Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.beugen. Ganz wie Heine, sein Zeitgenosse, dem er an Talent fast eben so nahe beugen. Ganz wie Heine, sein Zeitgenosse, dem er an Talent fast eben so nahe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0384" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91577"/> <p xml:id="ID_1051" prev="#ID_1050" next="#ID_1052"> beugen. Ganz wie Heine, sein Zeitgenosse, dem er an Talent fast eben so nahe<lb/> steht, wie in der Manier, hat er steh bald für Republik und Freiheit, bald für<lb/> Kirche und König begeistert, wie es gerade die Stimmung mit sich brachte, bis<lb/> seine officielle Stellung ihm auch darin einen conservative» Halt gab. Er schreibt<lb/> jetzt für die öffentliche Moral gegen die Depravation des Zeitalters; mit welchem<lb/> Recht, kann man abmessen, wenn man sich an seine frühern Erzählungen erinnert,<lb/> deren Unsittlichkeit Alles übertrifft, was die Französische Romantik geleistet hat,<lb/> und die nur darum weniger bekannt sind, weil ein so unruhiger, zerfahrener Geist<lb/> auch nicht im Stande ist, gut zu erzählen. Seine erste Novelle, „der todte Esel<lb/> und die guillotinirte Frau" (1829), enthielt die Geschichte einer Prostituirten durch<lb/> das Bordell bis zum Kindesmord und der Guillotine, mit eingestreuten senti¬<lb/> mentalen Betrachtungen über die Vergänglichkeit alles Irdischen. - Eine zweite,<lb/> „die Beichte" (-183»), fängt mit einer Hochzeit an. Die Neuvermählte, die am<lb/> Hvchzeitabend viel getanzt hat, ist sehr schläfrig, und vergebens sucht der Gemahl<lb/> ihr Zeichen der Empfindung zu entlocken. In -der Wuth darüber erdrosselt er<lb/> sie. Mau glaubt allgemein, sie sei vom Schlage gerührt worden; nur ein alter<lb/> Jesuit übersieht das richtige Verhältniß, aber ohne sich Etwas merken zu lassen.<lb/> Der junge Herr, der zwar etwas von Gewissensbissen gequält wird, lebt im Uebrigen<lb/> in seinen frivolen Genüssen fort, bis er endlich die innere Nothwendigkeit empfindet,<lb/> trotz seiner atheistischen Gesinnung, zu beichten und die Absolution zu empfangen.<lb/> Dazu braucht er aber einen recht tüchtigen Beichtvater, und er glaubt solchen in<lb/> jenem alten Jesuiten gefunden zu haben. Da dieser schwer zu haben ist, wendet<lb/> er sich an ein Mädchen, mit dem der Jesuit in irgend einem Verhältniß steht,<lb/> und um sie zu gewinnen, verführt er sie. Der Jesuit kommt und sängt nun an,<lb/> ihm eine fulminante Strafpredigt zu halten. Zuerst wird der Mord besprochen,<lb/> sehr bald aber ergiebt es sich, daß dieser eine vollständige Nebensache ist, wenn<lb/> man daneben das Grundübel, die irreligiöse Gesinnung in Anschlag bringt. Kurz,<lb/> unser Held wird vollständig bekehrt; er sieht ein, daß man seinen Verstand gefangen<lb/> nehmen muß, um zur Gnade zu gelangen, wird Bischof und lebt im resignirten<lb/> Genuß gastrischer Freude» bis an sein seliges Ende. — In einer andern Novelle,<lb/> „das Glück" (1831), sucht sich der Held, um Carriere zu macheu, in Italie» ein<lb/> öffentliches Mädchen aus, stellt diese der Pariser Gesellschaft als seine Frau vor,<lb/> und veranlaßt sie, sich allen Großen der Erde preiszugeben, um durch diese zu<lb/> steigen. Er ist nun endlich ein reicher und vornehmer Mann geworden, und blos<lb/> d^r Makel eiues allgemeinen Hahnrei's haftet an ihm, aber auch dieser nur gelind,<lb/> da er in einem Dolchduell, in dem sein Gegner blieb, seinen Muth bewährt hat.<lb/> Um sich aber vollständig zu rehabilitireu, ladet er eiues Abends eine glänzende<lb/> Gesellschaft ein, stellt seine angebliche Gemahlin derselben vor und erklärt, es sei<lb/> keineswegs seine Frau, sondern eine öffentliche Dirne. Nach dieser Erklärung<lb/> sollte mau meinen, daß ihn die gute Gesellschaft mit Fußtritten entfernen würde,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0384]
