Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.meinen Umrisse erhalten; bei Lara dagegen, welches wenigstens dem Anschein nach Gegen alle diese Gedichte bildet der Don Juan einen ganz entschiedene" meinen Umrisse erhalten; bei Lara dagegen, welches wenigstens dem Anschein nach Gegen alle diese Gedichte bildet der Don Juan einen ganz entschiedene» <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280671"/> <p xml:id="ID_134" prev="#ID_133"> meinen Umrisse erhalten; bei Lara dagegen, welches wenigstens dem Anschein nach<lb/> zusammenhängend erzählt, werden wir verstimmt, wenn wir nicht einmal in Bezie¬<lb/> hung auf die Hauptsache erfahren, ob der Held das Verbrechen, dessen er be¬<lb/> schuldigt wird, begangen hat oder nicht. Irgend eine epische Grundlage ist in¬<lb/> dessen nothwendig; der vollständige Mangel derselben im Childe Harold macht<lb/> dieses Gedicht, welches eigentlich nichts Anderes ist, als eine versificirte Reise-<lb/> beschreibung, trotz einzelner glänzender Stellen ungenießbar. — Auch auf die Con¬<lb/> ception seiner Figuren hat W. Scott einigen Einfluß geübt. Sein Marmivn<lb/> ist die eigentliche Quelle fast aller der Abenteurer mit starken Leidenschaften und<lb/> zweifelhafter Sittlichkeit, die sich in diesen Gedichten bewegen, sie bleiben aber<lb/> alle hinter ihrem Vorbild weit zurück. Dagegen ist das Talent, welches sich in<lb/> einzelnen epischen Darstellungen, z. B. in den Schlachtsceneu der Belagerung<lb/> von Kvriltth, im Cvrsar, oder in der wilden Flucht Mazeppa's durch die Rus¬<lb/> sische Steppe ausspricht, ferner die Kraft und der Adel, mit welchen die leiden¬<lb/> schaftlichen Naturen ihren Gefühlen freien Lauf lassen, z. B. Hugo in der Pari¬<lb/> sina, die Zartheit und Innigkeit der Empfindung in der ganzen Parisina, im<lb/> Gefangenen von Chillon u. s. w., vor Allem aber die fast dämonische Entfaltung<lb/> einer wilden und verzweifelten Stimmung, z. B. in der einsamen Wanderung des<lb/> Renegaten in der Belagerung von Korinth, oder in dem Benehmen Lara's vor<lb/> dem cntscheideudeuden Augenblick, unübertrefflich, und gehört zu der echtesten Poesie<lb/> aller Zeiten. Einzelne seiner Vorstellungen, z. die Türkischen Flüche «"<lb/> Giaour und das kleine Fragment von einem muthmaßlichen Vampyr haben späteren'<lb/> Dichtern zu jener Tcufelspoeste Veranlassung gegeben, die man aber Unrecht thun<lb/> würde, Byron aufzubürden.</p><lb/> <p xml:id="ID_135" next="#ID_136"> Gegen alle diese Gedichte bildet der Don Juan einen ganz entschiedene»<lb/> Gegensatz. Dieses größte seiner Werke, an welchem er während seines aMe"<lb/> spätern Lebens fortarbeitcte, drückt viel vollständiger die Totalität seines West"^<lb/> aus, als jene Inspirationen der Schwermuth, die doch immer nnr eine Seite sei"^<lb/> Charakters wiedergaben. Nach seiner halb unfreiwilligen Abreise ans England<lb/> war auch das Princip der Sittlichkeit, an dem er bisher trotz seines dissolnte"<lb/> Lebens festgehalten hatte, wenigstens zweifelhaft in ihm geworden. Er trieb<lb/> mit demselben ein frivoles Spiel, freilich mit halbem Grauen. In Venedig<lb/> führte er ein wüstes Leben, abwechselnd zwischen Rausch und Abspannung, ""t<lb/> unbefriedigter Hast von einer Leidenschaft zur andern fortstürmend, bis endlich<lb/> durch sein Verhältniß zur Gräfin Guiccioli wenigstens eine Art von Form<lb/> sein Leben kam. Das Verhältniß war höchst poetisch, und edler, als seine frü¬<lb/> hern, zum Theil sehr niedrigen Leidenschaften, aber befriedigend war es keines¬<lb/> wegs ;n nennen. Ich meine damit nicht allein den damit verbundenen Billet)<lb/> der äußerlichen sittlichen Verhältnisse, sondern vor Allem die Unsicherheit sti"^<lb/> Gemüths. Die Leidenschaft der Gräfin machte ihm Pein, vielleicht weil er sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
