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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Viele Stunden lang konnte er so finster vor sich hinbrütend in die Flammen des
Wachtfeuers starren, und wäre nicht das Blitzen seines Anges gewesen, das spä¬
hend in die Nacht drang, man hätte ihn leicht für ein lebloses Steinbild halten
tonnen. Auch mit seinen übrigen Polnischen Kameraden, wenn er zufällig mit
ihnen zusammenkam, sprach er nur wenig. Dabei verschmähte er den Brannt¬
wein, aß wenig Fleisch und lebte meist von Hülsenfrüchten, starkem Kaffee, den
er sich selbst kochte, und Brod.

Die Soldaten und selbst die Osstciere hatten eine Art Scheu vor dem fin¬
stern Unterofficier, und obgleich sie alle seine trefflichen militairischen Eigenschaften
achteten, so mieden sie ihn doch gern. Mich hatte der finstere Mann von An¬
fang an angezogen, denn eine unbeugsame eherne Charakterstärke lag in seinem
ganzen Wesen ausgedrückt, und oft hatte ich ohne viel Erfolg versucht, ein Ge¬
spräch mit ihm anzufangen.

Da hatte eines Tags die Compagnie, bei welcher dieser Unterofficier diente,
ein ziemlich lebhaftes Vorpostengefecht mit den Dänen, bei dem Diese zuletzt auch
mit einigen leichten Feldgeschützen zu feuern anfingen. Der Zufall wollte es,
daß die zurückziehenden Feinde noch einen Kanonenschuß aus weiter Entfernung
abfeuerten, und die Kugel desselben dem Unterofficier M. beide Beine un¬
terhalb des Knies fortriß. Blutend stürzte der furchtbar Verwundete zu Boden,
und mußte besinnungslos von seinen Kameraden fortgeschleppt werden.

Am andern Morgen kam ein Soldat mit der Bitte zu mir, ich möge doch
zu dem Verwundeten, der in einem nahen Bauernhause liege, gehen, da dieser
mich zu sprechen wünsche. Auf dem Wege erzählte mir der Bataillonsarzt,
daß M. wol innerhalb der nächsten 12 Stunden sterben werde. Möglich, ob-
schon sehr zweifelhaft sei es gewesen, ihn anfänglich durch die Amputation beider
Beine zu retten, doch habe er dies entschieden verweigert und fest erklärt, er
würde sich in diesem Falle den Verband abreißen. So sei man denn davon wie¬
der abgestanden und jetzt sei der Brand schon eingetreten, der in wenigen Stun¬
den schmerzlos ihm den Tod geben werde.

Der Verwundete lag in Decken gehüllt ans dem guten Strohlager in der
reinlichen Kammer eines Bauernhauses. Der nahe Tod stand mit deutlichen Zü¬
gen auf sein bleiches Antlitz geschrieben, doch schien er ohne Schmerzen zu sein.
Mit noch ziemlich fester Stimme bedankte er sich zuerst in seinem fremdartigen
Deutsch, daß ich seinen Wunsch erfüllt habe und zu ihm gekommen sei, und sagte
dann: "Nun noch die Bitte an Sie, dafür zu sorgen, daß wenn ich morgen be¬
graben werde, dieser kleine Beutel mit Erde vom Grabe meiner Mutter und mei¬
ner Braut mir nnter den Kopf gelegt wird", und dabei zeigte er ans einen kleinen
Beutel von Juchtenleder, den er an einem starkem Lederriemen auf der Brust
hängen hatte. Wie ich ihm dies versprochen, flog ein Lächeln über seine Züge,
und er drückte mir die Hand; baun nahm er einen kleinen Geldbeutel, in dem


Viele Stunden lang konnte er so finster vor sich hinbrütend in die Flammen des
Wachtfeuers starren, und wäre nicht das Blitzen seines Anges gewesen, das spä¬
hend in die Nacht drang, man hätte ihn leicht für ein lebloses Steinbild halten
tonnen. Auch mit seinen übrigen Polnischen Kameraden, wenn er zufällig mit
ihnen zusammenkam, sprach er nur wenig. Dabei verschmähte er den Brannt¬
wein, aß wenig Fleisch und lebte meist von Hülsenfrüchten, starkem Kaffee, den
er sich selbst kochte, und Brod.

Die Soldaten und selbst die Osstciere hatten eine Art Scheu vor dem fin¬
stern Unterofficier, und obgleich sie alle seine trefflichen militairischen Eigenschaften
achteten, so mieden sie ihn doch gern. Mich hatte der finstere Mann von An¬
fang an angezogen, denn eine unbeugsame eherne Charakterstärke lag in seinem
ganzen Wesen ausgedrückt, und oft hatte ich ohne viel Erfolg versucht, ein Ge¬
spräch mit ihm anzufangen.

Da hatte eines Tags die Compagnie, bei welcher dieser Unterofficier diente,
ein ziemlich lebhaftes Vorpostengefecht mit den Dänen, bei dem Diese zuletzt auch
mit einigen leichten Feldgeschützen zu feuern anfingen. Der Zufall wollte es,
daß die zurückziehenden Feinde noch einen Kanonenschuß aus weiter Entfernung
abfeuerten, und die Kugel desselben dem Unterofficier M. beide Beine un¬
terhalb des Knies fortriß. Blutend stürzte der furchtbar Verwundete zu Boden,
und mußte besinnungslos von seinen Kameraden fortgeschleppt werden.

Am andern Morgen kam ein Soldat mit der Bitte zu mir, ich möge doch
zu dem Verwundeten, der in einem nahen Bauernhause liege, gehen, da dieser
mich zu sprechen wünsche. Auf dem Wege erzählte mir der Bataillonsarzt,
daß M. wol innerhalb der nächsten 12 Stunden sterben werde. Möglich, ob-
schon sehr zweifelhaft sei es gewesen, ihn anfänglich durch die Amputation beider
Beine zu retten, doch habe er dies entschieden verweigert und fest erklärt, er
würde sich in diesem Falle den Verband abreißen. So sei man denn davon wie¬
der abgestanden und jetzt sei der Brand schon eingetreten, der in wenigen Stun¬
den schmerzlos ihm den Tod geben werde.

Der Verwundete lag in Decken gehüllt ans dem guten Strohlager in der
reinlichen Kammer eines Bauernhauses. Der nahe Tod stand mit deutlichen Zü¬
gen auf sein bleiches Antlitz geschrieben, doch schien er ohne Schmerzen zu sein.
Mit noch ziemlich fester Stimme bedankte er sich zuerst in seinem fremdartigen
Deutsch, daß ich seinen Wunsch erfüllt habe und zu ihm gekommen sei, und sagte
dann: „Nun noch die Bitte an Sie, dafür zu sorgen, daß wenn ich morgen be¬
graben werde, dieser kleine Beutel mit Erde vom Grabe meiner Mutter und mei¬
ner Braut mir nnter den Kopf gelegt wird", und dabei zeigte er ans einen kleinen
Beutel von Juchtenleder, den er an einem starkem Lederriemen auf der Brust
hängen hatte. Wie ich ihm dies versprochen, flog ein Lächeln über seine Züge,
und er drückte mir die Hand; baun nahm er einen kleinen Geldbeutel, in dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/270>, abgerufen am 27.07.2024.