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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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vom Standpunkte der Kunst aus normal ist, und darum ist sie eine große Künst¬
lerin. -- Die übrigen Kräfte der italienischen Oper waren, namentlich das weib¬
liche Personal, meist sehr mangelhaft. Labocetta, schon seit einer Reihe von
Jahren leuoriz assoluw, zerstört seine herrlichen Mittel durch unmäßiges Forciren;
Pardini, ein kräftiger Heldeutenor, hatte niemals künstlerische Bedeutung. Wie
herrliche Stimmen aus Italien kommen, bewies uns aufs Neue unser diesmaliger
Bariton, Sgr. Quicciardi, ein Sänger ohne Schule, aber von so glänzenden
Stimmmitteln^ wie sie sast nie ein deutscher Sänger hat. Das Repertoir brachte
nichts Neues; glücklicher Weise wurden wir mit der Darstellung deutscher Opern
verschont.

Weit geringeres Interesse, als an der italienischen, konnten wir an der
deutschen Oper nehmen. Allerdings machen wir an diese höhere Ansprüche; wir
verlangen vor allen Dingen ein Ensemble und ein gutes Repertoir; auch läßt
sich nicht verkennen, daß die großen Räume des Opernhauses ein ungeheures
Maß physischer Kraft von dem Sänger verlangen. Die Köster ist eine vertreff¬
liche dramatische Sängerin; die Tuczek in ihrem Genre auch jetzt uoch recht
brauchbar; und wenn sich zu diesen beiden Johanne Wagner gesellt haben
wird, so wird das weibliche Personal wenig zu wünschen übrig lassen. Desto
trauriger sieht es aber mit den männlichen Mitgliedern aus. Zschiesche und
Martius sind Ruinen, wenigstens für das Opernhaus, denn im Concertsaal
bringt Martius noch heute durch seinen Vortrag Wirkungen hervor, die für den
Kunstverständigen sast größer send, als sie es früher waren. Krause und Sa-
lomon sind vortreffliche musikalische Kräfte, aber es fehlt ihnen das dramatische
Talent, v. d. Osten, der vielbesprochene Tenor, den man nach Paris zu Bor-
dvgni schickte, damit er dort in die hohem Geheimnisse der Gesangskunst einge¬
weiht werde, hat sich als ganz unfähig für die Bühne bewiesen; und Pfister,
der sich in seiner Kunstbildung nicht weit über seine Throler Landsleute erhoben
hat, ist der Unglückliche, der durch die Ungunst der Umstände zu allen Heldentenor¬
partien verdammt ist und uns die vortrefflichsten Opern verleidet. Das Reper¬
toir leidet an entsetzlicher Dürre; von guten alten Werken wird wenig gegeben,
und die Novitäten sind meist werthlos. Flotow's Großfürstin und Adam's Gi-
ralda waren die Neuigkeiten, die dieser Winter brachte; die erste Oper steht tief
unter Martha, die zweite, die wenigstens durch das Sujet einigermaßen interessant
ist, unter dem Postillon. Der Prophet, ein Werk, in dem Meherbeer aus die
Darstellung des Edeln und Schönen fast gänzlich verzichtet hat und sich daraus
beschränkt, in den schauerlichsten Situationen und Leidenschaften herumzuwühlen,
kam mehrmals zur Ausführung, einmal mit Johanne Wagner als Fides, einer
Künstlerin, auf die wir die besten Hoffnungen bauen. Spontini's Vestalin und
Cortez fielen ziemlich unglücklich aus; hoffen wir, daß in Zukunft eine würdige
Darstellung dieser Werke möglich werde.


Grenzboten. II. I8SI. 32

vom Standpunkte der Kunst aus normal ist, und darum ist sie eine große Künst¬
lerin. — Die übrigen Kräfte der italienischen Oper waren, namentlich das weib¬
liche Personal, meist sehr mangelhaft. Labocetta, schon seit einer Reihe von
Jahren leuoriz assoluw, zerstört seine herrlichen Mittel durch unmäßiges Forciren;
Pardini, ein kräftiger Heldeutenor, hatte niemals künstlerische Bedeutung. Wie
herrliche Stimmen aus Italien kommen, bewies uns aufs Neue unser diesmaliger
Bariton, Sgr. Quicciardi, ein Sänger ohne Schule, aber von so glänzenden
Stimmmitteln^ wie sie sast nie ein deutscher Sänger hat. Das Repertoir brachte
nichts Neues; glücklicher Weise wurden wir mit der Darstellung deutscher Opern
verschont.

