Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mancher Lehrling bemüht ist, .erst dem Gehör nach -- denn Notenkenntniß ist
äußerst selten -- die Töne und Scalen aufzusuchen, gewiß keinen besondern Ohren¬
schmaus darbietet. --

Der Olühzigeuncr kennt keine Religion; er erwähnt Gott nur, wenn die Peitsche
des Stuhlrichtcrs über seine Posteriora schwirrt, und den Teufel, wenn er seinem
Weibe oder seinen Kindern zuruft, daß er sie holen möge, was freilich beides sehr
oft geschieht. -- Der stabile Zigeuner hingegen, und besonders der mnsicirende,
ist Christ, und gehört als solcher immer der Confession des Dorfes an, bei welchem
er wohnt; doch wo zwei oder mehrere Confessionen in einem Dorfe sind, neigt er
sich entschieden dem Protestantismus zu.

Ich hatte oft Gelegenheit, diese nationalen Tonkünstler in ihrer Behausung
zu sehen, und fand stets eine gewisse Mvdestie, eine Gcwähltheit im Ausdrucke
dem Fremden gegenüber, und eine Süßigkeit im Benehmen gegen die Angehörigen,
obwol ich sehr wohl wußte, daß Meister Pali (Paul) oder Marzi (Marion) im
Negligv des Alleinseins gar nicht selten seine Frau Gemahlin prügelt, und seine
Kinder per "Kölyök" -- junger Hund -- titulirt. -- Auch in der Kleidung
hat sich der mnsicirende Zigeuner gewöhnlich metamorphosirt. Das lange Ringel¬
haar wird kurz geschnitten nud mit besonderer Sorgfalt gepflegt; Deutsche
Pantalons und eine blaue Jacke mit Silberknöpfen bei den mittlern Klassen, ein
vollständig Französischer Anzug bei den höhern Musikbanden ersetzt den frühern
alten Husareudollman nud die blau oder roth geschnürten Hosen mit den fast
nie fehlenden geflickten Knien und abgeschossenen Cordnanstiefcln. -- Die Sprache
ist noch immer sehr unterthänig, und verliert nur bei den höhern Banden das
eigenthümliche Aussprechen des ,,S" wie ,,sah", aber sie ist reiner und schon
mit einigen Modephrasen dnrchspickt, weil der mnsicirende Zigeuner sehr oft mit
Adel und hohen Herrschaften in Berührung kam. Auch darin unterscheidet er sich
vortheilhaft von seinen übrigen Brüdern, daß er seine Kinder wenigstens eine
Zeit lang in die Schule schickt, und sich bemüht, ihnen nach seiner Weise soge¬
nannte Lebensart beizubringen, damit sie auf ihrer spätern Laufbahn sich in der
Welt zu finden wissen. Einen Hanptcharakterzug im Leben des musicirenden Zi-
genners aber bildet die entschiedene Hinneigung zum Magyarischen Element, und
eine heiße, oft sehr innige und zu Opfern bereite Liebe zum Ungarischen
Vaterlande. Daß die Zigeuner überhaupt sich verhältnißmäßig zahlreich an dem
Ungarischen Kampfe betheiligt und einige von ihnen sich sogar Officiersgrade
erworben haben, dürfte den Lesern dieser Blätter nicht unbekannt sein; doch dürste
ihnen unter den vielen Nationalitäten Oestreichs und besonders Ungarns die der
"Um-Magyaren" unbekannt sein, welchen Namen sich die Zigeuner Ungarns
in neuerer Zeit beilegten; auch findet man in ganz Ungarn nur wenig Zigeuner,
die, mögen sie uuter welcher Nationalität immer wohnen, nicht der Ungarischen
Sprache, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, mächtig wären.


mancher Lehrling bemüht ist, .erst dem Gehör nach — denn Notenkenntniß ist
äußerst selten — die Töne und Scalen aufzusuchen, gewiß keinen besondern Ohren¬
schmaus darbietet. —

Der Olühzigeuncr kennt keine Religion; er erwähnt Gott nur, wenn die Peitsche
des Stuhlrichtcrs über seine Posteriora schwirrt, und den Teufel, wenn er seinem
Weibe oder seinen Kindern zuruft, daß er sie holen möge, was freilich beides sehr
oft geschieht. — Der stabile Zigeuner hingegen, und besonders der mnsicirende,
ist Christ, und gehört als solcher immer der Confession des Dorfes an, bei welchem
er wohnt; doch wo zwei oder mehrere Confessionen in einem Dorfe sind, neigt er
sich entschieden dem Protestantismus zu.

