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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Bedeutung gebraucht werden, so entsteht eine beständige Verwirrung, da man nie
weiß, welche von beiden in diesem Augenblick gemeint ist. Die Philosophie recht¬
fertigt ihre Kunstausdrücke durch die Gewohnheit anderer Wissenschaften, allem
diese Rechtfertigung reicht nicht aus, denn bei den andern Wissenschaften sind die
neu eingeführten Ausdrücke entweder bloße Namen, bei denen man sich absolut
nichts Anderes denken soll, als das in der Definition angegebene Prädicat (z. B.
bei der arithmetischen Wurzel soll man nicht im Entferntesten an Eichen und Di¬
steln erinnert werden), oder sie stellen einen bisher noch nicht bekannten sinnlich
wahrnehmbaren Gegenstand dar. Die sogenannten reinen Gedanken dagegen,
in denen sich die Philosophie bewegt, sind keine Gedanken, wenn sie sich nicht in
der wirklichen Sprache einen Ausdruck zu verschaffen wissen; sie sind nur Em¬
bryonen von Gedanken. Aber anch jene andere Methode, Begriffe, die man
sonst nur adverbialiter gebraucht, substantivisch zu behandeln, ist zu verwerfen,
denn mit der Form ändert sich der Inhalt. So z. B. jeuer bekannte Hegelsche
Sprachgebrauch mit dem Ausich-, Fürsich- und Anundfürsichsein. Allerdings haben
jene.Ausdrücke eine bestimmte Bedeutung, und mau weiß sehr wohl, was man
meint, wenn mau sagt: dieser Mensch ist an sich gut; aber es ist schon unerlaubt,
die Bedeutung dieser Ausdrucke gegen den Sprachgebrauch willkürlich zu erweitern
oder zu beschränke", da man doch unmöglich bei einem alle Augenblicke vorkom¬
menden Wort auf die gemachte Definition recurriren kann, und da auch diese
Definition in keiner Weise ausreichen würde, da sie doch nur durch ein Synonym
gegeben werden könnte. Vollends unerlaubt aber ist es, aus dem Ansichseiu
". s. w. ein neues Wort zu bilden, da dies gegen die Analogie der Sprachbil¬
dung ist, und da es auch in das bekannte Wort einen ganz neuen Begriff ein¬
führt, den man durch keine Definition vollständig präciflrcn kann. Fast eben so
ist es schon mit dem Verbum sei"; es hat die doppelte Bedeutung der Copula
und des Existireus; wenn man es aber substantivisch gebraucht, so hat es nur
die letztere Bedeutung, und Hegel könnte in seinem bekannten ersten Grundsatz
der Logik das Sein, d. h. den substantivisch gebrauchten Copula-Begriff nicht
blos mit dem Nichtsein, sondern viel zweckmäßiger mit dem Unsinn identificiren,
denn die Copula für sich betrachtet, wenn man sie nicht grammatisch erläutern
will, ist ein Unsinn. Gerade da die Metaphysik, d. h. die Erklärung der Grund¬
begriffe, ihres schwierigen Gegenstandes halber eine viel größere Aufmerksamkeit
in Anspruch nimmt, als jede andere Wissenschaft, so muß sie um so sorgfältiger
danach streben, klar und deutlich zu.seyn; klar und deutlich ist man aber nur,
wenn man den Regeln der Grammatik folgt.

Dieser scheinbar nur in der Form liegende Uebelstand erstreckt sich auch auf
das Wesen. Die Ausgabe der Metaphysik ist eine wesentlich analytische und ent¬
spricht im Gebiet des Geistes vollständig der Thätigkeit des Anatomen im Ge¬
biet der Natur. Daß bis jetzt aber jede neuere Philosophie voreilig in die syn-


Bedeutung gebraucht werden, so entsteht eine beständige Verwirrung, da man nie
weiß, welche von beiden in diesem Augenblick gemeint ist. Die Philosophie recht¬
fertigt ihre Kunstausdrücke durch die Gewohnheit anderer Wissenschaften, allem
diese Rechtfertigung reicht nicht aus, denn bei den andern Wissenschaften sind die
neu eingeführten Ausdrücke entweder bloße Namen, bei denen man sich absolut
nichts Anderes denken soll, als das in der Definition angegebene Prädicat (z. B.
bei der arithmetischen Wurzel soll man nicht im Entferntesten an Eichen und Di¬
steln erinnert werden), oder sie stellen einen bisher noch nicht bekannten sinnlich
wahrnehmbaren Gegenstand dar. Die sogenannten reinen Gedanken dagegen,
in denen sich die Philosophie bewegt, sind keine Gedanken, wenn sie sich nicht in
der wirklichen Sprache einen Ausdruck zu verschaffen wissen; sie sind nur Em¬
bryonen von Gedanken. Aber anch jene andere Methode, Begriffe, die man
sonst nur adverbialiter gebraucht, substantivisch zu behandeln, ist zu verwerfen,
denn mit der Form ändert sich der Inhalt. So z. B. jeuer bekannte Hegelsche
Sprachgebrauch mit dem Ausich-, Fürsich- und Anundfürsichsein. Allerdings haben
jene.Ausdrücke eine bestimmte Bedeutung, und mau weiß sehr wohl, was man
meint, wenn mau sagt: dieser Mensch ist an sich gut; aber es ist schon unerlaubt,
die Bedeutung dieser Ausdrucke gegen den Sprachgebrauch willkürlich zu erweitern
oder zu beschränke», da man doch unmöglich bei einem alle Augenblicke vorkom¬
menden Wort auf die gemachte Definition recurriren kann, und da auch diese
Definition in keiner Weise ausreichen würde, da sie doch nur durch ein Synonym
gegeben werden könnte. Vollends unerlaubt aber ist es, aus dem Ansichseiu
«. s. w. ein neues Wort zu bilden, da dies gegen die Analogie der Sprachbil¬
dung ist, und da es auch in das bekannte Wort einen ganz neuen Begriff ein¬
führt, den man durch keine Definition vollständig präciflrcn kann. Fast eben so
ist es schon mit dem Verbum sei»; es hat die doppelte Bedeutung der Copula
und des Existireus; wenn man es aber substantivisch gebraucht, so hat es nur
die letztere Bedeutung, und Hegel könnte in seinem bekannten ersten Grundsatz
der Logik das Sein, d. h. den substantivisch gebrauchten Copula-Begriff nicht
blos mit dem Nichtsein, sondern viel zweckmäßiger mit dem Unsinn identificiren,
denn die Copula für sich betrachtet, wenn man sie nicht grammatisch erläutern
will, ist ein Unsinn. Gerade da die Metaphysik, d. h. die Erklärung der Grund¬
begriffe, ihres schwierigen Gegenstandes halber eine viel größere Aufmerksamkeit
in Anspruch nimmt, als jede andere Wissenschaft, so muß sie um so sorgfältiger
danach streben, klar und deutlich zu.seyn; klar und deutlich ist man aber nur,
wenn man den Regeln der Grammatik folgt.

