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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Müller, Werner n. s. w. haben das Nämliche gesag't, wenn anch mit etwas mehr
Anstand. Aber die Apostaten sind in einer schlimmen Lage. Das Gefühl, welches
sie in die Kirche trieb, ist zwar ein sehr ungesunder, aber immer ein Ausfluß des
protestantischen Wesens. Sie haben ihre, in protestantischen Vorstellungen und
Gefühlen genährte Phantasie übermäßig gesteigert, bis sie sich endlich ein Bild
von der Kirche gemacht haben, das zwar mit allerlei Höllenstrafen gegen die
Ketzer gemalt, das aber doch selbst ein ketzerisches ist. Sie müssen unausgesetzt
fortfahren, ihre Phantasie in einer künstliche" Exaltation zu erhalten, denn in der
Sprache ihrer bisherigen Bildung können sie nicht reden, ihren Verstand können
sie nicht anhören und ihr bisheriges Gefühl müssen sie verläugnen. Ihr Herz
wird keineswegs geläutert, denn es wird mit Bitterkeit erfüllt. -- Man darf nnr
in den Denkwürdigkeiten von Varnhagen von Ense die Schilderung in's Auge
fassen, welche er voll dem Schmuz macht, in dem sich der Convertite Zacharias
Werner wälzte. Sie ergehen sich in solchen Visionen und Weissagungen, daß
sie endlich ihren neuen Bundesgenossen selbst unbequem werden, und ihre Weis¬
heit wird so tief, daß sie selbst rechtgläubige Katholiken erschreckt. Wenn die
Gräfin z. B. den Vorzug der sittlichen Bildung des Mittelalters vor der neuem
Zeit dadurch begründet, daß sie die NMöros alö e-u-is mit dem Buch as ini-
t-Maniz co-istl vergleicht, so könnte sie ebenso gut die Bildung ihres Schuhputzers
als Maßstab der Bildung ihres Jahrhunderts betrachten, und würde im Mittel¬
alter Manche auffinden, die gelehrter und tieffühlender gewesen sind, als ihr
Schuhputzer; und wenn sie vom Protestantismus behauptet, er habe keine er¬
habene Sittenlehre gehabt, so ist das freilich verzeihlich, weil sie . weder Kant
und die übrigen protestantischen Moralisten kennt, noch die katholischen Casnisten;
.aber eine solche Abgeschmacktheit würde sich doch besser ausmachen als dorunot
in einer ihrer Salonnovellen, als in einem angeblich ernsthaft geschriebenen Buche.

Wir finden allerdings den Abfall vom Protestantismus bereits in ihrem
frühern Dichten und Trachten vorbereitet. Die Zerfahrenheit eines unbestimmten,
durch keinen Kreis sittlicher Pflichten bedingten Lebens, der Hochmuth eiuer
maßlosen Subjectivität, welche nur aus sich selbst das Leben und seine Gesetze
schöpfen zu können meint, und das unausgesetzte Tändeln mit halb ancmpsundenen,
halb auf einer krankhaften Nervenreizbarkeit beruhenden Leidenschaften treibt end¬
lich zu einer ebenso krankhaften Sehnsucht nach einem objectiven Halt, den die
müde Seele uur da finden kann, wo eine grobe, drohende und zornige Autorität
ihr entgegentritt. Sehr richtig schildert sie selber das Gefährliche jener Richtung,
die nnr in einer "immensen" Liebe sich befriedigen will: "Aus diesem Sehnen
und Streben steigt ein so seiner, süßer, duftiger Egoismus auf, da"ß er, wie
das Arom der schönen Lilie, der lieblichen Orangcnblüthe, betäubend, lähmend,
berauschend wirkt, so daß, selbst wenn keine Enttäuschungen eintreten sollten, Ent-
nervung und Abspannung sich einstellen und das Herz so schwer und müde machen,


Müller, Werner n. s. w. haben das Nämliche gesag't, wenn anch mit etwas mehr
Anstand. Aber die Apostaten sind in einer schlimmen Lage. Das Gefühl, welches
sie in die Kirche trieb, ist zwar ein sehr ungesunder, aber immer ein Ausfluß des
protestantischen Wesens. Sie haben ihre, in protestantischen Vorstellungen und
Gefühlen genährte Phantasie übermäßig gesteigert, bis sie sich endlich ein Bild
von der Kirche gemacht haben, das zwar mit allerlei Höllenstrafen gegen die
Ketzer gemalt, das aber doch selbst ein ketzerisches ist. Sie müssen unausgesetzt
fortfahren, ihre Phantasie in einer künstliche» Exaltation zu erhalten, denn in der
Sprache ihrer bisherigen Bildung können sie nicht reden, ihren Verstand können
sie nicht anhören und ihr bisheriges Gefühl müssen sie verläugnen. Ihr Herz
wird keineswegs geläutert, denn es wird mit Bitterkeit erfüllt. — Man darf nnr
in den Denkwürdigkeiten von Varnhagen von Ense die Schilderung in's Auge
fassen, welche er voll dem Schmuz macht, in dem sich der Convertite Zacharias
Werner wälzte. Sie ergehen sich in solchen Visionen und Weissagungen, daß
sie endlich ihren neuen Bundesgenossen selbst unbequem werden, und ihre Weis¬
heit wird so tief, daß sie selbst rechtgläubige Katholiken erschreckt. Wenn die
Gräfin z. B. den Vorzug der sittlichen Bildung des Mittelalters vor der neuem
Zeit dadurch begründet, daß sie die NMöros alö e-u-is mit dem Buch as ini-
t-Maniz co-istl vergleicht, so könnte sie ebenso gut die Bildung ihres Schuhputzers
als Maßstab der Bildung ihres Jahrhunderts betrachten, und würde im Mittel¬
alter Manche auffinden, die gelehrter und tieffühlender gewesen sind, als ihr
Schuhputzer; und wenn sie vom Protestantismus behauptet, er habe keine er¬
habene Sittenlehre gehabt, so ist das freilich verzeihlich, weil sie . weder Kant
und die übrigen protestantischen Moralisten kennt, noch die katholischen Casnisten;
.aber eine solche Abgeschmacktheit würde sich doch besser ausmachen als dorunot
in einer ihrer Salonnovellen, als in einem angeblich ernsthaft geschriebenen Buche.

Wir finden allerdings den Abfall vom Protestantismus bereits in ihrem
frühern Dichten und Trachten vorbereitet. Die Zerfahrenheit eines unbestimmten,
durch keinen Kreis sittlicher Pflichten bedingten Lebens, der Hochmuth eiuer
maßlosen Subjectivität, welche nur aus sich selbst das Leben und seine Gesetze
schöpfen zu können meint, und das unausgesetzte Tändeln mit halb ancmpsundenen,
halb auf einer krankhaften Nervenreizbarkeit beruhenden Leidenschaften treibt end¬
lich zu einer ebenso krankhaften Sehnsucht nach einem objectiven Halt, den die
müde Seele uur da finden kann, wo eine grobe, drohende und zornige Autorität
ihr entgegentritt. Sehr richtig schildert sie selber das Gefährliche jener Richtung,
die nnr in einer „immensen" Liebe sich befriedigen will: „Aus diesem Sehnen
und Streben steigt ein so seiner, süßer, duftiger Egoismus auf, da"ß er, wie
das Arom der schönen Lilie, der lieblichen Orangcnblüthe, betäubend, lähmend,
berauschend wirkt, so daß, selbst wenn keine Enttäuschungen eintreten sollten, Ent-
nervung und Abspannung sich einstellen und das Herz so schwer und müde machen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/306>, abgerufen am 27.07.2024.