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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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glänzte der Sonntag aus allen Fugen hervor. Der schwarze Leib und die Glieder
waren mit einem blendend weißen Hemde und eben solchen Gatyen -- breite,
faltenreiche Leinwandhosen -- bedeckt, das Haar frisch mit Fett geschmiert und
hinter die Ohren geglättet, und selbst die Füße, die noch nie ein Stiefel tyrannisirt
hatte, zwar schwarz, doch sah man es deutlich, daß sie erst unlängst im Wasser
gewesen. Auf unsre Frage nach dem "Sipos lZäesl" -- Vetter Sipos -- führte
uns der Junge immer rauchend bis gegen die Mitte der Zeile, wo er in ein
niedriges, aber reiugescheuertes Häuschen ,Mresa Menz" -- Muhme Barcsa --
hineinrief, worauf eine mehr als corpulente, am Oberleibs mit einem bis an den
Hals reichenden blanken Battisthemde, von den Husten abwärts mit einem groß-
und grellgeblumten Cottonkittel und einer faltenreichen blauen Schürze bekleidete
Person, die etwa vierzig Jahre zählen mochte, herauskam, und hinter der halben
Ltüchenthüre stehen bleibend uns fragte, was wir zu befehle" beliebten? Aus unsre
Angabe öffnete sie die Thür, und stieg zwei Treppen aus der Küche hervor und
zu uns in die offene Hausflur. "Mein Mann, gnädige Herrschaften, ist in der
Kirche, doch muß er bald kommen, denn es ist nahe an zehn Uhr; wenn sie
gütigst warten wollen, er wird sich freuen, solche schöne, herrliche junge Herren
fahren zu können." Eine Zigeunerin kann weder mit einem jungen Manne, noch
mit einem Mädchen vier Worte wechseln, ohne ihnen zu sagen, daß sie zum Küssen
seien. Ich hatte einmal Gelegenheit, eine Zigeunerin Karten aufschlagen, zu sehen,
wo sie einem iSjährigen bucklichten und wie die Nacht häßlichen Jüngferchen
herauslas, daß ihr Geliebter, mit dem sie seit einiger Zeit fache ist, durch ihren
Groll in ein hitziges Fieber gefallen sei, und ganz gewiß dem Tode entgegengehe,
wenn sie sich nicht seiner erbarmen und ihn anhören werve. Natürlich hatte das
Fräulein weder einen Geliebten, noch hätte sie das Herz gehabt, einem solchen nur
im Mindesten gram zu sein, aber die Enthüllungen der braunen Pythia wurden mit
einem gefälligen Lächeln aufgenommen und mit einem V2 Zwanziger belohnt. Auch
wunderte ich mich nicht, als ich aus der Schürzentasche der Barcsa Mre ein
Pfeifenrohr mit einer Quaste hervorblicken sah, denn es war mir bekannt, daß
das schöne Geschlecht bei den PharMniden fast durchwegs mehr den Tabak als
die Männer liebt, und ihre Tugend dürste vielleicht einer Belagerung, aber schwerlich
einer schwarzen oder bunten Thonpfeife, einem halblangen Pfeifenrohr mit einer
national-tricoloren Quaste, oder gar einem mit Perlen gestickten Tabaksbeutel
widerstehen. -- Wir hatten kaum einige Worte gewechselt, als die Fama ver¬
muthlich in Gestalt des oberwähnten kleinen Cicerone -- die Ankunft zweier
"üri omdvrek" bei Sipos' verbreitet hatte, und der kleine Raum, in welchem
wir uns befanden, füllte sich bald mit der Einwohnerschaft der ganzen Zeile. Alles
war sonntäglich gekleidet, die Männer fast durchgehends im Hausnegligs wie der
oben beschriebene Knabe, die Weiber und Mädchen mit einigen Modificationen