meinen Umrisse erhalten; bei Lara dagegen, welches wenigstens dem Anschein nach
zusammenhängend erzählt, werden wir verstimmt, wenn wir nicht einmal in Bezie¬
hung auf die Hauptsache erfahren, ob der Held das Verbrechen, dessen er be¬
schuldigt wird, begangen hat oder nicht. Irgend eine epische Grundlage ist in¬
dessen nothwendig; der vollständige Mangel derselben im Childe Harold macht
dieses Gedicht, welches eigentlich nichts Anderes ist, als eine versificirte Reise-
beschreibung, trotz einzelner glänzender Stellen ungenießbar. — Auch auf die Con¬
ception seiner Figuren hat W. Scott einigen Einfluß geübt. Sein Marmivn
ist die eigentliche Quelle fast aller der Abenteurer mit starken Leidenschaften und
zweifelhafter Sittlichkeit, die sich in diesen Gedichten bewegen, sie bleiben aber
alle hinter ihrem Vorbild weit zurück. Dagegen ist das Talent, welches sich in
einzelnen epischen Darstellungen, z. B. in den Schlachtsceneu der Belagerung
von Kvriltth, im Cvrsar, oder in der wilden Flucht Mazeppa's durch die Rus¬
sische Steppe ausspricht, ferner die Kraft und der Adel, mit welchen die leiden¬
schaftlichen Naturen ihren Gefühlen freien Lauf lassen, z. B. Hugo in der Pari¬
sina, die Zartheit und Innigkeit der Empfindung in der ganzen Parisina, im
Gefangenen von Chillon u. s. w., vor Allem aber die fast dämonische Entfaltung
einer wilden und verzweifelten Stimmung, z. B. in der einsamen Wanderung des
Renegaten in der Belagerung von Korinth, oder in dem Benehmen Lara's vor
dem cntscheideudeuden Augenblick, unübertrefflich, und gehört zu der echtesten Poesie
aller Zeiten. Einzelne seiner Vorstellungen, z. die Türkischen Flüche «"
Giaour und das kleine Fragment von einem muthmaßlichen Vampyr haben späteren'
Dichtern zu jener Tcufelspoeste Veranlassung gegeben, die man aber Unrecht thun
würde, Byron aufzubürden.
Gegen alle diese Gedichte bildet der Don Juan einen ganz entschiedene»
Gegensatz. Dieses größte seiner Werke, an welchem er während seines aMe"
spätern Lebens fortarbeitcte, drückt viel vollständiger die Totalität seines West"^
aus, als jene Inspirationen der Schwermuth, die doch immer nnr eine Seite sei"^
Charakters wiedergaben. Nach seiner halb unfreiwilligen Abreise ans England
war auch das Princip der Sittlichkeit, an dem er bisher trotz seines dissolnte"
Lebens festgehalten hatte, wenigstens zweifelhaft in ihm geworden. Er trieb
mit demselben ein frivoles Spiel, freilich mit halbem Grauen. In Venedig
führte er ein wüstes Leben, abwechselnd zwischen Rausch und Abspannung, ""t
unbefriedigter Hast von einer Leidenschaft zur andern fortstürmend, bis endlich
durch sein Verhältniß zur Gräfin Guiccioli wenigstens eine Art von Form
sein Leben kam. Das Verhältniß war höchst poetisch, und edler, als seine frü¬
hern, zum Theil sehr niedrigen Leidenschaften, aber befriedigend war es keines¬
wegs ;n nennen. Ich meine damit nicht allein den damit verbundenen Billet)
der äußerlichen sittlichen Verhältnisse, sondern vor Allem die Unsicherheit sti"^
Gemüths. Die Leidenschaft der Gräfin machte ihm Pein, vielleicht weil er sie
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