Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

8 Louisd'or und einige Thaler Silbergeld waren, gab mir diese und sagte: "Dies
ist mein einziges Vermögen, wollen Sie dafür sorgen, daß es in der Jnvaliden-
stiftung für den nächsten Polen, der hier im Heere invalid wird, angelegt werde?
Meine Orden, die ich mir alle aus dem Schlachtfelde erwarb, mögen mit in
meine Grube kommen, meine Taschenuhr der nächste Soldat unsers Bataillons,
der sich auszeichnet, erhalten/' Ich versprach ihm eine getreue Besorgung aller
seiner Wünsche und frug ihn nun, ob er auch noch Angehörige habe, denen ich
seinen Tod melden solle. "Niemand auf der ganzen Welt", antwortete er mit
einiger Bitterkeit. Als ich ihn bat, mir kurz sein Leben zu erzählen, begann er
in seinem gebrochenen Deutsch:

"Nicht weit von Warschau in einem Dorfe an der Weichsel bin ich geboren.
Mein Vater war ein alter Officier, der hatte noch unter Kosciusko, Dombrowsky
und Pouiatowsky gefochten, und der Kaiser hatte ihm selbst das Kreuz gegeben.
Jetzt lebten wir auf einem kleinen Bauernhofe, und mein Vater hatte die Fähre
über die Weichsel gepachtet. Bei meiner Mutter lebte eine Cousine von mir, ein
wunderhübsches Mädchen, mit der ich als Kind spielte. Ich nannte die kleine
Maria, die ein Jahr jünger als ich war, nnr meine Braut, und wir hatten
ausgemacht, daß wir uns heirathen wollten, wenn wir erwachsen wären; die
Aeltern lachten dazu und nickten mit dem Kopfe. Da wollte es der Zufall, daß
der Großfürst Konstantin durch unser Dorf ritt, als ich vor der Hausthür stand.
Ich mußte ihm aufgefallen sein, da ich ein starker frischer Bursche von 17 Jahren
war, denn ich sah, wie er einem Adjutanten Etwas zuflüsterte, was dieser in die
Brieftasche schrieb. In der nächsten Nacht ward unser Haus^von Kosaken über¬
fallen, ich trotz aller unsrer Gegenwehr, wobei anch mein Vater arg gemißhandelt
wurde, gebunden weggeschleppt, und nach Warschau in die Caserne des i>. Infanterie-
Regiments gebracht. Ich mochte mich noch so sehr sträuben, man achtete nicht
darauf, schlug-mich so lange mit Stöcken, bis ich halb zusammensank, ließ mich
in dunklem Keller hungern und dursten, bis ich mürbe wurde, und machte mich
so zum Tambour. Mein Vater hat geklagt und selbst bis zum Großfürsten vor¬
dringen wollen. Was half dies Alles? Man drohte ihm endlich, wenn er nicht
stillschweige, würde man ihn einsperren. So diente ich denn zwei Jahre als
Tambour im 4. Jnfanterie-Regimente, bis endlich der September des Jahres 1830
kam, und wir die Russen aus Warschau trieben. Hussa, das war eine schöne Nacht
(und das Gesicht des Sterbenden heiterte sich bei dieser Erinnerung förmlich wie¬
der auf), da hab' ich Sturm getrommelt, bis mir endlich das Trommelfell sprang,
und dann die Muskete genommen und auf die Russischen Ofstciere gefeuert, so
lange es noch was zu feuern gab. Zwei Tage darauf ging ich aus Urlaub nach Hause,
und jubelte, wie ich den Vater wiedersehen wollte, und die gute Mutter und
meine liebe Maria. Als ich aber um die Waldesecke kam, hinter der das rothe
Dach unsres Hauses lag, da sah ich dies nicht mehr, wol aber einen Hausen


33*

8 Louisd'or und einige Thaler Silbergeld waren, gab mir diese und sagte: „Dies
ist mein einziges Vermögen, wollen Sie dafür sorgen, daß es in der Jnvaliden-
stiftung für den nächsten Polen, der hier im Heere invalid wird, angelegt werde?
