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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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um zu wissen, wie viel die Geistlichkeit dazu beiträgt, den Bauer in thierischer
Dummheit zu erhalten. Freilich sind die einzelnen Geistlichen in der Regel nicht
viel klüger.

Der russische Bauer ist in vieler Beziehung besser daran als der polnische.
Der Russe hat in der Regel die Aussicht, sich durch Ausdehnung seiner Vieh¬
zucht zu einigem Wohlstand empor zu schwingen; sein Grundherr setzt sogar einen
Stolz darauf reiche Bauern zu besitzen. Nachtheil kann ihm der Reichthum seiner
Leibeigenen nicht verursachen, da der Bauer als Gegenstand für immer an ihn
gebunden ist. Man findet in Rußland Bauern, welche sehr großes Vermögen
haben. Wenn sie nun auch in ihrer Unfreiheit damit keine Rittergüter und hohen
Ehren erwerben können, so dient es ihnen doch dazu, sich ein bequemes Leben
zu bereiten. Ihre Dienstverpflichtuugen bürden sie sammt ihrer Wirthschaft ge¬
mietheten Knechten auf und leben vergnügt in Städten. Dazu bedürfen sie aller¬
dings der Erlaubniß ihres Leibherrn, aber diese wird ihnen gegen einen Geld¬
zins und unter gewissen Beschränkungen nicht verweigert. So lebt z. B. in
Minsk ein Bauer Namens Filipow, dessen Vermögen über 60,000 Rubel Silber
beträgt. Für die Erlaubniß in der Stadt zu wohnen, zahlte er seinem Leibherrn
früher an jedem Neujahrstage dreihundert Papierrubel. Später hat er diese Erlaub¬
niß für sich und seine Nachkommen durch ein Kapital erkauft. Da es ihm nicht er¬
laubt werden konnte, Grundeigenthum zu besitzen, so erbaute er sich einen Palast
auf den Namen eines armen Bürgers, der dadurch wenigstens für seine Lebens¬
zeit freie Wohnung bekommen hat. Seine Kinder erzieht der reiche Bauers¬
mann auf großem Fuß, läßt sie Sprachen und Musik lehren und sie aufs
feinste städtisch kleiden. Allerdings mußten die jungen feinen Leutchen sich ge¬
fallen lassen, dem Leibherrn nach der bei ihm eingeführten Weise eine Zeit lang
als Knechte und Mägde zu diene". Dies nur darum, damit ihnen der Stempel
der Leibeigenschaft eingedrückt sei und ihre Unterthänigkeit in der Erinnerung bleibe.
Derartige Filipow's gibt es gar nicht wenige in Rußland. Vor Gericht werden
sie allerdings nicht nach ihrem Reichthum gemessen, und in die Gesellschaften des
Adels erlangen sie nie Eintritt. Die bürgerlichen Gesellschaften dagegen nehmen
sie gern auf, denn der Bürger schätzt den Mann nach seiner Tüchtigkeit und --
Geldkrast.

In Polen dagegen ist ein reicher Bauer eine Unmöglichkeit. Und zwar ge¬
rade deshalb, weil er freier ist, als der Russe, d. h., weil er persönliche Freiheit
besitzt, die ihm vom Staat zuertheilt worden. Diese persönliche Freiheit ist für ihn
ein tückischer Schein, so kostbar auch das Recht ist, das sie verleiht. Der Bauer
in Polen ist nicht an das Gebiet, den Boden seines Herrn gebunden und all¬
jährlich am Tage des heiligen Jacob kann er ziehen, wohin er will. Aber der
Edelmann braucht den Bauer, und es muß ihm in dem menschenarmen Lande
daher sehr daran liegen, daß er bleibe. Das aber ist sicher nur dadurch zu be-


Grenzbotcn. II. I8SI. Is

um zu wissen, wie viel die Geistlichkeit dazu beiträgt, den Bauer in thierischer
Dummheit zu erhalten. Freilich sind die einzelnen Geistlichen in der Regel nicht
viel klüger.

Der russische Bauer ist in vieler Beziehung besser daran als der polnische.
Der Russe hat in der Regel die Aussicht, sich durch Ausdehnung seiner Vieh¬
zucht zu einigem Wohlstand empor zu schwingen; sein Grundherr setzt sogar einen
Stolz darauf reiche Bauern zu besitzen. Nachtheil kann ihm der Reichthum seiner
Leibeigenen nicht verursachen, da der Bauer als Gegenstand für immer an ihn
gebunden ist. Man findet in Rußland Bauern, welche sehr großes Vermögen
haben. Wenn sie nun auch in ihrer Unfreiheit damit keine Rittergüter und hohen
Ehren erwerben können, so dient es ihnen doch dazu, sich ein bequemes Leben
zu bereiten. Ihre Dienstverpflichtuugen bürden sie sammt ihrer Wirthschaft ge¬
mietheten Knechten auf und leben vergnügt in Städten. Dazu bedürfen sie aller¬
dings der Erlaubniß ihres Leibherrn, aber diese wird ihnen gegen einen Geld¬
zins und unter gewissen Beschränkungen nicht verweigert. So lebt z. B. in
Minsk ein Bauer Namens Filipow, dessen Vermögen über 60,000 Rubel Silber
beträgt. Für die Erlaubniß in der Stadt zu wohnen, zahlte er seinem Leibherrn
früher an jedem Neujahrstage dreihundert Papierrubel. Später hat er diese Erlaub¬
niß für sich und seine Nachkommen durch ein Kapital erkauft. Da es ihm nicht er¬
laubt werden konnte, Grundeigenthum zu besitzen, so erbaute er sich einen Palast
auf den Namen eines armen Bürgers, der dadurch wenigstens für seine Lebens¬
zeit freie Wohnung bekommen hat. Seine Kinder erzieht der reiche Bauers¬
mann auf großem Fuß, läßt sie Sprachen und Musik lehren und sie aufs
feinste städtisch kleiden. Allerdings mußten die jungen feinen Leutchen sich ge¬
fallen lassen, dem Leibherrn nach der bei ihm eingeführten Weise eine Zeit lang
als Knechte und Mägde zu diene». Dies nur darum, damit ihnen der Stempel
der Leibeigenschaft eingedrückt sei und ihre Unterthänigkeit in der Erinnerung bleibe.
Derartige Filipow's gibt es gar nicht wenige in Rußland. Vor Gericht werden
sie allerdings nicht nach ihrem Reichthum gemessen, und in die Gesellschaften des
Adels erlangen sie nie Eintritt. Die bürgerlichen Gesellschaften dagegen nehmen
sie gern auf, denn der Bürger schätzt den Mann nach seiner Tüchtigkeit und —
Geldkrast.