wie die Frau unsers Fuhrmanns in sps, nur mit dem Unterschiede, daß diese


glänzte der Sonntag aus allen Fugen hervor. Der schwarze Leib und die Glieder
waren mit einem blendend weißen Hemde und eben solchen Gatyen — breite,
faltenreiche Leinwandhosen — bedeckt, das Haar frisch mit Fett geschmiert und
hinter die Ohren geglättet, und selbst die Füße, die noch nie ein Stiefel tyrannisirt
hatte, zwar schwarz, doch sah man es deutlich, daß sie erst unlängst im Wasser
gewesen. Auf unsre Frage nach dem „Sipos lZäesl" — Vetter Sipos — führte
uns der Junge immer rauchend bis gegen die Mitte der Zeile, wo er in ein
niedriges, aber reiugescheuertes Häuschen ,Mresa Menz" — Muhme Barcsa —
hineinrief, worauf eine mehr als corpulente, am Oberleibs mit einem bis an den
Hals reichenden blanken Battisthemde, von den Husten abwärts mit einem groß-
und grellgeblumten Cottonkittel und einer faltenreichen blauen Schürze bekleidete
Person, die etwa vierzig Jahre zählen mochte, herauskam, und hinter der halben
Ltüchenthüre stehen bleibend uns fragte, was wir zu befehle« beliebten? Aus unsre
Angabe öffnete sie die Thür, und stieg zwei Treppen aus der Küche hervor und
zu uns in die offene Hausflur. „Mein Mann, gnädige Herrschaften, ist in der
Kirche, doch muß er bald kommen, denn es ist nahe an zehn Uhr; wenn sie
gütigst warten wollen, er wird sich freuen, solche schöne, herrliche junge Herren
fahren zu können." Eine Zigeunerin kann weder mit einem jungen Manne, noch
mit einem Mädchen vier Worte wechseln, ohne ihnen zu sagen, daß sie zum Küssen
seien. Ich hatte einmal Gelegenheit, eine Zigeunerin Karten aufschlagen, zu sehen,
wo sie einem iSjährigen bucklichten und wie die Nacht häßlichen Jüngferchen
herauslas, daß ihr Geliebter, mit dem sie seit einiger Zeit fache ist, durch ihren
Groll in ein hitziges Fieber gefallen sei, und ganz gewiß dem Tode entgegengehe,
wenn sie sich nicht seiner erbarmen und ihn anhören werve. Natürlich hatte das
Fräulein weder einen Geliebten, noch hätte sie das Herz gehabt, einem solchen nur
im Mindesten gram zu sein, aber die Enthüllungen der braunen Pythia wurden mit
einem gefälligen Lächeln aufgenommen und mit einem V2 Zwanziger belohnt. Auch
wunderte ich mich nicht, als ich aus der Schürzentasche der Barcsa Mre ein
Pfeifenrohr mit einer Quaste hervorblicken sah, denn es war mir bekannt, daß
das schöne Geschlecht bei den PharMniden fast durchwegs mehr den Tabak als
die Männer liebt, und ihre Tugend dürste vielleicht einer Belagerung, aber schwerlich
einer schwarzen oder bunten Thonpfeife, einem halblangen Pfeifenrohr mit einer
national-tricoloren Quaste, oder gar einem mit Perlen gestickten Tabaksbeutel
widerstehen. — Wir hatten kaum einige Worte gewechselt, als die Fama ver¬
muthlich in Gestalt des oberwähnten kleinen Cicerone — die Ankunft zweier
„üri omdvrek" bei Sipos' verbreitet hatte, und der kleine Raum, in welchem
wir uns befanden, füllte sich bald mit der Einwohnerschaft der ganzen Zeile. Alles
war sonntäglich gekleidet, die Männer fast durchgehends im Hausnegligs wie der
oben beschriebene Knabe, die Weiber und Mädchen mit einigen Modificationen
wie die Frau unsers Fuhrmanns in sps, nur mit dem Unterschiede, daß diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/392>, abgerufen am 01.09.2024.