Meine Orden, die ich mir alle aus dem Schlachtfelde erwarb, mögen mit in
meine Grube kommen, meine Taschenuhr der nächste Soldat unsers Bataillons,
der sich auszeichnet, erhalten/' Ich versprach ihm eine getreue Besorgung aller
seiner Wünsche und frug ihn nun, ob er auch noch Angehörige habe, denen ich
seinen Tod melden solle. „Niemand auf der ganzen Welt", antwortete er mit
einiger Bitterkeit. Als ich ihn bat, mir kurz sein Leben zu erzählen, begann er
in seinem gebrochenen Deutsch:

„Nicht weit von Warschau in einem Dorfe an der Weichsel bin ich geboren.
Mein Vater war ein alter Officier, der hatte noch unter Kosciusko, Dombrowsky
und Pouiatowsky gefochten, und der Kaiser hatte ihm selbst das Kreuz gegeben.
Jetzt lebten wir auf einem kleinen Bauernhofe, und mein Vater hatte die Fähre
über die Weichsel gepachtet. Bei meiner Mutter lebte eine Cousine von mir, ein
wunderhübsches Mädchen, mit der ich als Kind spielte. Ich nannte die kleine
Maria, die ein Jahr jünger als ich war, nnr meine Braut, und wir hatten
ausgemacht, daß wir uns heirathen wollten, wenn wir erwachsen wären; die
Aeltern lachten dazu und nickten mit dem Kopfe. Da wollte es der Zufall, daß
der Großfürst Konstantin durch unser Dorf ritt, als ich vor der Hausthür stand.
Ich mußte ihm aufgefallen sein, da ich ein starker frischer Bursche von 17 Jahren
war, denn ich sah, wie er einem Adjutanten Etwas zuflüsterte, was dieser in die
Brieftasche schrieb. In der nächsten Nacht ward unser Haus^von Kosaken über¬
fallen, ich trotz aller unsrer Gegenwehr, wobei anch mein Vater arg gemißhandelt
wurde, gebunden weggeschleppt, und nach Warschau in die Caserne des i>. Infanterie-
Regiments gebracht. Ich mochte mich noch so sehr sträuben, man achtete nicht
darauf, schlug-mich so lange mit Stöcken, bis ich halb zusammensank, ließ mich
in dunklem Keller hungern und dursten, bis ich mürbe wurde, und machte mich
so zum Tambour. Mein Vater hat geklagt und selbst bis zum Großfürsten vor¬
dringen wollen. Was half dies Alles? Man drohte ihm endlich, wenn er nicht
stillschweige, würde man ihn einsperren. So diente ich denn zwei Jahre als
Tambour im 4. Jnfanterie-Regimente, bis endlich der September des Jahres 1830
kam, und wir die Russen aus Warschau trieben. Hussa, das war eine schöne Nacht
(und das Gesicht des Sterbenden heiterte sich bei dieser Erinnerung förmlich wie¬
der auf), da hab' ich Sturm getrommelt, bis mir endlich das Trommelfell sprang,
und dann die Muskete genommen und auf die Russischen Ofstciere gefeuert, so
lange es noch was zu feuern gab. Zwei Tage darauf ging ich aus Urlaub nach Hause,
und jubelte, wie ich den Vater wiedersehen wollte, und die gute Mutter und
meine liebe Maria. Als ich aber um die Waldesecke kam, hinter der das rothe
Dach unsres Hauses lag, da sah ich dies nicht mehr, wol aber einen Hausen


33*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91464"/>
          <p xml:id="ID_760" prev="#ID_759"> 8 Louisd'or und einige Thaler Silbergeld waren, gab mir diese und sagte: &#x201E;Dies<lb/>
ist mein einziges Vermögen, wollen Sie dafür sorgen, daß es in der Jnvaliden-<lb/>
stiftung für den nächsten Polen, der hier im Heere invalid wird, angelegt werde?<lb/>
