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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Leben, wie wir es bei den Schulgerechtem Dichtern, z. B. bei Campbell, verge¬
bens suchen würden.

Was seinen Gedichten hauptsächlich ihren Reiz verleiht, ist die seelenvolle
Auffassung der Natur. Die glänzende Färbung, die er seinen orientalischen Schil¬
derungen zu geben weiß, ist nie blos sinnlicher Natur, überall schimmert der Geist
durch. Wer erinnert sich nicht an das glänzende Bild im Anfang des Giaour,
>u dem er Griechenland mit einem eben entseelten schönen Weibe vergleicht. An
eigentlicher Landschaftsmalern übertrifft ihn W. Scott in seineu Gedichten bei
Weitem. Die sichere Meisterhand, mit der Dieser seine Zeichnung bis ins einzelne
Detail verfolgt, ohne darüber den Eindruck des Ganzen zu verlieren, hat kein
anderer Dichter erreicht; dagegen ist ihm Byron überlegen in dem feinen poe¬
tischen Duft, in der Stimmung, die sich über seine Landschaft breitet; er wählt
von den Gegenständen immer nur Einzelnes aus, aber er weiß dieses Einzelne
so zu verweben, daß es einen tiefen Eindruck auf die Seele macht. Es ist der
Geist der Natur selber, der zu uns spricht, in der Regel mild und etwas traurig,
wie in einer umwölkten Mondnacht, denu Nachbilder sind es allerdings fast aus-
^iießlich, was er uus vou der Natur zeigt, wenn er nicht ein blendendes fremd¬
artiges Colorit darüber breitet, oder sie in stnrmbcwegter Leidenschaft darstellt; mit
^"er heitern einfgcheu Tagesstimmung hat er es nie zu thun.

Die schwächste Seite seiner Gedichte ist die Charakterzeichnung. Nicht allein
>se der Held in allen der nämliche, Lord Byron selbst mit seinen glänzenden An¬
lagen "ut se^ein unklaren Wollen, sondern es werden uns auch nicht einmal die
^uzeluen Situationen deutlich gemacht. Während W. Scott anch in seinen Ge¬
übten durch ganz kleine Züge uns vollständig orientirt, bleiben uns beim Giaour,
Lara n. s. w. die Motive vollkommen unverständlich, ja wir erfahren nur in
Ultcuen Fälle", mit wem wir es eigentlich zu thun haben. Die historische Ver¬
legenheit und selbst die gegenwärtige Stellung der Helden bleibt fast überall unklar.
Manfred, der Giaour haben irgend etwas Böses gethan, worüber sie
' ^ empfinden, aber was Das gewesen ist, erfahren wir nicht; wir können
''As also über die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigst ihrer Emsiudungcli kein
Urtheil bilden. Wie klar wird uns dagegen Alles, was W. Scott z. B. in seinem
"'keby, einer ganz ähnlich angelegten Erzählung, die auf Byron deu entscheidend-
°" Einfluß ausgeübt hat, darstellt. - Zuweilen erstreckt sich diese Unbestimmt-
'"t auch auf Zeit und Ort; z?B. im Lara dürfte es schwer sein, auszumitteln,
und ""d welches Jahrhundert gemeint ist. Byron empfindet zu lebhaft
sei, "^bwcheu, "in gut zu erzählen. Darum möchten im Ganzen diejenigen
sind" Richte deu Vorzug verdienen, die auch in ihrer Form skizzenhaft gehalten
' ' "ud die daher auf Klarheit und Vollständigkeit keinen Anspruch machen. So
^rien wir z. B. die fragmentarischen Ideen und Anschauungen im Giaour ohne
Anstand hin, wenn wir auch vou dem eigeutlichen Ereigniß nur die ganz allge-
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Leben, wie wir es bei den Schulgerechtem Dichtern, z. B. bei Campbell, verge¬
bens suchen würden.