Weit geringeres Interesse, als an der italienischen, konnten wir an der
deutschen Oper nehmen. Allerdings machen wir an diese höhere Ansprüche; wir
verlangen vor allen Dingen ein Ensemble und ein gutes Repertoir; auch läßt
sich nicht verkennen, daß die großen Räume des Opernhauses ein ungeheures
Maß physischer Kraft von dem Sänger verlangen. Die Köster ist eine vertreff¬
liche dramatische Sängerin; die Tuczek in ihrem Genre auch jetzt uoch recht
brauchbar; und wenn sich zu diesen beiden Johanne Wagner gesellt haben
wird, so wird das weibliche Personal wenig zu wünschen übrig lassen. Desto
trauriger sieht es aber mit den männlichen Mitgliedern aus. Zschiesche und
Martius sind Ruinen, wenigstens für das Opernhaus, denn im Concertsaal
bringt Martius noch heute durch seinen Vortrag Wirkungen hervor, die für den
Kunstverständigen sast größer send, als sie es früher waren. Krause und Sa-
lomon sind vortreffliche musikalische Kräfte, aber es fehlt ihnen das dramatische
Talent, v. d. Osten, der vielbesprochene Tenor, den man nach Paris zu Bor-
dvgni schickte, damit er dort in die hohem Geheimnisse der Gesangskunst einge¬
weiht werde, hat sich als ganz unfähig für die Bühne bewiesen; und Pfister,
der sich in seiner Kunstbildung nicht weit über seine Throler Landsleute erhoben
hat, ist der Unglückliche, der durch die Ungunst der Umstände zu allen Heldentenor¬
partien verdammt ist und uns die vortrefflichsten Opern verleidet. Das Reper¬
toir leidet an entsetzlicher Dürre; von guten alten Werken wird wenig gegeben,
und die Novitäten sind meist werthlos. Flotow's Großfürstin und Adam's Gi-
ralda waren die Neuigkeiten, die dieser Winter brachte; die erste Oper steht tief
unter Martha, die zweite, die wenigstens durch das Sujet einigermaßen interessant
ist, unter dem Postillon. Der Prophet, ein Werk, in dem Meherbeer aus die
Darstellung des Edeln und Schönen fast gänzlich verzichtet hat und sich daraus
beschränkt, in den schauerlichsten Situationen und Leidenschaften herumzuwühlen,
kam mehrmals zur Ausführung, einmal mit Johanne Wagner als Fides, einer
Künstlerin, auf die wir die besten Hoffnungen bauen. Spontini's Vestalin und
Cortez fielen ziemlich unglücklich aus; hoffen wir, daß in Zukunft eine würdige
Darstellung dieser Werke möglich werde.


Grenzboten. II. I8SI. 32
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[0181] vom Standpunkte der Kunst aus normal ist, und darum ist sie eine große Künst¬ lerin. — Die übrigen Kräfte der italienischen Oper waren, namentlich das weib¬ liche Personal, meist sehr mangelhaft. Labocetta, schon seit einer Reihe von Jahren leuoriz assoluw, zerstört seine herrlichen Mittel durch unmäßiges Forciren; Pardini, ein kräftiger Heldeutenor, hatte niemals künstlerische Bedeutung. Wie herrliche Stimmen aus Italien kommen, bewies uns aufs Neue unser diesmaliger Bariton, Sgr. Quicciardi, ein Sänger ohne Schule, aber von so glänzenden Stimmmitteln^ wie sie sast nie ein deutscher Sänger hat. Das Repertoir brachte nichts Neues; glücklicher Weise wurden wir mit der Darstellung deutscher Opern verschont. Weit geringeres Interesse, als an der italienischen, konnten wir an der deutschen Oper nehmen. Allerdings machen wir an diese höhere Ansprüche; wir verlangen vor allen Dingen ein Ensemble und ein gutes Repertoir; auch läßt sich nicht verkennen, daß die großen Räume des Opernhauses ein ungeheures Maß physischer Kraft von dem Sänger verlangen. Die Köster ist eine vertreff¬ liche dramatische Sängerin; die Tuczek in ihrem Genre auch jetzt uoch recht brauchbar; und wenn sich zu diesen beiden Johanne Wagner gesellt haben wird, so wird das weibliche Personal wenig zu wünschen übrig lassen. Desto trauriger sieht es aber mit den männlichen Mitgliedern aus. Zschiesche und Martius sind Ruinen, wenigstens für das Opernhaus, denn im Concertsaal bringt Martius noch heute durch seinen Vortrag Wirkungen hervor, die für den Kunstverständigen sast größer send, als sie es früher waren. Krause und Sa- lomon sind vortreffliche musikalische Kräfte, aber es fehlt ihnen das dramatische Talent, v. d. Osten, der vielbesprochene Tenor, den man nach Paris zu Bor- dvgni schickte, damit er dort in die hohem Geheimnisse der Gesangskunst einge¬ weiht werde, hat sich als ganz unfähig für die Bühne bewiesen; und Pfister, der sich in seiner Kunstbildung nicht weit über seine Throler Landsleute erhoben hat, ist der Unglückliche, der durch die Ungunst der Umstände zu allen Heldentenor¬ partien verdammt ist und uns die vortrefflichsten Opern verleidet. Das Reper¬ toir leidet an entsetzlicher Dürre; von guten alten Werken wird wenig gegeben, und die Novitäten sind meist werthlos. Flotow's Großfürstin und Adam's Gi- ralda waren die Neuigkeiten, die dieser Winter brachte; die erste Oper steht tief unter Martha, die zweite, die wenigstens durch das Sujet einigermaßen interessant ist, unter dem Postillon. Der Prophet, ein Werk, in dem Meherbeer aus die Darstellung des Edeln und Schönen fast gänzlich verzichtet hat und sich daraus beschränkt, in den schauerlichsten Situationen und Leidenschaften herumzuwühlen, kam mehrmals zur Ausführung, einmal mit Johanne Wagner als Fides, einer Künstlerin, auf die wir die besten Hoffnungen bauen. Spontini's Vestalin und Cortez fielen ziemlich unglücklich aus; hoffen wir, daß in Zukunft eine würdige Darstellung dieser Werke möglich werde. Grenzboten. II. I8SI. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/181>, abgerufen am 01.09.2024.