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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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aber nein, er gilt nun als eine vornehme und noble Natur. Zuletzt überzeugt
er sich übrigens, daß jene Person doch recht gutmüthig ist und ihn sehr liebt, er
zieht sich also mit ihr aufs Land zurück und lebt in glücklicher Ehe. -- Gegen
solche Unfläthigkeiteu sind doch die kühnsten Erfindungen des jungen Frankreich
und des jungen Deutschland ein Kinderspiel. -- Seine frühern Erzählungen, die
zum Theil in der Hoffmann'scheu Manier gehalten sind, dessen Schriften damals
gerade in Frankreich großen Anklang fanden, hat er im Jahre 1833 unter dem
Titel: vontss laut^sti eines gesammelt. Außerdem sind von ihm noch die Romane
edomin ü<z er^verso (1836) und Ha eosur pour ckeux amours (1837). Seine
Hauptthätigkeit aber war jene Mischung von Wahrheit und Dichtung, die in
novellistischer Form literarhistorische Stoffe behandelt, und der es gar nicht darauf
ankommt, gewissenhaft den Gegenstand zu erschöpfen, sondern blos anmuthig dar¬
über zu plaudern. Eine ziemlich ausgebreitete, aber zerstreute Belesenheit, ohne
alles Studium und ohne alle Kritik, setzt ihn in Stand, seinem Publicum durch
blendende Gesichtspunkte zu imponiren. Dahin gehören seine ladlsaux rmöoäotiqMs
Ah 1" 1it6raturs kranyaiss (1829), varrmve (1831), Paris Sopuis la, i'vvnlulion
ä"z drittel (1833), vvburöaa (1832; eine Art Geschichte des komischen Theaters,
aber schon mit jener Neigung der romantischen Schule, den Hanswurst als einen
sentimentalen Gegenstand zu idealisiren, und daher wesentlich von dem Dickens'schen
Grimaldi zu unterscheiden, der ein ähnliches Thema behandelt), serner Uoinans,
nmrvelles et vomies UlLi'iriros (183i-, eine Literaturgeschichte in Novellen); endlich
sein neuestes Werk, das er währeud der Revolution geschrieben hat: la rvli^leusv
as loulouss. In diesem letztern hat der moderne Jesuitismus eiuen sehr in¬
teressanten Beitrag zum Kampf gegen die Irreligiosität des Zeitalters gesehen,
weil viele Lobreden ans die schöne alte Zeit des Glaubens darin vorkommen, in
der man durch zweifelnde Gedanken nicht gestört wurde. ("Was man in unsern
Tagen von jenem namenlosen Mißgesühl spricht, aus welchem Leidenschaften ohne
Muth, Unruhen deö Geistes, Inconsequenzen des Herzens, Ungleichheit der Stim¬
mung, Ungewißheit des Verhaltens hervorgeht, war im 17. Jahrhundert unmöglich,
da dieses die Regel und die Besserung selbst war. Eine getäuschte Leidenschaft
führte damals zur Resignation, zur Regel, zur Pflicht, zum Joch u. s. w.") Es
ist aber im Ganzen in dem nämlichen Skepticismus und mit derselben Coquetterie
geschrieben, die seine frühern Schriften charakterisiren.

Der Einfluß, ven ein solcher Schriftsteller auf deu Charakter und die Sitt¬
lichkeit des Zeitalters ausübt, ist, wie sich von selbst versteht, nur ein verderblicher,
dagegen konnte man zweifelhaft sein, ob sein Einfluß auf die Sprache nicht in
mancher Beziehung anzuerkennen wäre. Man hat sich in frühern Zeiten bitter
darüber beschwert, daß die Französische Sprache mit mathematischer Gewißheit
immer nnr die gerade Linie verfolge und darum der Poesie feindlich sei. Das
kann man von der modernen Sprache nicht mehr behaupten. Combinationen,