beugen. Ganz wie Heine, sein Zeitgenosse, dem er an Talent fast eben so nahe
steht, wie in der Manier, hat er steh bald für Republik und Freiheit, bald für
Kirche und König begeistert, wie es gerade die Stimmung mit sich brachte, bis
seine officielle Stellung ihm auch darin einen conservative» Halt gab. Er schreibt
jetzt für die öffentliche Moral gegen die Depravation des Zeitalters; mit welchem
Recht, kann man abmessen, wenn man sich an seine frühern Erzählungen erinnert,
deren Unsittlichkeit Alles übertrifft, was die Französische Romantik geleistet hat,
und die nur darum weniger bekannt sind, weil ein so unruhiger, zerfahrener Geist
auch nicht im Stande ist, gut zu erzählen. Seine erste Novelle, „der todte Esel
und die guillotinirte Frau" (1829), enthielt die Geschichte einer Prostituirten durch
das Bordell bis zum Kindesmord und der Guillotine, mit eingestreuten senti¬
mentalen Betrachtungen über die Vergänglichkeit alles Irdischen. - Eine zweite,
„die Beichte" (-183»), fängt mit einer Hochzeit an. Die Neuvermählte, die am
Hvchzeitabend viel getanzt hat, ist sehr schläfrig, und vergebens sucht der Gemahl
ihr Zeichen der Empfindung zu entlocken. In -der Wuth darüber erdrosselt er
sie. Mau glaubt allgemein, sie sei vom Schlage gerührt worden; nur ein alter
Jesuit übersieht das richtige Verhältniß, aber ohne sich Etwas merken zu lassen.
Der junge Herr, der zwar etwas von Gewissensbissen gequält wird, lebt im Uebrigen
in seinen frivolen Genüssen fort, bis er endlich die innere Nothwendigkeit empfindet,
trotz seiner atheistischen Gesinnung, zu beichten und die Absolution zu empfangen.
Dazu braucht er aber einen recht tüchtigen Beichtvater, und er glaubt solchen in
jenem alten Jesuiten gefunden zu haben. Da dieser schwer zu haben ist, wendet
er sich an ein Mädchen, mit dem der Jesuit in irgend einem Verhältniß steht,
und um sie zu gewinnen, verführt er sie. Der Jesuit kommt und sängt nun an,
ihm eine fulminante Strafpredigt zu halten. Zuerst wird der Mord besprochen,
sehr bald aber ergiebt es sich, daß dieser eine vollständige Nebensache ist, wenn
man daneben das Grundübel, die irreligiöse Gesinnung in Anschlag bringt. Kurz,
unser Held wird vollständig bekehrt; er sieht ein, daß man seinen Verstand gefangen
nehmen muß, um zur Gnade zu gelangen, wird Bischof und lebt im resignirten
Genuß gastrischer Freude» bis an sein seliges Ende. — In einer andern Novelle,
„das Glück" (1831), sucht sich der Held, um Carriere zu macheu, in Italie» ein
öffentliches Mädchen aus, stellt diese der Pariser Gesellschaft als seine Frau vor,
und veranlaßt sie, sich allen Großen der Erde preiszugeben, um durch diese zu
steigen. Er ist nun endlich ein reicher und vornehmer Mann geworden, und blos
d^r Makel eiues allgemeinen Hahnrei's haftet an ihm, aber auch dieser nur gelind,
da er in einem Dolchduell, in dem sein Gegner blieb, seinen Muth bewährt hat.
Um sich aber vollständig zu rehabilitireu, ladet er eiues Abends eine glänzende
Gesellschaft ein, stellt seine angebliche Gemahlin derselben vor und erklärt, es sei
keineswegs seine Frau, sondern eine öffentliche Dirne. Nach dieser Erklärung
sollte mau meinen, daß ihn die gute Gesellschaft mit Fußtritten entfernen würde,
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