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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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diesen Lieblingsconflict keine andere Lösung, als eine äußerliche. I.Ex es>, res
Surnia et Inexor-rbilis, das harte Gesetz duldet keine Vermittelung, ebenso wenig
die Nemesis, der abstracte Neid der Götter. Die neue Zeit giebt dem freien
Bewußtsein das Recht, sich selbst zu richten und damit zu versöhnen. Das Gesetz
hat nur noch den Schein der unnahbaren Strenge. Als der Drachensieger, der
wider das Gesetz das Vaterland gerettet, in Erkenntniß seiner Schuld sich der
Strafe unterwirft, giebt der Meister ihm das Kreuz zurück als Lohn der Demuth,
die sich selbst bezwungen. Es wäre höchst roh, dies so zu verstehen, als ob der
Meister, gerührt von der Bescheidenheit des bestraften Jünglings, mit edler
Willkür ihm verziehe, da er ihm ebenso gut auch nicht hätte verzeihen können.
Diese Freisprechung nach dem Bekenntniß der Schuld ist vielmehr sittliche Noth¬
wendigkeit. Der Heide Ajax mußte sich todte", weil seine Schuld ihm äußerlich
blieb, der Moderne findet die Versöhnung in sich selbst.

Im Prinzen von Homburg hat dieser Conflict dadurch eine lebensvolle Fär¬
bung erhalten, daß die sittliche Welt, innerhalb deren er stattfindet, plastisch
ausgeführt wird, während er im lyrischen Gedicht nur angedeutet werden kounte.
Der Geist eines wohlgeordneten Kriegerstaats, der in seiner Weise ebenso aner-
kennenswerth ist, als die republikanische Freiheit mit der harten, knöchernen
Sprödigkeit der Hinterwäldlers, weil er sich an eine positive Idee knüpft, an
eine Fahne, die noch ein höheres Symbol enthält, als das Wohlbefinden der
gegenwärtigen Generation, weht uns mit frischem Athemzug ans diesem Gedicht
an. In der Mitte der Fürst, der mit verständigem Ernst die Zügel des Staats
in starken Händen hält, um ihn die treuen Kampfgenossen, die ihn verehren, ohne
seine Knechte zu sein, ein gegenseitiges Vertraue" ohne Aufgeben der Selbst-
ständigkeit, auffahrende Hitze, wie es Kriegern geziemt, und doch strenge Loyalität.
Kleist konnte von seinen Gestalten sagen, wie Tasso: Es sind nicht Schatten, die
der Wahn erzeugte, ich weiß es, sie sind ewig, denn sie sind. Trotz der
Schlacht von Jena konnte man noch die Idee des specifischen PreußenthumS fest¬
halten; trotz der Schlacht von Bronzell müssen wir uns ihrer erinnern.

Das Stück war von den Preußischen Hosbühnen verbannt, weil es gegen
die Etiquette war, einen Verwandten des regierenden Hauses auf die Breter zu
bringen; selbst an seinem Jubelfeste durste Friedrich der Große nur hinter der
Scene die Flöte spielen, das persönliche Erscheinen in seinem Feldlager war
ihm versagt. Engherzige Prüderie des modernen protestantischen Staats! Der
Katholik sieht seine Heiligen auf der Bühne mit derselben Andacht, mit der er
sich in der Kirche vor ihrem Bilde niederwirft. Nur unser Skepticismus fürchtet
die Profanation. -- Die Märztage haben die Heidenkönige, gegen deren Staat sie
gerichtet waren, von dieser Verbannung erlöst. Es ist wenig Aussicht vorhanden,
daß dies lange dauern wird. Man befördert zwar jetzt sehr stark die patriotische
Gesinnung, aber von dem patriotischen Verstand will man nicht viel mehr hören.


diesen Lieblingsconflict keine andere Lösung, als eine äußerliche. I.Ex es>, res
Surnia et Inexor-rbilis, das harte Gesetz duldet keine Vermittelung, ebenso wenig
die Nemesis, der abstracte Neid der Götter. Die neue Zeit giebt dem freien
Bewußtsein das Recht, sich selbst zu richten und damit zu versöhnen. Das Gesetz
hat nur noch den Schein der unnahbaren Strenge. Als der Drachensieger, der
wider das Gesetz das Vaterland gerettet, in Erkenntniß seiner Schuld sich der
Strafe unterwirft, giebt der Meister ihm das Kreuz zurück als Lohn der Demuth,
die sich selbst bezwungen. Es wäre höchst roh, dies so zu verstehen, als ob der
Meister, gerührt von der Bescheidenheit des bestraften Jünglings, mit edler
Willkür ihm verziehe, da er ihm ebenso gut auch nicht hätte verzeihen können.
Diese Freisprechung nach dem Bekenntniß der Schuld ist vielmehr sittliche Noth¬
wendigkeit. Der Heide Ajax mußte sich todte», weil seine Schuld ihm äußerlich
blieb, der Moderne findet die Versöhnung in sich selbst.

