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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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die schwere Goldkette des Wiedertäuferkönigs gehört, die ein Ahnherr des Grafen
zum Lohn für seine Waffenthaten gegen diesen Usurpator erhalten hat. Gras
Droste-Vischering-Erbdrost, der alte Titel aus der bischöflichen Zeit, ist jetzt dem
Namen angefügt. Gras Droste - Nesselrode, Graf Schmising - Tatcnhansen, Graf
Stollberg (ein Sohn Friedrich Leopolds), Gras Asseburg, Gras Westerholt, Graf
Sierstorff-Driburg. Dann die Freiherren von Fürstenberg, v. Ketteler, v. Heer¬
mann, v. Böselager, v. Beverförde, v. Droste-Hülshoff, v. Oer, v. Senden,
v. Kenkerink, v. Brenken, v. Metternich, v. Haxthausen, v. Spiegel u. f. w.
Die Wohnungen des Adels sind bis aus wenige Ausnahmen keine Ritterburgen,
sondern in der Art der englischen Landsitze erbaut; hin und wieder ist wol noch
ein Thurm aus früherer Zeit stehen geblieben und mit den Gebäuden verbunden,
im Ganzen stammen jedoch die meisten Gebäude ans dem Anfang des vorigen
Jahrhunderts. Die innere Einrichtung ist dein entsprechend im Nococogcschmack,
ohne übermäßig prächtig zu sein. Der Sammelgeist ist in dem contemplativen
Leben der Besitzer meistens thätig gewesen; man findet werthvolle Rüstkammern,
Münzcabinette, Mineraliensammlungen, gute Bibliotheken und treffliche alte Ge¬
mälde in den meisten Schlössern, besonders aber wahre Schätze von reichgearbei¬
tetem Silbergeräth in alten Formen. Die Lebensweise ist patriarchalisch einfach
und es kann noch jetzt Anwendung darauf finden, was in einer alten Specialge-
schichte Westfalens steht: "Der Adel lebt mit Anstand und führt ein unschuldiges
Leben." Strenge Sittlichkeit zeichnet die Adelsfamilien noch jetzt aus, scrupulöse
Ausübung der religiösen Gebräuche geht damit Hand in Hand;' die Männer scheuen sich
uicht, bei öffentlichen Processtonen geweihte Kerzen zu tragen und mit entblößtem
' Haupte die Litanei mitzusingen; die Frauen thu" in ihrem Frömmigkcilsdrange
oft noch einen Schritt weiter, sie gehen ins Kloster und da es fast kein anderes
gibt, als eins zur Krankenpflege bestimmt, so werden sie mit freudiger Demuth
barmherzige Schwestern. Unter der groben Nonnentracht dieses Ordens sieht
man in Westphaleu oft die feinsten aristokratischen Gestalten einherwandeln. Sonst
macht sich im Allgemeinen anch der südliche Ursprung des Katholicismus durch
Lebensfülle und Lebenslust in einer harmlosen Neigung zu Gcselligkeitöfreuden
geltend. Der 6. Januar, der Tag der heiligen drei Könige und der Beginn der
sogenannten offenen Zeit, führt die Bälle und Wintervergnügen stets in schneller
und bunter Reihe herbei. Der Adel verläßt gewöhnlich schon im Spätherbst seine
Landsitze, oft auch, erst um Weihnachten, lebt aber durchaus still auch in der Stadt,
bis die "geschlossene" Zeit (Adventszeit) vorüber ist.

