Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.konnten sie sich es nicht wohl erklären, wie ein Jude und ein Zigeuner, die doch Weit höher stehen die inusicirende" Zigeuner, von denen fast in jeder Kolonie Die musicirenden Zigeuner wohne" gewöhnlich, wie ihre übrigen Stammge- Grenzboten. II. I8S1. i8
konnten sie sich es nicht wohl erklären, wie ein Jude und ein Zigeuner, die doch Weit höher stehen die inusicirende» Zigeuner, von denen fast in jeder Kolonie Die musicirenden Zigeuner wohne» gewöhnlich, wie ihre übrigen Stammge- Grenzboten. II. I8S1. i8
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91582"/> <p xml:id="ID_1062" prev="#ID_1061"> konnten sie sich es nicht wohl erklären, wie ein Jude und ein Zigeuner, die doch<lb/> gewöhnlich Beide nicht die Betrogenen im Handel zu sein pflegen, überhaupt ein<lb/> Pferdegeschäft mit einander abmachte», bei dem uach ihrer Ansicht eine Partei<lb/> immer übervortheilt werden muß. Sie riefen daher den mit dem erfcilschteu Pferde<lb/> vorübergehenden Juden herbei, und stellten ihm die Frage, wie er sich entschließen<lb/> konnte, sür ein lahmes Pferd S0 Gulden Münze zu geben? „El mein goldener<lb/> gnädiger Herr," erwiderte der Gefragte, „das muß ich besser versteh'u, der Schocherer<lb/> (Zigeuner) is ein Esel; das Pferd hat einen Nagel im Huf', darum geht es<lb/> lahm; ich werde den Nagel herausnehmen, und das Pferd einige Zeit gut abwirthen,<lb/> dann bekomm' ich 400 Gulden Zwanziger (Münze) für das Prachtstück. Die<lb/> jungen Kavaliere lachten über die Pfiffigkeit des Juden, wollten aber zugleich<lb/> erfahren, wie es zuging, daß sich ein Zigeuner so Übervortheilen ließ. Sie riefen<lb/> also Diesen herbei, der noch mit dem nachzählen der von dein Jude» erhaltenen<lb/> und in Oestreich gleichberechtigten verschiedenartigen Bankzettcl, Silben und Kupfer¬<lb/> münzen beschäftigt war. „Küsse Hand' und Füße meinen hohen gnädigen Herr¬<lb/> schaften," sagte der Zigeuner, seinen entblößten, etwas in Unordnung gerathenen<lb/> Lockenkopf schüttelnd, und die pechschwarzen, vom uach Frauenart getheilten Rin-<lb/> gellocken hinter die Ohren znrückglättend, „belieben nur Eure Hoheit nicht zu glau-<lb/> ben, daß ein jeder Hergelaufener eine» Zigeuner betrügen könne! Bin ich etwa<lb/> darum so alt geworden, wenn Eure Hoheit gnädigst erlauben, daß mich ein lum¬<lb/> piger Jude aufs Eis führen soll? Ich habe den Messiasgläubigen so eingeseift,<lb/> daß selbst sein Weib und seine Kinder davon schneeweiß werden sollen. Ich habe<lb/> fünfzig Guide» in der Tasche" — und hier klopfte er sich die linke Brustseite seiner<lb/> rothgeschnürte» blaue» Jacke — „der Jude glaubt, dem Pferde den Nagel aus¬<lb/> zuziehen, und da»» reich daran zu werden; soll's »ur prvbire»! das Pferd macht<lb/> weder Gott uoch Teufel wieder gesund, denn das arme Thier ist an und für sich<lb/> lahm, und ich habe ihm selbst den Nagel in den Huf geschlagen, damit der Käufer<lb/> glaube, es sei uur in Folge dieser Verletzung lahm; 10 Gulden bekommt er sür<lb/> die Mähre, keinen Heller mehr!" —</p><lb/> <p xml:id="ID_1063"> Weit höher stehen die inusicirende» Zigeuner, von denen fast in jeder Kolonie<lb/> eine Baude zu finden ist, während manche Colonien blos aus dieser Gattung<lb/> bestehen, und dann nach Alter nud Talent mehrere kleinere und größere, zu ver¬<lb/> schiedene» Preise» verfügbare Musikkapellen bilden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1064" next="#ID_1065"> Die musicirenden Zigeuner wohne» gewöhnlich, wie ihre übrigen Stammge-<lb/> »osse», an den Enden der Ortschaften, doch sind ihre Kolonien oder einzelnen<lb/> Häuser ans den ersten Anblick von den übrigen zu unterscheiden. — Das Auge<lb/> sieht niedliche, ob zwar etwas niedrige, und etwas tief gelegene Häuschen; das<lb/> Ohr hört fast den ganzen Tag hindurch Saitengeschrill und Klarmettengepfeis,<lb/> was bei dem Umstand, daß mehrere Individuen zu gleicher Zeit auf einem ver¬<lb/> hältnißmäßig kleinen Raume die verschiedensten Mnsikpiecen einstudiren, während</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. II. I8S1. i8</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0389]