Im Prinzen von Homburg hat dieser Conflict dadurch eine lebensvolle Fär¬
bung erhalten, daß die sittliche Welt, innerhalb deren er stattfindet, plastisch
ausgeführt wird, während er im lyrischen Gedicht nur angedeutet werden kounte.
Der Geist eines wohlgeordneten Kriegerstaats, der in seiner Weise ebenso aner-
kennenswerth ist, als die republikanische Freiheit mit der harten, knöchernen
Sprödigkeit der Hinterwäldlers, weil er sich an eine positive Idee knüpft, an
eine Fahne, die noch ein höheres Symbol enthält, als das Wohlbefinden der
gegenwärtigen Generation, weht uns mit frischem Athemzug ans diesem Gedicht
an. In der Mitte der Fürst, der mit verständigem Ernst die Zügel des Staats
in starken Händen hält, um ihn die treuen Kampfgenossen, die ihn verehren, ohne
seine Knechte zu sein, ein gegenseitiges Vertraue» ohne Aufgeben der Selbst-
ständigkeit, auffahrende Hitze, wie es Kriegern geziemt, und doch strenge Loyalität.
Kleist konnte von seinen Gestalten sagen, wie Tasso: Es sind nicht Schatten, die
der Wahn erzeugte, ich weiß es, sie sind ewig, denn sie sind. Trotz der
Schlacht von Jena konnte man noch die Idee des specifischen PreußenthumS fest¬
halten; trotz der Schlacht von Bronzell müssen wir uns ihrer erinnern.

Das Stück war von den Preußischen Hosbühnen verbannt, weil es gegen
die Etiquette war, einen Verwandten des regierenden Hauses auf die Breter zu
bringen; selbst an seinem Jubelfeste durste Friedrich der Große nur hinter der
Scene die Flöte spielen, das persönliche Erscheinen in seinem Feldlager war
ihm versagt. Engherzige Prüderie des modernen protestantischen Staats! Der
Katholik sieht seine Heiligen auf der Bühne mit derselben Andacht, mit der er
sich in der Kirche vor ihrem Bilde niederwirft. Nur unser Skepticismus fürchtet
die Profanation. — Die Märztage haben die Heidenkönige, gegen deren Staat sie
gerichtet waren, von dieser Verbannung erlöst. Es ist wenig Aussicht vorhanden,
daß dies lange dauern wird. Man befördert zwar jetzt sehr stark die patriotische
Gesinnung, aber von dem patriotischen Verstand will man nicht viel mehr hören.


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[0346] diesen Lieblingsconflict keine andere Lösung, als eine äußerliche. I.Ex es>, res Surnia et Inexor-rbilis, das harte Gesetz duldet keine Vermittelung, ebenso wenig die Nemesis, der abstracte Neid der Götter. Die neue Zeit giebt dem freien Bewußtsein das Recht, sich selbst zu richten und damit zu versöhnen. Das Gesetz hat nur noch den Schein der unnahbaren Strenge. Als der Drachensieger, der wider das Gesetz das Vaterland gerettet, in Erkenntniß seiner Schuld sich der Strafe unterwirft, giebt der Meister ihm das Kreuz zurück als Lohn der Demuth, die sich selbst bezwungen. Es wäre höchst roh, dies so zu verstehen, als ob der Meister, gerührt von der Bescheidenheit des bestraften Jünglings, mit edler Willkür ihm verziehe, da er ihm ebenso gut auch nicht hätte verzeihen können. Diese Freisprechung nach dem Bekenntniß der Schuld ist vielmehr sittliche Noth¬ wendigkeit. Der Heide Ajax mußte sich todte», weil seine Schuld ihm äußerlich blieb, der Moderne findet die Versöhnung in sich selbst. Im Prinzen von Homburg hat dieser Conflict dadurch eine lebensvolle Fär¬ bung erhalten, daß die sittliche Welt, innerhalb deren er stattfindet, plastisch ausgeführt wird, während er im lyrischen Gedicht nur angedeutet werden kounte. Der Geist eines wohlgeordneten Kriegerstaats, der in seiner Weise ebenso aner- kennenswerth ist, als die republikanische Freiheit mit der harten, knöchernen Sprödigkeit der Hinterwäldlers, weil er sich an eine positive Idee knüpft, an eine Fahne, die noch ein höheres Symbol enthält, als das Wohlbefinden der gegenwärtigen Generation, weht uns mit frischem Athemzug ans diesem Gedicht an. In der Mitte der Fürst, der mit verständigem Ernst die Zügel des Staats in starken Händen hält, um ihn die treuen Kampfgenossen, die ihn verehren, ohne seine Knechte zu sein, ein gegenseitiges Vertraue» ohne Aufgeben der Selbst- ständigkeit, auffahrende Hitze, wie es Kriegern geziemt, und doch strenge Loyalität. Kleist konnte von seinen Gestalten sagen, wie Tasso: Es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte, ich weiß es, sie sind ewig, denn sie sind. Trotz der Schlacht von Jena konnte man noch die Idee des specifischen PreußenthumS fest¬ halten; trotz der Schlacht von Bronzell müssen wir uns ihrer erinnern. Das Stück war von den Preußischen Hosbühnen verbannt, weil es gegen die Etiquette war, einen Verwandten des regierenden Hauses auf die Breter zu bringen; selbst an seinem Jubelfeste durste Friedrich der Große nur hinter der Scene die Flöte spielen, das persönliche Erscheinen in seinem Feldlager war ihm versagt. Engherzige Prüderie des modernen protestantischen Staats! Der Katholik sieht seine Heiligen auf der Bühne mit derselben Andacht, mit der er sich in der Kirche vor ihrem Bilde niederwirft. Nur unser Skepticismus fürchtet die Profanation. — Die Märztage haben die Heidenkönige, gegen deren Staat sie gerichtet waren, von dieser Verbannung erlöst. Es ist wenig Aussicht vorhanden, daß dies lange dauern wird. Man befördert zwar jetzt sehr stark die patriotische Gesinnung, aber von dem patriotischen Verstand will man nicht viel mehr hören.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/346>, abgerufen am 01.09.2024.