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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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gemischten Gesellschaft von Kaufleuten und einigen Beamten begnügen, während
der Adel in Münster eine gesellschaftliche Corporation bildet und nur selten über
die Kreislinie derselben hinausgeht. Außer deu glänzenden Privatgesellschaften
finden gesellige Versammlungen und Bälle in einem sogenannten Damenclub statt.
Es ist dies ein eigenes Gesellschaftshaus, wo uach dem Muster englischer Exklu¬
sivität IviMss Mi'our<Z8ses die genau vorgeschriebenen Einladungen übernehmen.
Mitglieder können alle westfälischen Adelsfamilien sein, jedoch ist eine strenge
Scheidewand zwischen ihnen und dem neuen Adel, der hin und wieder in der
Provinz ansässig ist, gezogen, nicht einmal eine Einladung ist demselben erreichbar,
Mitgliedschaft wäre unerhörte Prätension. Dagegen werden die Spitzen der Be¬
hörden und alle Officiere der Garnison, wenn sie die vorschriftsmäßigen Besuche
und Bemühungen dieserhalb gemacht haben, ohne weiteres Ansehen der Person,
d. h. gleichviel ob adelig oder bürgerlich, eingeladen. Ein solcher Ballabend ist
der Focus von Glanz, Reichthum und Schönheit; die Blumen der Aristokratie,
die in allem Farbenschmelz der Jugendfrische, unter dem Thau von Diamanten und
Perlen prangen, sind herrliche germanische Gestalten, besonders reich an Wuchs
und Haarschmuck. Die Unantastbarkeit der seinen Sitte, der unsichtbare, aber
feste Schritt der Etikette zieht einen magischen Kreis um sie, der sie im schnellsten
Wirbel des deutschen Tanzes auch uoch schützend umschließt und zu den Bewah¬
rerinnen jenes aristokratischen Etwas macht, das im Faubourg Se. Germain einst
seineu deutlichste" Ausdruck fand. Den Frauen sollte überall die Ueberwachung
der bessern Geselligkeit anheimfallen. Der Münster'sche Damenclnb würde dann
vielleicht weniger abnorm erscheinen und weniger Neid erwecken, als es jetzt der
Fall ist. Bei dem Drängen nach eingebildeten Hohen in der Gesellschaftswelt
erregt dies Institut viel Bitterkeit. Zedermann hält die Schranke nach unten
eifrig fest und sucht uach oben sie geradezu wegzuläugnen. Der patricische Stolz
echten Bürgerthums, ein kleiner Nest von dem glücklichen Selbstgenügen des
stnfenreichen Mittelalters, ist in alten wohlhabenden Städten noch die einzige
Abwehr dieses unzufriedenen Sinnes. So fühlen sich auch in Münster die an¬
sässigen Bürger ganz behaglich in ihren Giebelhäusern, die stattlich neben den
"Höfen" des Adels sich ausnehmen und von den Strömungen der Neuzeit nicht
näher berührt werden als diese. Neid zu empfinden hat der Bürger von Münster
auch keine Ursache, es ist zu viel Analoges zwischen ihm und dem Adel. Wie
dieser liebt er die Abgeschlossenheit und den engen Familienkreis; für'die Winter-
vergnügungen hat er ebenfalls seinen Club, Civilclub genannt, und für den
Sommer das Landleben aus seinem "Kollen", wo neben dem malerischen Strohdach
der Köttcrwvhnung ein Gartenhaus seiner harrt, wenn der Guckuck im grünen
Gehölz ruft, die Hecken des Weißdorn Blüthen schneien, die Nachtigallen im
Lindenbaum über dem Crucifix frohlocken und die weite Haide in den Purpur
des Lenzabends sich einhüllt. Das ist der Zeitpunkt, wo auch die Münster'sche


gemischten Gesellschaft von Kaufleuten und einigen Beamten begnügen, während
der Adel in Münster eine gesellschaftliche Corporation bildet und nur selten über
die Kreislinie derselben hinausgeht. Außer deu glänzenden Privatgesellschaften
finden gesellige Versammlungen und Bälle in einem sogenannten Damenclub statt.
Es ist dies ein eigenes Gesellschaftshaus, wo uach dem Muster englischer Exklu¬
sivität IviMss Mi'our<Z8ses die genau vorgeschriebenen Einladungen übernehmen.
Mitglieder können alle westfälischen Adelsfamilien sein, jedoch ist eine strenge
Scheidewand zwischen ihnen und dem neuen Adel, der hin und wieder in der
Provinz ansässig ist, gezogen, nicht einmal eine Einladung ist demselben erreichbar,
Mitgliedschaft wäre unerhörte Prätension. Dagegen werden die Spitzen der Be¬
hörden und alle Officiere der Garnison, wenn sie die vorschriftsmäßigen Besuche
und Bemühungen dieserhalb gemacht haben, ohne weiteres Ansehen der Person,
d. h. gleichviel ob adelig oder bürgerlich, eingeladen. Ein solcher Ballabend ist
der Focus von Glanz, Reichthum und Schönheit; die Blumen der Aristokratie,
die in allem Farbenschmelz der Jugendfrische, unter dem Thau von Diamanten und
Perlen prangen, sind herrliche germanische Gestalten, besonders reich an Wuchs
und Haarschmuck. Die Unantastbarkeit der seinen Sitte, der unsichtbare, aber
feste Schritt der Etikette zieht einen magischen Kreis um sie, der sie im schnellsten
Wirbel des deutschen Tanzes auch uoch schützend umschließt und zu den Bewah¬
rerinnen jenes aristokratischen Etwas macht, das im Faubourg Se. Germain einst
seineu deutlichste» Ausdruck fand. Den Frauen sollte überall die Ueberwachung
der bessern Geselligkeit anheimfallen. Der Münster'sche Damenclnb würde dann
vielleicht weniger abnorm erscheinen und weniger Neid erwecken, als es jetzt der
Fall ist. Bei dem Drängen nach eingebildeten Hohen in der Gesellschaftswelt
erregt dies Institut viel Bitterkeit. Zedermann hält die Schranke nach unten
eifrig fest und sucht uach oben sie geradezu wegzuläugnen. Der patricische Stolz
echten Bürgerthums, ein kleiner Nest von dem glücklichen Selbstgenügen des
stnfenreichen Mittelalters, ist in alten wohlhabenden Städten noch die einzige
Abwehr dieses unzufriedenen Sinnes. So fühlen sich auch in Münster die an¬
sässigen Bürger ganz behaglich in ihren Giebelhäusern, die stattlich neben den
„Höfen" des Adels sich ausnehmen und von den Strömungen der Neuzeit nicht
näher berührt werden als diese. Neid zu empfinden hat der Bürger von Münster
auch keine Ursache, es ist zu viel Analoges zwischen ihm und dem Adel. Wie
dieser liebt er die Abgeschlossenheit und den engen Familienkreis; für'die Winter-
vergnügungen hat er ebenfalls seinen Club, Civilclub genannt, und für den
Sommer das Landleben aus seinem „Kollen", wo neben dem malerischen Strohdach
der Köttcrwvhnung ein Gartenhaus seiner harrt, wenn der Guckuck im grünen
Gehölz ruft, die Hecken des Weißdorn Blüthen schneien, die Nachtigallen im
Lindenbaum über dem Crucifix frohlocken und die weite Haide in den Purpur
des Lenzabends sich einhüllt. Das ist der Zeitpunkt, wo auch die Münster'sche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/112>, abgerufen am 01.09.2024.