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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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these gerathen ist, liegt zum Theil in ihrem Ursprung. Die neuere Philosophie,
so weit sie nicht allen Schein der Wissenschaftlichkeit von sich abgestreift hat, >,ist
ans der Theologie hervorgegangen, die Theologie aber setzt sich von vorn herein
die Aufgabe, die nur in einzelnen Bildern und Erzählungen begründete" Dogmen
der Religion zu einer Totalität zu vereinigen. Diese unmögliche Aufgabe kounte
sie nnr dadurch lösen, daß sie Begriffe einführte, die den Widerspruch bereits in
sich enthielten, daß sie die naiven, populairen, kindlichen Vorstellungen in eine
Abstraction verwandelte, wie das z. B. mit den Begriffen der Transsubstantia-
tion und der Dreieinigkeit geschehen ist. Bekanntlich hat bei den Byzantinischen
Theologen der Unterschied der Begriffe ö^ol^-o? und ö^o-vos-os zu blutigen
Schlägereien geführt, wie man denn überhaupt am Leidenschaftlichsteu auf solche
Worte schwört, die gar keinen Sinn haben. -- Daß die moderne Philosophie
aus dieser Goltcsgelahrheit hervorgegangen ist, können wir schon in ihrer Ge¬
schichte verfolgen, aber auch der Einblick in jede der einzelnen Schriften wird uus
davon überzeugen. Allerdings tritt auch von vorn herein ein entgegengesetztes
Moment in derselben hervor, das Moment der Aufklärung. Mit jeder Umdeu-
tung eines Dogmas in einen wenn auch nicht ganz deutlichen Gedanken wurde
dem dunklen Gebiete des bloßen Glaubens ein Terrain abgewonnen, und um sich
stärkere Waffen anzueignen, entlehnte die Philosophie den neuaufkeimenden wirk¬
lichen Wissenschaften ein Rüstzeug nach dem andern. So stand im vorige" Jahr¬
hundert die sogenannte philosophische Partei dem Christenthum gegenüber. Die
Franzosen hatte" nicht allein in Beziehung ans den Inhalt mit der frühern Ge¬
schichte der Philosophie gebrochen, sondern auch die Form war aufgegeben wor¬
den , wenn auch noch in den Abstractionen, die sich in das Lehrgebäude des Ma¬
terialismus eingeführt hatten, ein sehr leicht erkennbarer Anklang an die alte
Methode zu finde" war.

Die Deutschen haben die alte scholastische Philosophie wieder in ihr Recht
eingesetzt, allerdings durch die Einführung eines neuen Inhalts. Seit dem Ende
des vorigen Jahrhunderts trat die Deutsche Philosophie nicht mehr als Anwalt
der Aufklärung, sondern als ihr Gegner auf. Wir können in der Entwickelung
derselben ziemlich geuau die Perioden unterscheiden.

In der ersten Periode war sie poetisch und suchte im Verein mit der dama¬
ligen Dichtung dem souverainen Gefühl Recht gegen de" gesunde" Menschenver¬
stand zu verschaffen. Sie erging sich in Predigten und Weissagungen, sprach sich
in Monologen, Reden und Gesprächen aus; ein jedes Individuum, welches
auf die Stärke und Tiefe seines Gefühls Etwas hielt, glaubte sich wenigstens in
Aphorismen über das Wesen Gottes und der Natur aussprechen zu müssen. Der
einzige dieser Philosophen, der die Dogmen seines Gefühls in eine ziemlich scharf
geschlossene Dialektik einspannte, Fichte, machte damit doch nur der Neigung der
hervorragenden Geister, sich gegen die profane Masse abzuschließen, eine Cor-


these gerathen ist, liegt zum Theil in ihrem Ursprung. Die neuere Philosophie,
so weit sie nicht allen Schein der Wissenschaftlichkeit von sich abgestreift hat, >,ist
ans der Theologie hervorgegangen, die Theologie aber setzt sich von vorn herein
die Aufgabe, die nur in einzelnen Bildern und Erzählungen begründete» Dogmen
der Religion zu einer Totalität zu vereinigen. Diese unmögliche Aufgabe kounte
sie nnr dadurch lösen, daß sie Begriffe einführte, die den Widerspruch bereits in
sich enthielten, daß sie die naiven, populairen, kindlichen Vorstellungen in eine
Abstraction verwandelte, wie das z. B. mit den Begriffen der Transsubstantia-
tion und der Dreieinigkeit geschehen ist. Bekanntlich hat bei den Byzantinischen
Theologen der Unterschied der Begriffe ö^ol^-o? und ö^o-vos-os zu blutigen
Schlägereien geführt, wie man denn überhaupt am Leidenschaftlichsteu auf solche
Worte schwört, die gar keinen Sinn haben. — Daß die moderne Philosophie
aus dieser Goltcsgelahrheit hervorgegangen ist, können wir schon in ihrer Ge¬
schichte verfolgen, aber auch der Einblick in jede der einzelnen Schriften wird uus
davon überzeugen. Allerdings tritt auch von vorn herein ein entgegengesetztes
Moment in derselben hervor, das Moment der Aufklärung. Mit jeder Umdeu-
tung eines Dogmas in einen wenn auch nicht ganz deutlichen Gedanken wurde
dem dunklen Gebiete des bloßen Glaubens ein Terrain abgewonnen, und um sich
stärkere Waffen anzueignen, entlehnte die Philosophie den neuaufkeimenden wirk¬
lichen Wissenschaften ein Rüstzeug nach dem andern. So stand im vorige» Jahr¬
hundert die sogenannte philosophische Partei dem Christenthum gegenüber. Die
Franzosen hatte» nicht allein in Beziehung ans den Inhalt mit der frühern Ge¬
schichte der Philosophie gebrochen, sondern auch die Form war aufgegeben wor¬
den , wenn auch noch in den Abstractionen, die sich in das Lehrgebäude des Ma¬
terialismus eingeführt hatten, ein sehr leicht erkennbarer Anklang an die alte
Methode zu finde» war.

Die Deutschen haben die alte scholastische Philosophie wieder in ihr Recht
eingesetzt, allerdings durch die Einführung eines neuen Inhalts. Seit dem Ende
des vorigen Jahrhunderts trat die Deutsche Philosophie nicht mehr als Anwalt
der Aufklärung, sondern als ihr Gegner auf. Wir können in der Entwickelung
derselben ziemlich geuau die Perioden unterscheiden.

In der ersten Periode war sie poetisch und suchte im Verein mit der dama¬
ligen Dichtung dem souverainen Gefühl Recht gegen de» gesunde» Menschenver¬
stand zu verschaffen. Sie erging sich in Predigten und Weissagungen, sprach sich
in Monologen, Reden und Gesprächen aus; ein jedes Individuum, welches
auf die Stärke und Tiefe seines Gefühls Etwas hielt, glaubte sich wenigstens in
Aphorismen über das Wesen Gottes und der Natur aussprechen zu müssen. Der
einzige dieser Philosophen, der die Dogmen seines Gefühls in eine ziemlich scharf
geschlossene Dialektik einspannte, Fichte, machte damit doch nur der Neigung der
hervorragenden Geister, sich gegen die profane Masse abzuschließen, eine Cor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/377>, abgerufen am 01.09.2024.