aber nein, er gilt nun als eine vornehme und noble Natur. Zuletzt überzeugt
er sich übrigens, daß jene Person doch recht gutmüthig ist und ihn sehr liebt, er
zieht sich also mit ihr aufs Land zurück und lebt in glücklicher Ehe. — Gegen
solche Unfläthigkeiteu sind doch die kühnsten Erfindungen des jungen Frankreich
und des jungen Deutschland ein Kinderspiel. — Seine frühern Erzählungen, die
zum Theil in der Hoffmann'scheu Manier gehalten sind, dessen Schriften damals
gerade in Frankreich großen Anklang fanden, hat er im Jahre 1833 unter dem
Titel: vontss laut^sti eines gesammelt. Außerdem sind von ihm noch die Romane
edomin ü<z er^verso (1836) und Ha eosur pour ckeux amours (1837). Seine
Hauptthätigkeit aber war jene Mischung von Wahrheit und Dichtung, die in
novellistischer Form literarhistorische Stoffe behandelt, und der es gar nicht darauf
ankommt, gewissenhaft den Gegenstand zu erschöpfen, sondern blos anmuthig dar¬
über zu plaudern. Eine ziemlich ausgebreitete, aber zerstreute Belesenheit, ohne
alles Studium und ohne alle Kritik, setzt ihn in Stand, seinem Publicum durch
blendende Gesichtspunkte zu imponiren. Dahin gehören seine ladlsaux rmöoäotiqMs
Ah 1» 1it6raturs kranyaiss (1829), varrmve (1831), Paris Sopuis la, i'vvnlulion
ä«z drittel (1833), vvburöaa (1832; eine Art Geschichte des komischen Theaters,
aber schon mit jener Neigung der romantischen Schule, den Hanswurst als einen
sentimentalen Gegenstand zu idealisiren, und daher wesentlich von dem Dickens'schen
Grimaldi zu unterscheiden, der ein ähnliches Thema behandelt), serner Uoinans,
nmrvelles et vomies UlLi'iriros (183i-, eine Literaturgeschichte in Novellen); endlich
sein neuestes Werk, das er währeud der Revolution geschrieben hat: la rvli^leusv
as loulouss. In diesem letztern hat der moderne Jesuitismus eiuen sehr in¬
teressanten Beitrag zum Kampf gegen die Irreligiosität des Zeitalters gesehen,
weil viele Lobreden ans die schöne alte Zeit des Glaubens darin vorkommen, in
der man durch zweifelnde Gedanken nicht gestört wurde. („Was man in unsern
Tagen von jenem namenlosen Mißgesühl spricht, aus welchem Leidenschaften ohne
Muth, Unruhen deö Geistes, Inconsequenzen des Herzens, Ungleichheit der Stim¬
mung, Ungewißheit des Verhaltens hervorgeht, war im 17. Jahrhundert unmöglich,
da dieses die Regel und die Besserung selbst war. Eine getäuschte Leidenschaft
führte damals zur Resignation, zur Regel, zur Pflicht, zum Joch u. s. w.") Es
ist aber im Ganzen in dem nämlichen Skepticismus und mit derselben Coquetterie
geschrieben, die seine frühern Schriften charakterisiren.

Der Einfluß, ven ein solcher Schriftsteller auf deu Charakter und die Sitt¬
lichkeit des Zeitalters ausübt, ist, wie sich von selbst versteht, nur ein verderblicher,
dagegen konnte man zweifelhaft sein, ob sein Einfluß auf die Sprache nicht in
mancher Beziehung anzuerkennen wäre. Man hat sich in frühern Zeiten bitter
darüber beschwert, daß die Französische Sprache mit mathematischer Gewißheit
immer nnr die gerade Linie verfolge und darum der Poesie feindlich sei. Das
kann man von der modernen Sprache nicht mehr behaupten. Combinationen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/385>, abgerufen am 27.07.2024.