konnten sie sich es nicht wohl erklären, wie ein Jude und ein Zigeuner, die doch
gewöhnlich Beide nicht die Betrogenen im Handel zu sein pflegen, überhaupt ein
Pferdegeschäft mit einander abmachte», bei dem uach ihrer Ansicht eine Partei
immer übervortheilt werden muß. Sie riefen daher den mit dem erfcilschteu Pferde
vorübergehenden Juden herbei, und stellten ihm die Frage, wie er sich entschließen
konnte, sür ein lahmes Pferd S0 Gulden Münze zu geben? „El mein goldener
gnädiger Herr," erwiderte der Gefragte, „das muß ich besser versteh'u, der Schocherer
(Zigeuner) is ein Esel; das Pferd hat einen Nagel im Huf', darum geht es
lahm; ich werde den Nagel herausnehmen, und das Pferd einige Zeit gut abwirthen,
dann bekomm' ich 400 Gulden Zwanziger (Münze) für das Prachtstück. Die
jungen Kavaliere lachten über die Pfiffigkeit des Juden, wollten aber zugleich
erfahren, wie es zuging, daß sich ein Zigeuner so Übervortheilen ließ. Sie riefen
also Diesen herbei, der noch mit dem nachzählen der von dein Jude» erhaltenen
und in Oestreich gleichberechtigten verschiedenartigen Bankzettcl, Silben und Kupfer¬
münzen beschäftigt war. „Küsse Hand' und Füße meinen hohen gnädigen Herr¬
schaften," sagte der Zigeuner, seinen entblößten, etwas in Unordnung gerathenen
Lockenkopf schüttelnd, und die pechschwarzen, vom uach Frauenart getheilten Rin-
gellocken hinter die Ohren znrückglättend, „belieben nur Eure Hoheit nicht zu glau-
ben, daß ein jeder Hergelaufener eine» Zigeuner betrügen könne! Bin ich etwa
darum so alt geworden, wenn Eure Hoheit gnädigst erlauben, daß mich ein lum¬
piger Jude aufs Eis führen soll? Ich habe den Messiasgläubigen so eingeseift,
daß selbst sein Weib und seine Kinder davon schneeweiß werden sollen. Ich habe
fünfzig Guide» in der Tasche" — und hier klopfte er sich die linke Brustseite seiner
rothgeschnürte» blaue» Jacke — „der Jude glaubt, dem Pferde den Nagel aus¬
zuziehen, und da»» reich daran zu werden; soll's »ur prvbire»! das Pferd macht
weder Gott uoch Teufel wieder gesund, denn das arme Thier ist an und für sich
lahm, und ich habe ihm selbst den Nagel in den Huf geschlagen, damit der Käufer
glaube, es sei uur in Folge dieser Verletzung lahm; 10 Gulden bekommt er sür
die Mähre, keinen Heller mehr!" —
Weit höher stehen die inusicirende» Zigeuner, von denen fast in jeder Kolonie
eine Baude zu finden ist, während manche Colonien blos aus dieser Gattung
bestehen, und dann nach Alter nud Talent mehrere kleinere und größere, zu ver¬
schiedene» Preise» verfügbare Musikkapellen bilden.
Die musicirenden Zigeuner wohne» gewöhnlich, wie ihre übrigen Stammge-
»osse», an den Enden der Ortschaften, doch sind ihre Kolonien oder einzelnen
Häuser ans den ersten Anblick von den übrigen zu unterscheiden. — Das Auge
sieht niedliche, ob zwar etwas niedrige, und etwas tief gelegene Häuschen; das
Ohr hört fast den ganzen Tag hindurch Saitengeschrill und Klarmettengepfeis,
was bei dem Umstand, daß mehrere Individuen zu gleicher Zeit auf einem ver¬
hältnißmäßig kleinen Raume die verschiedensten Mnsikpiecen einstudiren, während
Grenzboten. II. I8S1. i8
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