Dieser scheinbar nur in der Form liegende Uebelstand erstreckt sich auch auf
das Wesen. Die Ausgabe der Metaphysik ist eine wesentlich analytische und ent¬
spricht im Gebiet des Geistes vollständig der Thätigkeit des Anatomen im Ge¬
biet der Natur. Daß bis jetzt aber jede neuere Philosophie voreilig in die syn-


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[0376] Bedeutung gebraucht werden, so entsteht eine beständige Verwirrung, da man nie weiß, welche von beiden in diesem Augenblick gemeint ist. Die Philosophie recht¬ fertigt ihre Kunstausdrücke durch die Gewohnheit anderer Wissenschaften, allem diese Rechtfertigung reicht nicht aus, denn bei den andern Wissenschaften sind die neu eingeführten Ausdrücke entweder bloße Namen, bei denen man sich absolut nichts Anderes denken soll, als das in der Definition angegebene Prädicat (z. B. bei der arithmetischen Wurzel soll man nicht im Entferntesten an Eichen und Di¬ steln erinnert werden), oder sie stellen einen bisher noch nicht bekannten sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand dar. Die sogenannten reinen Gedanken dagegen, in denen sich die Philosophie bewegt, sind keine Gedanken, wenn sie sich nicht in der wirklichen Sprache einen Ausdruck zu verschaffen wissen; sie sind nur Em¬ bryonen von Gedanken. Aber anch jene andere Methode, Begriffe, die man sonst nur adverbialiter gebraucht, substantivisch zu behandeln, ist zu verwerfen, denn mit der Form ändert sich der Inhalt. So z. B. jeuer bekannte Hegelsche Sprachgebrauch mit dem Ausich-, Fürsich- und Anundfürsichsein. Allerdings haben jene.Ausdrücke eine bestimmte Bedeutung, und mau weiß sehr wohl, was man meint, wenn mau sagt: dieser Mensch ist an sich gut; aber es ist schon unerlaubt, die Bedeutung dieser Ausdrucke gegen den Sprachgebrauch willkürlich zu erweitern oder zu beschränke», da man doch unmöglich bei einem alle Augenblicke vorkom¬ menden Wort auf die gemachte Definition recurriren kann, und da auch diese Definition in keiner Weise ausreichen würde, da sie doch nur durch ein Synonym gegeben werden könnte. Vollends unerlaubt aber ist es, aus dem Ansichseiu «. s. w. ein neues Wort zu bilden, da dies gegen die Analogie der Sprachbil¬ dung ist, und da es auch in das bekannte Wort einen ganz neuen Begriff ein¬ führt, den man durch keine Definition vollständig präciflrcn kann. Fast eben so ist es schon mit dem Verbum sei»; es hat die doppelte Bedeutung der Copula und des Existireus; wenn man es aber substantivisch gebraucht, so hat es nur die letztere Bedeutung, und Hegel könnte in seinem bekannten ersten Grundsatz der Logik das Sein, d. h. den substantivisch gebrauchten Copula-Begriff nicht blos mit dem Nichtsein, sondern viel zweckmäßiger mit dem Unsinn identificiren, denn die Copula für sich betrachtet, wenn man sie nicht grammatisch erläutern will, ist ein Unsinn. Gerade da die Metaphysik, d. h. die Erklärung der Grund¬ begriffe, ihres schwierigen Gegenstandes halber eine viel größere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, als jede andere Wissenschaft, so muß sie um so sorgfältiger danach streben, klar und deutlich zu.seyn; klar und deutlich ist man aber nur, wenn man den Regeln der Grammatik folgt. Dieser scheinbar nur in der Form liegende Uebelstand erstreckt sich auch auf das Wesen. Die Ausgabe der Metaphysik ist eine wesentlich analytische und ent¬ spricht im Gebiet des Geistes vollständig der Thätigkeit des Anatomen im Ge¬ biet der Natur. Daß bis jetzt aber jede neuere Philosophie voreilig in die syn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/376>, abgerufen am 01.09.2024.