Ich hatte oft Gelegenheit, diese nationalen Tonkünstler in ihrer Behausung
zu sehen, und fand stets eine gewisse Mvdestie, eine Gcwähltheit im Ausdrucke
dem Fremden gegenüber, und eine Süßigkeit im Benehmen gegen die Angehörigen,
obwol ich sehr wohl wußte, daß Meister Pali (Paul) oder Marzi (Marion) im
Negligv des Alleinseins gar nicht selten seine Frau Gemahlin prügelt, und seine
Kinder per „Kölyök" — junger Hund — titulirt. — Auch in der Kleidung
hat sich der mnsicirende Zigeuner gewöhnlich metamorphosirt. Das lange Ringel¬
haar wird kurz geschnitten nud mit besonderer Sorgfalt gepflegt; Deutsche
Pantalons und eine blaue Jacke mit Silberknöpfen bei den mittlern Klassen, ein
vollständig Französischer Anzug bei den höhern Musikbanden ersetzt den frühern
alten Husareudollman nud die blau oder roth geschnürten Hosen mit den fast
nie fehlenden geflickten Knien und abgeschossenen Cordnanstiefcln. — Die Sprache
ist noch immer sehr unterthänig, und verliert nur bei den höhern Banden das
eigenthümliche Aussprechen des ,,S" wie ,,sah", aber sie ist reiner und schon
mit einigen Modephrasen dnrchspickt, weil der mnsicirende Zigeuner sehr oft mit
Adel und hohen Herrschaften in Berührung kam. Auch darin unterscheidet er sich
vortheilhaft von seinen übrigen Brüdern, daß er seine Kinder wenigstens eine
Zeit lang in die Schule schickt, und sich bemüht, ihnen nach seiner Weise soge¬
nannte Lebensart beizubringen, damit sie auf ihrer spätern Laufbahn sich in der
Welt zu finden wissen. Einen Hanptcharakterzug im Leben des musicirenden Zi-
genners aber bildet die entschiedene Hinneigung zum Magyarischen Element, und
eine heiße, oft sehr innige und zu Opfern bereite Liebe zum Ungarischen
Vaterlande. Daß die Zigeuner überhaupt sich verhältnißmäßig zahlreich an dem
Ungarischen Kampfe betheiligt und einige von ihnen sich sogar Officiersgrade
erworben haben, dürfte den Lesern dieser Blätter nicht unbekannt sein; doch dürste
ihnen unter den vielen Nationalitäten Oestreichs und besonders Ungarns die der
„Um-Magyaren" unbekannt sein, welchen Namen sich die Zigeuner Ungarns
in neuerer Zeit beilegten; auch findet man in ganz Ungarn nur wenig Zigeuner,
die, mögen sie uuter welcher Nationalität immer wohnen, nicht der Ungarischen
Sprache, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, mächtig wären.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0390" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91583"/>
          <p xml:id="ID_1065" prev="#ID_1064"> mancher Lehrling bemüht ist, .erst dem Gehör nach &#x2014; denn Notenkenntniß ist<lb/>
äußerst selten &#x2014; die Töne und Scalen aufzusuchen, gewiß keinen besondern Ohren¬<lb/>
schmaus darbietet. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1066"> Der Olühzigeuncr kennt keine Religion; er erwähnt Gott nur, wenn die Peitsche<lb/>
des Stuhlrichtcrs über seine Posteriora schwirrt, und den Teufel, wenn er seinem<lb/>
Weibe oder seinen Kindern zuruft, daß er sie holen möge, was freilich beides sehr<lb/>
oft geschieht. &#x2014; Der stabile Zigeuner hingegen, und besonders der mnsicirende,<lb/>
ist Christ, und gehört als solcher immer der Confession des Dorfes an, bei welchem<lb/>
er wohnt; doch wo zwei oder mehrere Confessionen in einem Dorfe sind, neigt er<lb/>
sich entschieden dem Protestantismus zu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1067"> Ich hatte oft Gelegenheit, diese nationalen Tonkünstler in ihrer Behausung<lb/>
zu sehen, und fand stets eine gewisse Mvdestie, eine Gcwähltheit im Ausdrucke<lb/>
dem Fremden gegenüber, und eine Süßigkeit im Benehmen gegen die Angehörigen,<lb/>
obwol ich sehr wohl wußte, daß Meister Pali (Paul) oder Marzi (Marion) im<lb/>
Negligv des Alleinseins gar nicht selten seine Frau Gemahlin prügelt, und seine<lb/>
Kinder per &#x201E;Kölyök" &#x2014; junger Hund &#x2014; titulirt. &#x2014; Auch in der Kleidung<lb/>
hat sich der mnsicirende Zigeuner gewöhnlich metamorphosirt. Das lange Ringel¬<lb/>
haar wird kurz geschnitten nud mit besonderer Sorgfalt gepflegt; Deutsche<lb/>
Pantalons und eine blaue Jacke mit Silberknöpfen bei den mittlern Klassen, ein<lb/>
vollständig Französischer Anzug bei den höhern Musikbanden ersetzt den frühern<lb/>
alten Husareudollman nud die blau oder roth geschnürten Hosen mit den fast<lb/>
nie fehlenden geflickten Knien und abgeschossenen Cordnanstiefcln. &#x2014; Die Sprache<lb/>
ist noch immer sehr unterthänig, und verliert nur bei den höhern Banden das<lb/>
eigenthümliche Aussprechen des ,,S" wie ,,sah", aber sie ist reiner und schon<lb/>
