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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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emancipirten Frauen ohne Stolz häufig genug breit macht; sie wird nie cynisch
und eigentlich auch nie recht boshaft.

Um ihre Eigenthümlichkeiten zusammenzufassen, könnte man sie etwa ans fol¬
gende Momente zurückführen: sie ist ein Weib; sie gehört mit voller Seele einer
Aristokratie an, die doch nicht recht Aristokratie ist; sie ist von der modernen
Französischen oder jungdeutschen Bildung bis ins innerste Mark durchdrungen und
glaubt sie doch zu hassen; sie ist endlich ohne Vaterland, ohne einen Mittelpunkt
ihrer Bestrebungen, eine unruhige Waudrerin im Labyrinth des Lebens.

Wenn man den weiblichen Schriftstellern eine zu große Einförmigkeit in dem
Kreis ihrer Darstellungen vorwirft, so verlangt man von ihnen das Unmögliche.
Der Schriftsteller kann nur Dasjenige geben, was er wenigstens in analogen
Formen durchgelebt, durchcmpfunden, durchdacht und durchgekämpft hat. Das
Leben der Frauen ist enge umgrenzt, und wenn sie diese Grenze mich mit Haß
empfinden, so wird sie durch den Haß doch nicht aufgehoben. Die Frau kaun
einen Mann nie vollständig schildern, denn sie versteht es nicht, was eine concen-
trirte, auf ein bestimmtes Ziel geleitete und mit unablässiger Ausdauer verfolgte
Anstrengung heißt. Die Frauen sind leicht geneigt, ihre Menschenkenntniß zu
überschätzen, denn sie haben einen feinen und scharfen Blick für die kleinen
Schwächen, in welche sie selber nicht versallen, weil ihr Leben ihnen dazu keine
Gelegenheit bietet. Sie empfinden z. B. auf das Feinste jeden Mangel an
Muth beim Manne heraus, und sind dann unbarmherzig, wie das unbetheiligte
Publicum, welches ebenso wenig jemals activ ist, als sie. Die Lächerlichkeit des
pedantischen Wesens, in welches bei der weit getriebenen Theilung der Arbeit in
unserer Zeit und der nothwendigen Selbstbeschränkung jeder Mann bis zu einem
gewissen Grade verfällt, entgeht ihnen an so weniger, da auch in den beschränk¬
testen, Verhältnissen sie selber immer zu einer gewissen Totalität gelangen. Sie
haben eine Neigung zur unbedingten Verehrung, sie bilden sich, wie man das
nennt, ein Ideal, und verfallen dann um so leichter in eine ironische Stimmung,
weil dieses Ideal in der Regel Widersprüche enthält. Die Heldinnen unserer
Dichterin suchen darum "den Rechten" vergebens, weil er widersprechende Eigen¬
schaften in sich vereinigen soll, heroische Männlichkeit und unbedingte Abhängig¬
keit von den Launen und Stimmungen des geliebten Weibes; sie wollen von dem
Geliebten bis in die zartesten Fasern ihres Empfindens hinein verstanden werden, und
doch soll er Nichts von jenen weiblichen Eigenschaften haben, die ein solches Ver¬
ständniß allein möglich machen. Diese beständig getäuschte Erwartung, die bei
der Gewohnheit, Romane zu schreiben, natürlich noch viel intensiver und roman¬
tischer wird, bringt bei unserer Dichterin jene marklosen Gestalten hervor, die
mehr ein Ausdruck ihrer eigenen Bitterkeit, als einer objectiven Erfahrung sind, da
der Mittelpunkt ihrer Geschichte stets durch die Reminiscenzen ihres eigenen Lebens
bestimmt wird, und da für das Weib das persönliche Verhältniß das einzige


emancipirten Frauen ohne Stolz häufig genug breit macht; sie wird nie cynisch
und eigentlich auch nie recht boshaft.

Um ihre Eigenthümlichkeiten zusammenzufassen, könnte man sie etwa ans fol¬
gende Momente zurückführen: sie ist ein Weib; sie gehört mit voller Seele einer
Aristokratie an, die doch nicht recht Aristokratie ist; sie ist von der modernen
Französischen oder jungdeutschen Bildung bis ins innerste Mark durchdrungen und
glaubt sie doch zu hassen; sie ist endlich ohne Vaterland, ohne einen Mittelpunkt
ihrer Bestrebungen, eine unruhige Waudrerin im Labyrinth des Lebens.

Wenn man den weiblichen Schriftstellern eine zu große Einförmigkeit in dem
Kreis ihrer Darstellungen vorwirft, so verlangt man von ihnen das Unmögliche.
Der Schriftsteller kann nur Dasjenige geben, was er wenigstens in analogen
Formen durchgelebt, durchcmpfunden, durchdacht und durchgekämpft hat. Das
Leben der Frauen ist enge umgrenzt, und wenn sie diese Grenze mich mit Haß
empfinden, so wird sie durch den Haß doch nicht aufgehoben. Die Frau kaun
einen Mann nie vollständig schildern, denn sie versteht es nicht, was eine concen-
trirte, auf ein bestimmtes Ziel geleitete und mit unablässiger Ausdauer verfolgte
Anstrengung heißt. Die Frauen sind leicht geneigt, ihre Menschenkenntniß zu
überschätzen, denn sie haben einen feinen und scharfen Blick für die kleinen
Schwächen, in welche sie selber nicht versallen, weil ihr Leben ihnen dazu keine
Gelegenheit bietet. Sie empfinden z. B. auf das Feinste jeden Mangel an
Muth beim Manne heraus, und sind dann unbarmherzig, wie das unbetheiligte
Publicum, welches ebenso wenig jemals activ ist, als sie. Die Lächerlichkeit des
pedantischen Wesens, in welches bei der weit getriebenen Theilung der Arbeit in
unserer Zeit und der nothwendigen Selbstbeschränkung jeder Mann bis zu einem
gewissen Grade verfällt, entgeht ihnen an so weniger, da auch in den beschränk¬
testen, Verhältnissen sie selber immer zu einer gewissen Totalität gelangen. Sie
haben eine Neigung zur unbedingten Verehrung, sie bilden sich, wie man das
nennt, ein Ideal, und verfallen dann um so leichter in eine ironische Stimmung,
weil dieses Ideal in der Regel Widersprüche enthält. Die Heldinnen unserer
Dichterin suchen darum „den Rechten" vergebens, weil er widersprechende Eigen¬
schaften in sich vereinigen soll, heroische Männlichkeit und unbedingte Abhängig¬
keit von den Launen und Stimmungen des geliebten Weibes; sie wollen von dem
Geliebten bis in die zartesten Fasern ihres Empfindens hinein verstanden werden, und
doch soll er Nichts von jenen weiblichen Eigenschaften haben, die ein solches Ver¬
ständniß allein möglich machen. Diese beständig getäuschte Erwartung, die bei
der Gewohnheit, Romane zu schreiben, natürlich noch viel intensiver und roman¬
tischer wird, bringt bei unserer Dichterin jene marklosen Gestalten hervor, die
mehr ein Ausdruck ihrer eigenen Bitterkeit, als einer objectiven Erfahrung sind, da
der Mittelpunkt ihrer Geschichte stets durch die Reminiscenzen ihres eigenen Lebens
bestimmt wird, und da für das Weib das persönliche Verhältniß das einzige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/310>, abgerufen am 28.07.2024.