In Polen dagegen ist ein reicher Bauer eine Unmöglichkeit. Und zwar ge¬
rade deshalb, weil er freier ist, als der Russe, d. h., weil er persönliche Freiheit
besitzt, die ihm vom Staat zuertheilt worden. Diese persönliche Freiheit ist für ihn
ein tückischer Schein, so kostbar auch das Recht ist, das sie verleiht. Der Bauer
in Polen ist nicht an das Gebiet, den Boden seines Herrn gebunden und all¬
jährlich am Tage des heiligen Jacob kann er ziehen, wohin er will. Aber der
Edelmann braucht den Bauer, und es muß ihm in dem menschenarmen Lande
daher sehr daran liegen, daß er bleibe. Das aber ist sicher nur dadurch zu be-


Grenzbotcn. II. I8SI. Is
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[0101] um zu wissen, wie viel die Geistlichkeit dazu beiträgt, den Bauer in thierischer Dummheit zu erhalten. Freilich sind die einzelnen Geistlichen in der Regel nicht viel klüger. Der russische Bauer ist in vieler Beziehung besser daran als der polnische. Der Russe hat in der Regel die Aussicht, sich durch Ausdehnung seiner Vieh¬ zucht zu einigem Wohlstand empor zu schwingen; sein Grundherr setzt sogar einen Stolz darauf reiche Bauern zu besitzen. Nachtheil kann ihm der Reichthum seiner Leibeigenen nicht verursachen, da der Bauer als Gegenstand für immer an ihn gebunden ist. Man findet in Rußland Bauern, welche sehr großes Vermögen haben. Wenn sie nun auch in ihrer Unfreiheit damit keine Rittergüter und hohen Ehren erwerben können, so dient es ihnen doch dazu, sich ein bequemes Leben zu bereiten. Ihre Dienstverpflichtuugen bürden sie sammt ihrer Wirthschaft ge¬ mietheten Knechten auf und leben vergnügt in Städten. Dazu bedürfen sie aller¬ dings der Erlaubniß ihres Leibherrn, aber diese wird ihnen gegen einen Geld¬ zins und unter gewissen Beschränkungen nicht verweigert. So lebt z. B. in Minsk ein Bauer Namens Filipow, dessen Vermögen über 60,000 Rubel Silber beträgt. Für die Erlaubniß in der Stadt zu wohnen, zahlte er seinem Leibherrn früher an jedem Neujahrstage dreihundert Papierrubel. Später hat er diese Erlaub¬ niß für sich und seine Nachkommen durch ein Kapital erkauft. Da es ihm nicht er¬ laubt werden konnte, Grundeigenthum zu besitzen, so erbaute er sich einen Palast auf den Namen eines armen Bürgers, der dadurch wenigstens für seine Lebens¬ zeit freie Wohnung bekommen hat. Seine Kinder erzieht der reiche Bauers¬ mann auf großem Fuß, läßt sie Sprachen und Musik lehren und sie aufs feinste städtisch kleiden. Allerdings mußten die jungen feinen Leutchen sich ge¬ fallen lassen, dem Leibherrn nach der bei ihm eingeführten Weise eine Zeit lang als Knechte und Mägde zu diene». Dies nur darum, damit ihnen der Stempel der Leibeigenschaft eingedrückt sei und ihre Unterthänigkeit in der Erinnerung bleibe. Derartige Filipow's gibt es gar nicht wenige in Rußland. Vor Gericht werden sie allerdings nicht nach ihrem Reichthum gemessen, und in die Gesellschaften des Adels erlangen sie nie Eintritt. Die bürgerlichen Gesellschaften dagegen nehmen sie gern auf, denn der Bürger schätzt den Mann nach seiner Tüchtigkeit und — Geldkrast. In Polen dagegen ist ein reicher Bauer eine Unmöglichkeit. Und zwar ge¬ rade deshalb, weil er freier ist, als der Russe, d. h., weil er persönliche Freiheit besitzt, die ihm vom Staat zuertheilt worden. Diese persönliche Freiheit ist für ihn ein tückischer Schein, so kostbar auch das Recht ist, das sie verleiht. Der Bauer in Polen ist nicht an das Gebiet, den Boden seines Herrn gebunden und all¬ jährlich am Tage des heiligen Jacob kann er ziehen, wohin er will. Aber der Edelmann braucht den Bauer, und es muß ihm in dem menschenarmen Lande daher sehr daran liegen, daß er bleibe. Das aber ist sicher nur dadurch zu be- Grenzbotcn. II. I8SI. Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/101>, abgerufen am 01.09.2024.