Die Provinzialhauptstadt, Münster, ist der Sammelplatz der adligen Familien;
diejenigen, welche zu entfernt davon wohnen, ziehen anch wol auf einige Mouate
in die ihnen zunächst gelegenen Städte, wie Paderborn, Arnsberg, Werk, wo die
sogenannten Salzjnnker zusammenkommen, so genannt wegen ihrer Antheile an
den reichen Salinen der Umgegend; aber sie müssen sich dort mit der vorhandenen


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die schwere Goldkette des Wiedertäuferkönigs gehört, die ein Ahnherr des Grafen
zum Lohn für seine Waffenthaten gegen diesen Usurpator erhalten hat. Gras
Droste-Vischering-Erbdrost, der alte Titel aus der bischöflichen Zeit, ist jetzt dem
Namen angefügt. Gras Droste - Nesselrode, Graf Schmising - Tatcnhansen, Graf
Stollberg (ein Sohn Friedrich Leopolds), Gras Asseburg, Gras Westerholt, Graf
Sierstorff-Driburg. Dann die Freiherren von Fürstenberg, v. Ketteler, v. Heer¬
mann, v. Böselager, v. Beverförde, v. Droste-Hülshoff, v. Oer, v. Senden,
v. Kenkerink, v. Brenken, v. Metternich, v. Haxthausen, v. Spiegel u. f. w.
Die Wohnungen des Adels sind bis aus wenige Ausnahmen keine Ritterburgen,
sondern in der Art der englischen Landsitze erbaut; hin und wieder ist wol noch
ein Thurm aus früherer Zeit stehen geblieben und mit den Gebäuden verbunden,
im Ganzen stammen jedoch die meisten Gebäude ans dem Anfang des vorigen
Jahrhunderts. Die innere Einrichtung ist dein entsprechend im Nococogcschmack,
ohne übermäßig prächtig zu sein. Der Sammelgeist ist in dem contemplativen
Leben der Besitzer meistens thätig gewesen; man findet werthvolle Rüstkammern,
Münzcabinette, Mineraliensammlungen, gute Bibliotheken und treffliche alte Ge¬
mälde in den meisten Schlössern, besonders aber wahre Schätze von reichgearbei¬
tetem Silbergeräth in alten Formen. Die Lebensweise ist patriarchalisch einfach
und es kann noch jetzt Anwendung darauf finden, was in einer alten Specialge-
schichte Westfalens steht: „Der Adel lebt mit Anstand und führt ein unschuldiges
Leben." Strenge Sittlichkeit zeichnet die Adelsfamilien noch jetzt aus, scrupulöse
Ausübung der religiösen Gebräuche geht damit Hand in Hand;' die Männer scheuen sich
uicht, bei öffentlichen Processtonen geweihte Kerzen zu tragen und mit entblößtem
' Haupte die Litanei mitzusingen; die Frauen thu» in ihrem Frömmigkcilsdrange
oft noch einen Schritt weiter, sie gehen ins Kloster und da es fast kein anderes
gibt, als eins zur Krankenpflege bestimmt, so werden sie mit freudiger Demuth
barmherzige Schwestern. Unter der groben Nonnentracht dieses Ordens sieht
man in Westphaleu oft die feinsten aristokratischen Gestalten einherwandeln. Sonst
macht sich im Allgemeinen anch der südliche Ursprung des Katholicismus durch
Lebensfülle und Lebenslust in einer harmlosen Neigung zu Gcselligkeitöfreuden
geltend. Der 6. Januar, der Tag der heiligen drei Könige und der Beginn der
sogenannten offenen Zeit, führt die Bälle und Wintervergnügen stets in schneller
und bunter Reihe herbei. Der Adel verläßt gewöhnlich schon im Spätherbst seine
Landsitze, oft auch, erst um Weihnachten, lebt aber durchaus still auch in der Stadt,
bis die „geschlossene" Zeit (Adventszeit) vorüber ist.

Die Provinzialhauptstadt, Münster, ist der Sammelplatz der adligen Familien;
diejenigen, welche zu entfernt davon wohnen, ziehen anch wol auf einige Mouate
in die ihnen zunächst gelegenen Städte, wie Paderborn, Arnsberg, Werk, wo die
sogenannten Salzjnnker zusammenkommen, so genannt wegen ihrer Antheile an
den reichen Salinen der Umgegend; aber sie müssen sich dort mit der vorhandenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/111>, abgerufen am 01.09.2024.