Meine Orden, die ich mir alle aus dem Schlachtfelde erwarb, mögen mit in<lb/>
meine Grube kommen, meine Taschenuhr der nächste Soldat unsers Bataillons,<lb/>
der sich auszeichnet, erhalten/' Ich versprach ihm eine getreue Besorgung aller<lb/>
seiner Wünsche und frug ihn nun, ob er auch noch Angehörige habe, denen ich<lb/>
seinen Tod melden solle. &#x201E;Niemand auf der ganzen Welt", antwortete er mit<lb/>
einiger Bitterkeit. Als ich ihn bat, mir kurz sein Leben zu erzählen, begann er<lb/>
in seinem gebrochenen Deutsch:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_761" next="#ID_762"> &#x201E;Nicht weit von Warschau in einem Dorfe an der Weichsel bin ich geboren.<lb/>
Mein Vater war ein alter Officier, der hatte noch unter Kosciusko, Dombrowsky<lb/>
und Pouiatowsky gefochten, und der Kaiser hatte ihm selbst das Kreuz gegeben.<lb/>
Jetzt lebten wir auf einem kleinen Bauernhofe, und mein Vater hatte die Fähre<lb/>
über die Weichsel gepachtet. Bei meiner Mutter lebte eine Cousine von mir, ein<lb/>
wunderhübsches Mädchen, mit der ich als Kind spielte. Ich nannte die kleine<lb/>
Maria, die ein Jahr jünger als ich war, nnr meine Braut, und wir hatten<lb/>
ausgemacht, daß wir uns heirathen wollten, wenn wir erwachsen wären; die<lb/>
Aeltern lachten dazu und nickten mit dem Kopfe. Da wollte es der Zufall, daß<lb/>
der Großfürst Konstantin durch unser Dorf ritt, als ich vor der Hausthür stand.<lb/>
Ich mußte ihm aufgefallen sein, da ich ein starker frischer Bursche von 17 Jahren<lb/>
war, denn ich sah, wie er einem Adjutanten Etwas zuflüsterte, was dieser in die<lb/>
Brieftasche schrieb. In der nächsten Nacht ward unser Haus^von Kosaken über¬<lb/>
fallen, ich trotz aller unsrer Gegenwehr, wobei anch mein Vater arg gemißhandelt<lb/>
wurde, gebunden weggeschleppt, und nach Warschau in die Caserne des i&gt;. Infanterie-<lb/>
Regiments gebracht. Ich mochte mich noch so sehr sträuben, man achtete nicht<lb/>
darauf, schlug-mich so lange mit Stöcken, bis ich halb zusammensank, ließ mich<lb/>
in dunklem Keller hungern und dursten, bis ich mürbe wurde, und machte mich<lb/>
so zum Tambour. Mein Vater hat geklagt und selbst bis zum Großfürsten vor¬<lb/>
dringen wollen. Was half dies Alles? Man drohte ihm endlich, wenn er nicht<lb/>
stillschweige, würde man ihn einsperren. So diente ich denn zwei Jahre als<lb/>
Tambour im 4. Jnfanterie-Regimente, bis endlich der September des Jahres 1830<lb/>
kam, und wir die Russen aus Warschau trieben. Hussa, das war eine schöne Nacht<lb/>
(und das Gesicht des Sterbenden heiterte sich bei dieser Erinnerung förmlich wie¬<lb/>
der auf), da hab' ich Sturm getrommelt, bis mir endlich das Trommelfell sprang,<lb/>
und dann die Muskete genommen und auf die Russischen Ofstciere gefeuert, so<lb/>
lange es noch was zu feuern gab. Zwei Tage darauf ging ich aus Urlaub nach Hause,<lb/>
und jubelte, wie ich den Vater wiedersehen wollte, und die gute Mutter und<lb/>
meine liebe Maria. Als ich aber um die Waldesecke kam, hinter der das rothe<lb/>
