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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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jetzt i" seinen "Reden an die Deutsche Nation" (1808), daß mit dem Untergang
des Deutschen Volks zugleich alle Cultur aufhören müsse; er fand aber zugleich,
daß dieses Volk erst durch eine künstliche Erziehung hervorzubringen sei, da
die ganze gegenwärtige Generation in frevelhaften Egoismus versunken und
der elendesten Knechtschaft mit Recht verfallen sei, -- ein Gedanke, der übrigens
vorübergehend auch sehr praktische Männer beschäftigte, z. B. Stein. Bei den
meisten Barden der damaligen Zeit war der Haß gegen die Franzosen, gegen
Napoleon und gegen die Revolution zu gleicher Zeit ein Haß gegen die eigene
geistige Vergangenheit, deren man sich schämen zu müssen glaubte. Es war da¬
her in diesem Haß eben sowol wie in der Liebe zu dem Gegensatz derselben, zu
dem specifischen Deutschthum, sehr viel Phrasenhaftes, Unklares und Un¬
gesundes.

Bei Kleist war Beides tiefer gewurzelt. Sein Haß gegen die Franzosen
hatte keinen literarischen Ursprung, sondern galt den wirklichen Unterdrückern,
und wurde nur dnrch die allgemeine Stimmung seiner Seele gefärbt, und
seiue Liebe zum Vaterlande bezog sich nicht auf ein farbloses, nebelhaftes Ideal,
das er sich erst ausdichten mußte, sondern auf den wirklich bestehenden Preußischen
Kriegerstaat, dem er mit Leib und Seele angehörte, trotz seiner handgreiflichen
Schwächen und Verirrungen. Das Gefühl der Erniedrigung, in welche sein
Königshaus nud seine Waffengefährten verfallen waren, erfüllte ihn mit concretern
Bildern, als sie der Tugendbund oder die an Brutus und Cassius geschulte
Burschenschaft oder die breite und ziemlich buntscheckige Beredtsamkeit eines Jahn>
Arndt, Steffens, Müller u. s. w., oder als die Theecirkel der feinen Gesellschaft,
die sich am Zauberring, an Sigurd'dem Schlangentödter erbaute, geben konnten.
Unter seinen Liedern, die übrigens sonst nicht viel Lob verdienen, finden sich anch
einige patriotische, die einen so leidenschaftlichen,'glühenden, wilden Haß athmen,
daß sie darin die spätern Freiheitsdichter weit hinter sich lassen. Vor allen
Dingen sind aber "die Hermannsschlacht" und "der Prinz von Homburg", ans
die wir noch zurückkommen, der bedeutendste Ausdruck dieser Empfindung. Sein
Patriotismus hat darin eine so fanatische Färbung, daß unsre Epigonen, die
Napoleon und die Freiheitskriege vom sogenannten ästhetischen oder philosophi¬
schen Standpunkte aus zu betrachten gewohnt waren, darüber erschrecken müßten,
wenn wir nicht in neuerer Zeit dnrch Monographien, wie das Leben Stein's
und Uork's, wieder ein concretes Bild jener entsetzlichen Zeit erhalten hätten,
gegen welche unsre jetzige Gedrücktheit doch sehr unbedeutend erscheinen muß,
und von dem eben so dämonischen als kleinlich boshaften Geiste jenes Mannes,
den unsre jungdeutsche Romantik aus einer natürlichen Empörung gegen ihre
Vorgängerin zu den Göttern zu erheben geneigt war.

Die Leidenschaft des Patriotismus konnte nur bei einer ernsten und tiefen
Natur erwachen, welche sich mit den coquetten Phrasen patriotischer Melancholie


jetzt i» seinen „Reden an die Deutsche Nation" (1808), daß mit dem Untergang
des Deutschen Volks zugleich alle Cultur aufhören müsse; er fand aber zugleich,
daß dieses Volk erst durch eine künstliche Erziehung hervorzubringen sei, da
die ganze gegenwärtige Generation in frevelhaften Egoismus versunken und
der elendesten Knechtschaft mit Recht verfallen sei, — ein Gedanke, der übrigens
vorübergehend auch sehr praktische Männer beschäftigte, z. B. Stein. Bei den
meisten Barden der damaligen Zeit war der Haß gegen die Franzosen, gegen
Napoleon und gegen die Revolution zu gleicher Zeit ein Haß gegen die eigene
geistige Vergangenheit, deren man sich schämen zu müssen glaubte. Es war da¬
her in diesem Haß eben sowol wie in der Liebe zu dem Gegensatz derselben, zu
dem specifischen Deutschthum, sehr viel Phrasenhaftes, Unklares und Un¬
gesundes.

Bei Kleist war Beides tiefer gewurzelt. Sein Haß gegen die Franzosen
hatte keinen literarischen Ursprung, sondern galt den wirklichen Unterdrückern,
und wurde nur dnrch die allgemeine Stimmung seiner Seele gefärbt, und
seiue Liebe zum Vaterlande bezog sich nicht auf ein farbloses, nebelhaftes Ideal,
das er sich erst ausdichten mußte, sondern auf den wirklich bestehenden Preußischen
Kriegerstaat, dem er mit Leib und Seele angehörte, trotz seiner handgreiflichen
Schwächen und Verirrungen. Das Gefühl der Erniedrigung, in welche sein
Königshaus nud seine Waffengefährten verfallen waren, erfüllte ihn mit concretern
Bildern, als sie der Tugendbund oder die an Brutus und Cassius geschulte
Burschenschaft oder die breite und ziemlich buntscheckige Beredtsamkeit eines Jahn>
Arndt, Steffens, Müller u. s. w., oder als die Theecirkel der feinen Gesellschaft,
die sich am Zauberring, an Sigurd'dem Schlangentödter erbaute, geben konnten.
Unter seinen Liedern, die übrigens sonst nicht viel Lob verdienen, finden sich anch
einige patriotische, die einen so leidenschaftlichen,'glühenden, wilden Haß athmen,
daß sie darin die spätern Freiheitsdichter weit hinter sich lassen. Vor allen
Dingen sind aber „die Hermannsschlacht" und „der Prinz von Homburg", ans
die wir noch zurückkommen, der bedeutendste Ausdruck dieser Empfindung. Sein
Patriotismus hat darin eine so fanatische Färbung, daß unsre Epigonen, die
Napoleon und die Freiheitskriege vom sogenannten ästhetischen oder philosophi¬
schen Standpunkte aus zu betrachten gewohnt waren, darüber erschrecken müßten,
wenn wir nicht in neuerer Zeit dnrch Monographien, wie das Leben Stein's
und Uork's, wieder ein concretes Bild jener entsetzlichen Zeit erhalten hätten,
gegen welche unsre jetzige Gedrücktheit doch sehr unbedeutend erscheinen muß,
und von dem eben so dämonischen als kleinlich boshaften Geiste jenes Mannes,
den unsre jungdeutsche Romantik aus einer natürlichen Empörung gegen ihre
Vorgängerin zu den Göttern zu erheben geneigt war.

Die Leidenschaft des Patriotismus konnte nur bei einer ernsten und tiefen
Natur erwachen, welche sich mit den coquetten Phrasen patriotischer Melancholie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/338>, abgerufen am 01.09.2024.