum, die Europa
und andere Zeitschriften dieser Schule, predigt Wagner die vollständige Ablösung
des Künstlers von allen praktischen Interessen, die Heiligung seines Lebens durch
die Ertödtung alles Egoismus, und jene strenge Sammlung, mit der die Zerstreutheit
der Interessen in unserm Zeitalter in schreienden Widerspruch steht. So wie
Tieck, Schlegel und die Uebrigen den aufgeklärten und Humaner Philister der
damaligen Zeit verspotteten, so richtet Wagner seine Angriffe vorzugsweise gegen
den Träger des heutigen einfachen oder raffinirten Egoismus, gegen die sogenannte
Bourgeoisie, und damit hat er ein neues Stichwort, sich mit den Demokraten zu
verständigen. Aber Beide verstehen etwas sehr Verschiedenes unter diesem Ausdruck.
Die Demokraten bezeichnen damit ihren Haß gegen die Wohlhäbigkeit, die sich
vor allen gewaltsamen Aufregungen scheut; Wagner dagegen die Versenkung in
praktische Interessen. Für ihn müßte das verabschenungswürdigste Volk die
Amerikaner sein, das Ideal der Demokratie. Eben so verschieden ist seine Auf¬
fassung des Begriffs „Volk." Das ideale Publicum, für welches er seine künst¬
lerischen Leistungen bestimmt, schließt allerdings auch die wohlhabenden Klassen
aus, deren Bedürfnissen sich heutzutage der Dichter bequemt, aber eben so die
revolutionaire souveraine Masse, aus die sich die demokratische Partei beruft.
Sein Volk ist ein Ideal, welches, wie alle Ideale, die widersprechendsten An¬
forderungen in sich vereinigt: Hochherzigkeit der Gesinnung und Freiheit von
allen weltlichen Bedürfnissen; Gefühl der Noth und vollkommenes Verständniß
für alle Subtilitäten einer höhern Weltordnung. Wen» er das Volk definirt
als Inbegriff aller der Menschen, die eine gemeinsame Noth vereinigt, so irrt er
sich, wenn er diesem Volk durch das heitere Spiel einer edlen Kunst die ange¬
messene Erhebung und Läuterung geben will. Das Volk in Noth verlangt eine
handgreiflichere Kost, es hält sich an das Christenthum oder an den Communismus,
an das Verspreche» künftiger Genüsse im Himmel oder ans Erden. Das Volk in
Noth ist uicht die Welt, in der die Symbole jener vornehmen Kunst, wie sie
Wagner darstellen will, ihre Stätte finden; wol versteht es die Symbole des


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[0414] sollte einmal eine Seite im Thucydides ausschlagen, um zu sehen, was das für eine Demokratie war. Eine Stadt, in der man, ohne allgemeines Gelächter zu erregen, den Vorschlag machen konnte, die bedürftigen Bürger auf den unterthänigen Inseln in Beköstigung zu geben; eine Stadt, die das Mark eines großen Laubes aussog, und abgesehen von der Masse ihrer Sclaven über eine Unzahl rechtloser Unterthanen gebot, kann freilich jenen Luxus der Kunst hervorbringen, den man in neuerer Zeit in der Regel nur bei deu Fürsten findet; aber man wird sie schwerlich eine Demokratie im modernen Sinne nennen können. Eigentlich ist die künstlerische Richtung Wagners entschieden antidemokratisch; sie beruht auf jenem Idealismus der Künstlerwelt, der für exclusive Naturen be¬ rechnet ist, und der schon einmal zu Anfang dieses Jahrhunderts in deu Schriften der romantischen Schule auftauchte. Eben so wie das Athenäum, die Europa und andere Zeitschriften dieser Schule, predigt Wagner die vollständige Ablösung des Künstlers von allen praktischen Interessen, die Heiligung seines Lebens durch die Ertödtung alles Egoismus, und jene strenge Sammlung, mit der die Zerstreutheit der Interessen in unserm Zeitalter in schreienden Widerspruch steht. So wie Tieck, Schlegel und die Uebrigen den aufgeklärten und Humaner Philister der damaligen Zeit verspotteten, so richtet Wagner seine Angriffe vorzugsweise gegen den Träger des heutigen einfachen oder raffinirten Egoismus, gegen die sogenannte Bourgeoisie, und damit hat er ein neues Stichwort, sich mit den Demokraten zu verständigen. Aber Beide verstehen etwas sehr Verschiedenes unter diesem Ausdruck. Die Demokraten bezeichnen damit ihren Haß gegen die Wohlhäbigkeit, die sich vor allen gewaltsamen Aufregungen scheut; Wagner dagegen die Versenkung in praktische Interessen. Für ihn müßte das verabschenungswürdigste Volk die Amerikaner sein, das Ideal der Demokratie. Eben so verschieden ist seine Auf¬ fassung des Begriffs „Volk." Das ideale Publicum, für welches er seine künst¬ lerischen Leistungen bestimmt, schließt allerdings auch die wohlhabenden Klassen aus, deren Bedürfnissen sich heutzutage der Dichter bequemt, aber eben so die revolutionaire souveraine Masse, aus die sich die demokratische Partei beruft. Sein Volk ist ein Ideal, welches, wie alle Ideale, die widersprechendsten An¬ forderungen in sich vereinigt: Hochherzigkeit der Gesinnung und Freiheit von allen weltlichen Bedürfnissen; Gefühl der Noth und vollkommenes Verständniß für alle Subtilitäten einer höhern Weltordnung. Wen» er das Volk definirt als Inbegriff aller der Menschen, die eine gemeinsame Noth vereinigt, so irrt er sich, wenn er diesem Volk durch das heitere Spiel einer edlen Kunst die ange¬ messene Erhebung und Läuterung geben will. Das Volk in Noth verlangt eine handgreiflichere Kost, es hält sich an das Christenthum oder an den Communismus, an das Verspreche» künftiger Genüsse im Himmel oder ans Erden. Das Volk in Noth ist uicht die Welt, in der die Symbole jener vornehmen Kunst, wie sie Wagner darstellen will, ihre Stätte finden; wol versteht es die Symbole des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/414>, abgerufen am 01.09.2024.