mit einigen Modephrasen dnrchspickt, weil der mnsicirende Zigeuner sehr oft mit<lb/>
Adel und hohen Herrschaften in Berührung kam. Auch darin unterscheidet er sich<lb/>
vortheilhaft von seinen übrigen Brüdern, daß er seine Kinder wenigstens eine<lb/>
Zeit lang in die Schule schickt, und sich bemüht, ihnen nach seiner Weise soge¬<lb/>
nannte Lebensart beizubringen, damit sie auf ihrer spätern Laufbahn sich in der<lb/>
Welt zu finden wissen. Einen Hanptcharakterzug im Leben des musicirenden Zi-<lb/>
genners aber bildet die entschiedene Hinneigung zum Magyarischen Element, und<lb/>
eine heiße, oft sehr innige und zu Opfern bereite Liebe zum Ungarischen<lb/>
Vaterlande. Daß die Zigeuner überhaupt sich verhältnißmäßig zahlreich an dem<lb/>
Ungarischen Kampfe betheiligt und einige von ihnen sich sogar Officiersgrade<lb/>
erworben haben, dürfte den Lesern dieser Blätter nicht unbekannt sein; doch dürste<lb/>
ihnen unter den vielen Nationalitäten Oestreichs und besonders Ungarns die der<lb/>
&#x201E;Um-Magyaren" unbekannt sein, welchen Namen sich die Zigeuner Ungarns<lb/>
in neuerer Zeit beilegten; auch findet man in ganz Ungarn nur wenig Zigeuner,<lb/>
die, mögen sie uuter welcher Nationalität immer wohnen, nicht der Ungarischen<lb/>
Sprache, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, mächtig wären.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0390] mancher Lehrling bemüht ist, .erst dem Gehör nach — denn Notenkenntniß ist äußerst selten — die Töne und Scalen aufzusuchen, gewiß keinen besondern Ohren¬ schmaus darbietet. — Der Olühzigeuncr kennt keine Religion; er erwähnt Gott nur, wenn die Peitsche des Stuhlrichtcrs über seine Posteriora schwirrt, und den Teufel, wenn er seinem Weibe oder seinen Kindern zuruft, daß er sie holen möge, was freilich beides sehr oft geschieht. — Der stabile Zigeuner hingegen, und besonders der mnsicirende, ist Christ, und gehört als solcher immer der Confession des Dorfes an, bei welchem er wohnt; doch wo zwei oder mehrere Confessionen in einem Dorfe sind, neigt er sich entschieden dem Protestantismus zu. Ich hatte oft Gelegenheit, diese nationalen Tonkünstler in ihrer Behausung zu sehen, und fand stets eine gewisse Mvdestie, eine Gcwähltheit im Ausdrucke dem Fremden gegenüber, und eine Süßigkeit im Benehmen gegen die Angehörigen, obwol ich sehr wohl wußte, daß Meister Pali (Paul) oder Marzi (Marion) im Negligv des Alleinseins gar nicht selten seine Frau Gemahlin prügelt, und seine Kinder per „Kölyök" — junger Hund — titulirt. — Auch in der Kleidung hat sich der mnsicirende Zigeuner gewöhnlich metamorphosirt. Das lange Ringel¬ haar wird kurz geschnitten nud mit besonderer Sorgfalt gepflegt; Deutsche Pantalons und eine blaue Jacke mit Silberknöpfen bei den mittlern Klassen, ein vollständig Französischer Anzug bei den höhern Musikbanden ersetzt den frühern alten Husareudollman nud die blau oder roth geschnürten Hosen mit den fast nie fehlenden geflickten Knien und abgeschossenen Cordnanstiefcln. — Die Sprache ist noch immer sehr unterthänig, und verliert nur bei den höhern Banden das eigenthümliche Aussprechen des ,,S" wie ,,sah", aber sie ist reiner und schon mit einigen Modephrasen dnrchspickt, weil der mnsicirende Zigeuner sehr oft mit Adel und hohen Herrschaften in Berührung kam. Auch darin unterscheidet er sich vortheilhaft von seinen übrigen Brüdern, daß er seine Kinder wenigstens eine Zeit lang in die Schule schickt, und sich bemüht, ihnen nach seiner Weise soge¬ nannte Lebensart beizubringen, damit sie auf ihrer spätern Laufbahn sich in der Welt zu finden wissen. Einen Hanptcharakterzug im Leben des musicirenden Zi- genners aber bildet die entschiedene Hinneigung zum Magyarischen Element, und eine heiße, oft sehr innige und zu Opfern bereite Liebe zum Ungarischen Vaterlande. Daß die Zigeuner überhaupt sich verhältnißmäßig zahlreich an dem Ungarischen Kampfe betheiligt und einige von ihnen sich sogar Officiersgrade erworben haben, dürfte den Lesern dieser Blätter nicht unbekannt sein; doch dürste ihnen unter den vielen Nationalitäten Oestreichs und besonders Ungarns die der „Um-Magyaren" unbekannt sein, welchen Namen sich die Zigeuner Ungarns in neuerer Zeit beilegten; auch findet man in ganz Ungarn nur wenig Zigeuner, die, mögen sie uuter welcher Nationalität immer wohnen, nicht der Ungarischen Sprache, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, mächtig wären.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/390
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/390>, abgerufen am 01.09.2024.