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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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daß es zu Zeiten erliegen möchte vor einer geheimnißvollen Traurigkeit." Das
gilt aber nicht blos von der absoluten Liebessehnsucht, sondern von jener falschen
Richtung unsrer Zeit, die uus einreden will, der Mensch sei nur da, zu genießen
oder zu leiden, zu lieben oder zu trauern; eine Richtung, die aber keineswegs
Protestantisch, sondern im extremsten Sinne katholisch ist, da der Protestantismus
uns sehr energisch einprägt: der Mensch ist da, um seine Pflicht zu thun. Die
Gräfin hat daher sehr recht, obgleich in einem andern Sinne, als sie es meint,
wenn sie von sich selbst sagt: "Es kommt mir vor, als sei meine Seele von jeher
eine schlafende Katholikin gewesen. Im Schlaf ist man nicht zurechnungsfähig;
da ziehen die wunderlichsten Träume, die unsinnigsten Vorstellungen, die zusammen-
hanglosesten Bilder an uns vorüber.... Als meine Seele wach wurde, fand
sie sich katholisch, denn Alles, was die Protestanten lehrten, hat sie nie begriffen,
nie sich zur Nahrung machen können." Das ist sehr erklärlich, denn die Pro¬
testanten sprechen von Pflicht, und die Katholiken singen von Liebe und Gnade.
Ganz zum katholischen Wesen gehört auch der maßlose Stolz, den sie an sich
selber sehr richtig schildert: "Nichts und Niemand imponirte mir oder blendete
mich, Allem und Jedem stellte ich mich höchst bestimmt und gelassen gegenüber
und dachte: Du bist Du, und ich bin ich, und nun wollen wir mit einander reden.
Ich war wie verzaubert in mein Ich, und wußte von keiner Art von Autorität."
Daß eine solche Stimmung viel eher dahin gebracht werden kann, sich mit blinder
Anbetung vor den dunkeln Wetterwolken einer höhern Macht niederzuwerfen,
als sich mit Respect und bescheidenem Streben der Wirklichkeit anzuvertrauen und
erst mit Anstrengung und Hingebung zu lernen, ehe sie ihr Urtheil spricht, liegt
in der bekannten Wahrheit, daß die Extreme sich berühren. Das maßlose Selbst¬
gefühl phantasirt und schwindelt sich leichter in eine maßlose Ehrfurcht hinein, als
daß sie sich mit wirklicher Aufopferung in sie hineinarbeitet. Das Herz, das
sich nnr auf sich selber bezieht, fühlt sich unbefriedigt und weiß sich nicht anders
zu helfen, als daß es in glühenden Bildern anticipirter Glückseligkeit schwelgt,
die seine eigene Größe ihm bereiten wird. "Ich werde noch einmal Etwas thun,
worüber die Welt ganz anders erstaunen wird, als daß ich Faustiue geschrieben
habe," rühmte sie in demselben Augenblick, wo, wie es ihr häufig zu geschehen
pflegte, "neben dem Gefühl unermeßlichen Glückes die gründlichste Unbefriedigt¬
heit in dem Gewände einer ganz übermenschlichen Langenweile auftauchte." Eitel¬
keit und Langeweile, das sind die besten Motive zur Apostasie. Schon häufig
hatten vereinzelte Anschauungen vom Katholicismus, dessen Glanz und Schimmer
sich einer halbreifen Bildung leichter'aufdrängt, als ber protestantische Ernst, sie
mit bequemem Entzücken erfüllt; in ihrem Buche "Jenseits der Berge"
schwärmte sie, wenn auch mit frivolen Beimischungen, für die grandiosen Trümmer
der Römischem Kirche; vom Berge Karmel ans schrieb sie an ihre Freunde in
der Manier Chateaubriand's und Lamartine's, wie es die ästhetische Convenienz


daß es zu Zeiten erliegen möchte vor einer geheimnißvollen Traurigkeit." Das
gilt aber nicht blos von der absoluten Liebessehnsucht, sondern von jener falschen
Richtung unsrer Zeit, die uus einreden will, der Mensch sei nur da, zu genießen
oder zu leiden, zu lieben oder zu trauern; eine Richtung, die aber keineswegs
Protestantisch, sondern im extremsten Sinne katholisch ist, da der Protestantismus
uns sehr energisch einprägt: der Mensch ist da, um seine Pflicht zu thun. Die
Gräfin hat daher sehr recht, obgleich in einem andern Sinne, als sie es meint,
wenn sie von sich selbst sagt: „Es kommt mir vor, als sei meine Seele von jeher
eine schlafende Katholikin gewesen. Im Schlaf ist man nicht zurechnungsfähig;
da ziehen die wunderlichsten Träume, die unsinnigsten Vorstellungen, die zusammen-
hanglosesten Bilder an uns vorüber.... Als meine Seele wach wurde, fand
sie sich katholisch, denn Alles, was die Protestanten lehrten, hat sie nie begriffen,
nie sich zur Nahrung machen können." Das ist sehr erklärlich, denn die Pro¬
testanten sprechen von Pflicht, und die Katholiken singen von Liebe und Gnade.
Ganz zum katholischen Wesen gehört auch der maßlose Stolz, den sie an sich
selber sehr richtig schildert: „Nichts und Niemand imponirte mir oder blendete
mich, Allem und Jedem stellte ich mich höchst bestimmt und gelassen gegenüber
und dachte: Du bist Du, und ich bin ich, und nun wollen wir mit einander reden.
Ich war wie verzaubert in mein Ich, und wußte von keiner Art von Autorität."