Dach unsres Hauses lag, da sah ich dies nicht mehr, wol aber einen Hausen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 33*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0271] 8 Louisd'or und einige Thaler Silbergeld waren, gab mir diese und sagte: „Dies ist mein einziges Vermögen, wollen Sie dafür sorgen, daß es in der Jnvaliden- stiftung für den nächsten Polen, der hier im Heere invalid wird, angelegt werde? Meine Orden, die ich mir alle aus dem Schlachtfelde erwarb, mögen mit in meine Grube kommen, meine Taschenuhr der nächste Soldat unsers Bataillons, der sich auszeichnet, erhalten/' Ich versprach ihm eine getreue Besorgung aller seiner Wünsche und frug ihn nun, ob er auch noch Angehörige habe, denen ich seinen Tod melden solle. „Niemand auf der ganzen Welt", antwortete er mit einiger Bitterkeit. Als ich ihn bat, mir kurz sein Leben zu erzählen, begann er in seinem gebrochenen Deutsch: „Nicht weit von Warschau in einem Dorfe an der Weichsel bin ich geboren. Mein Vater war ein alter Officier, der hatte noch unter Kosciusko, Dombrowsky und Pouiatowsky gefochten, und der Kaiser hatte ihm selbst das Kreuz gegeben. Jetzt lebten wir auf einem kleinen Bauernhofe, und mein Vater hatte die Fähre über die Weichsel gepachtet. Bei meiner Mutter lebte eine Cousine von mir, ein wunderhübsches Mädchen, mit der ich als Kind spielte. Ich nannte die kleine Maria, die ein Jahr jünger als ich war, nnr meine Braut, und wir hatten ausgemacht, daß wir uns heirathen wollten, wenn wir erwachsen wären; die Aeltern lachten dazu und nickten mit dem Kopfe. Da wollte es der Zufall, daß der Großfürst Konstantin durch unser Dorf ritt, als ich vor der Hausthür stand. Ich mußte ihm aufgefallen sein, da ich ein starker frischer Bursche von 17 Jahren war, denn ich sah, wie er einem Adjutanten Etwas zuflüsterte, was dieser in die Brieftasche schrieb. In der nächsten Nacht ward unser Haus^von Kosaken über¬ fallen, ich trotz aller unsrer Gegenwehr, wobei anch mein Vater arg gemißhandelt wurde, gebunden weggeschleppt, und nach Warschau in die Caserne des i>. Infanterie- Regiments gebracht. Ich mochte mich noch so sehr sträuben, man achtete nicht darauf, schlug-mich so lange mit Stöcken, bis ich halb zusammensank, ließ mich in dunklem Keller hungern und dursten, bis ich mürbe wurde, und machte mich so zum Tambour. Mein Vater hat geklagt und selbst bis zum Großfürsten vor¬ dringen wollen. Was half dies Alles? Man drohte ihm endlich, wenn er nicht stillschweige, würde man ihn einsperren. So diente ich denn zwei Jahre als Tambour im 4. Jnfanterie-Regimente, bis endlich der September des Jahres 1830 kam, und wir die Russen aus Warschau trieben. Hussa, das war eine schöne Nacht (und das Gesicht des Sterbenden heiterte sich bei dieser Erinnerung förmlich wie¬ der auf), da hab' ich Sturm getrommelt, bis mir endlich das Trommelfell sprang, und dann die Muskete genommen und auf die Russischen Ofstciere gefeuert, so lange es noch was zu feuern gab. Zwei Tage darauf ging ich aus Urlaub nach Hause, und jubelte, wie ich den Vater wiedersehen wollte, und die gute Mutter und meine liebe Maria. Als ich aber um die Waldesecke kam, hinter der das rothe Dach unsres Hauses lag, da sah ich dies nicht mehr, wol aber einen Hausen 33*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/271
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/271>, abgerufen am 27.07.2024.