Daß eine solche Stimmung viel eher dahin gebracht werden kann, sich mit blinder
Anbetung vor den dunkeln Wetterwolken einer höhern Macht niederzuwerfen,
als sich mit Respect und bescheidenem Streben der Wirklichkeit anzuvertrauen und
erst mit Anstrengung und Hingebung zu lernen, ehe sie ihr Urtheil spricht, liegt
in der bekannten Wahrheit, daß die Extreme sich berühren. Das maßlose Selbst¬
gefühl phantasirt und schwindelt sich leichter in eine maßlose Ehrfurcht hinein, als
daß sie sich mit wirklicher Aufopferung in sie hineinarbeitet. Das Herz, das
sich nnr auf sich selber bezieht, fühlt sich unbefriedigt und weiß sich nicht anders
zu helfen, als daß es in glühenden Bildern anticipirter Glückseligkeit schwelgt,
die seine eigene Größe ihm bereiten wird. „Ich werde noch einmal Etwas thun,
worüber die Welt ganz anders erstaunen wird, als daß ich Faustiue geschrieben
habe," rühmte sie in demselben Augenblick, wo, wie es ihr häufig zu geschehen
pflegte, „neben dem Gefühl unermeßlichen Glückes die gründlichste Unbefriedigt¬
heit in dem Gewände einer ganz übermenschlichen Langenweile auftauchte." Eitel¬
keit und Langeweile, das sind die besten Motive zur Apostasie. Schon häufig
hatten vereinzelte Anschauungen vom Katholicismus, dessen Glanz und Schimmer
sich einer halbreifen Bildung leichter'aufdrängt, als ber protestantische Ernst, sie
mit bequemem Entzücken erfüllt; in ihrem Buche „Jenseits der Berge"
schwärmte sie, wenn auch mit frivolen Beimischungen, für die grandiosen Trümmer
der Römischem Kirche; vom Berge Karmel ans schrieb sie an ihre Freunde in
der Manier Chateaubriand's und Lamartine's, wie es die ästhetische Convenienz


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[0307] daß es zu Zeiten erliegen möchte vor einer geheimnißvollen Traurigkeit." Das gilt aber nicht blos von der absoluten Liebessehnsucht, sondern von jener falschen Richtung unsrer Zeit, die uus einreden will, der Mensch sei nur da, zu genießen oder zu leiden, zu lieben oder zu trauern; eine Richtung, die aber keineswegs Protestantisch, sondern im extremsten Sinne katholisch ist, da der Protestantismus uns sehr energisch einprägt: der Mensch ist da, um seine Pflicht zu thun. Die Gräfin hat daher sehr recht, obgleich in einem andern Sinne, als sie es meint, wenn sie von sich selbst sagt: „Es kommt mir vor, als sei meine Seele von jeher eine schlafende Katholikin gewesen. Im Schlaf ist man nicht zurechnungsfähig; da ziehen die wunderlichsten Träume, die unsinnigsten Vorstellungen, die zusammen- hanglosesten Bilder an uns vorüber.... Als meine Seele wach wurde, fand sie sich katholisch, denn Alles, was die Protestanten lehrten, hat sie nie begriffen, nie sich zur Nahrung machen können." Das ist sehr erklärlich, denn die Pro¬ testanten sprechen von Pflicht, und die Katholiken singen von Liebe und Gnade. Ganz zum katholischen Wesen gehört auch der maßlose Stolz, den sie an sich selber sehr richtig schildert: „Nichts und Niemand imponirte mir oder blendete mich, Allem und Jedem stellte ich mich höchst bestimmt und gelassen gegenüber und dachte: Du bist Du, und ich bin ich, und nun wollen wir mit einander reden. Ich war wie verzaubert in mein Ich, und wußte von keiner Art von Autorität." Daß eine solche Stimmung viel eher dahin gebracht werden kann, sich mit blinder Anbetung vor den dunkeln Wetterwolken einer höhern Macht niederzuwerfen, als sich mit Respect und bescheidenem Streben der Wirklichkeit anzuvertrauen und erst mit Anstrengung und Hingebung zu lernen, ehe sie ihr Urtheil spricht, liegt in der bekannten Wahrheit, daß die Extreme sich berühren. Das maßlose Selbst¬ gefühl phantasirt und schwindelt sich leichter in eine maßlose Ehrfurcht hinein, als daß sie sich mit wirklicher Aufopferung in sie hineinarbeitet. Das Herz, das sich nnr auf sich selber bezieht, fühlt sich unbefriedigt und weiß sich nicht anders zu helfen, als daß es in glühenden Bildern anticipirter Glückseligkeit schwelgt, die seine eigene Größe ihm bereiten wird. „Ich werde noch einmal Etwas thun, worüber die Welt ganz anders erstaunen wird, als daß ich Faustiue geschrieben habe," rühmte sie in demselben Augenblick, wo, wie es ihr häufig zu geschehen pflegte, „neben dem Gefühl unermeßlichen Glückes die gründlichste Unbefriedigt¬ heit in dem Gewände einer ganz übermenschlichen Langenweile auftauchte." Eitel¬ keit und Langeweile, das sind die besten Motive zur Apostasie. Schon häufig hatten vereinzelte Anschauungen vom Katholicismus, dessen Glanz und Schimmer sich einer halbreifen Bildung leichter'aufdrängt, als ber protestantische Ernst, sie mit bequemem Entzücken erfüllt; in ihrem Buche „Jenseits der Berge" schwärmte sie, wenn auch mit frivolen Beimischungen, für die grandiosen Trümmer der Römischem Kirche; vom Berge Karmel ans schrieb sie an ihre Freunde in der Manier Chateaubriand's und Lamartine's, wie es die ästhetische Convenienz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/307>, abgerufen am 28.07.2024.