Was seinen Gedichten hauptsächlich ihren Reiz verleiht, ist die seelenvolle
Auffassung der Natur. Die glänzende Färbung, die er seinen orientalischen Schil¬
derungen zu geben weiß, ist nie blos sinnlicher Natur, überall schimmert der Geist
durch. Wer erinnert sich nicht an das glänzende Bild im Anfang des Giaour,
>u dem er Griechenland mit einem eben entseelten schönen Weibe vergleicht. An
eigentlicher Landschaftsmalern übertrifft ihn W. Scott in seineu Gedichten bei
Weitem. Die sichere Meisterhand, mit der Dieser seine Zeichnung bis ins einzelne
Detail verfolgt, ohne darüber den Eindruck des Ganzen zu verlieren, hat kein
anderer Dichter erreicht; dagegen ist ihm Byron überlegen in dem feinen poe¬
tischen Duft, in der Stimmung, die sich über seine Landschaft breitet; er wählt
von den Gegenständen immer nur Einzelnes aus, aber er weiß dieses Einzelne
so zu verweben, daß es einen tiefen Eindruck auf die Seele macht. Es ist der
Geist der Natur selber, der zu uns spricht, in der Regel mild und etwas traurig,
wie in einer umwölkten Mondnacht, denu Nachbilder sind es allerdings fast aus-
^iießlich, was er uus vou der Natur zeigt, wenn er nicht ein blendendes fremd¬
artiges Colorit darüber breitet, oder sie in stnrmbcwegter Leidenschaft darstellt; mit
^"er heitern einfgcheu Tagesstimmung hat er es nie zu thun.

Die schwächste Seite seiner Gedichte ist die Charakterzeichnung. Nicht allein
>se der Held in allen der nämliche, Lord Byron selbst mit seinen glänzenden An¬
lagen »ut se^ein unklaren Wollen, sondern es werden uns auch nicht einmal die
^uzeluen Situationen deutlich gemacht. Während W. Scott anch in seinen Ge¬
übten durch ganz kleine Züge uns vollständig orientirt, bleiben uns beim Giaour,
Lara n. s. w. die Motive vollkommen unverständlich, ja wir erfahren nur in
Ultcuen Fälle», mit wem wir es eigentlich zu thun haben. Die historische Ver¬
legenheit und selbst die gegenwärtige Stellung der Helden bleibt fast überall unklar.
Manfred, der Giaour haben irgend etwas Böses gethan, worüber sie
' ^ empfinden, aber was Das gewesen ist, erfahren wir nicht; wir können
''As also über die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigst ihrer Emsiudungcli kein
Urtheil bilden. Wie klar wird uns dagegen Alles, was W. Scott z. B. in seinem
"'keby, einer ganz ähnlich angelegten Erzählung, die auf Byron deu entscheidend-
°" Einfluß ausgeübt hat, darstellt. - Zuweilen erstreckt sich diese Unbestimmt-
'"t auch auf Zeit und Ort; z?B. im Lara dürfte es schwer sein, auszumitteln,
und ""d welches Jahrhundert gemeint ist. Byron empfindet zu lebhaft
sei, "^bwcheu, »in gut zu erzählen. Darum möchten im Ganzen diejenigen
sind" Richte deu Vorzug verdienen, die auch in ihrer Form skizzenhaft gehalten
' ' "ud die daher auf Klarheit und Vollständigkeit keinen Anspruch machen. So
^rien wir z. B. die fragmentarischen Ideen und Anschauungen im Giaour ohne
Anstand hin, wenn wir auch vou dem eigeutlichen Ereigniß nur die ganz allge-
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[0053] Leben, wie wir es bei den Schulgerechtem Dichtern, z. B. bei Campbell, verge¬ bens suchen würden. Was seinen Gedichten hauptsächlich ihren Reiz verleiht, ist die seelenvolle Auffassung der Natur. Die glänzende Färbung, die er seinen orientalischen Schil¬ derungen zu geben weiß, ist nie blos sinnlicher Natur, überall schimmert der Geist durch. Wer erinnert sich nicht an das glänzende Bild im Anfang des Giaour, >u dem er Griechenland mit einem eben entseelten schönen Weibe vergleicht. An eigentlicher Landschaftsmalern übertrifft ihn W. Scott in seineu Gedichten bei Weitem. Die sichere Meisterhand, mit der Dieser seine Zeichnung bis ins einzelne Detail verfolgt, ohne darüber den Eindruck des Ganzen zu verlieren, hat kein anderer Dichter erreicht; dagegen ist ihm Byron überlegen in dem feinen poe¬ tischen Duft, in der Stimmung, die sich über seine Landschaft breitet; er wählt von den Gegenständen immer nur Einzelnes aus, aber er weiß dieses Einzelne so zu verweben, daß es einen tiefen Eindruck auf die Seele macht. Es ist der Geist der Natur selber, der zu uns spricht, in der Regel mild und etwas traurig, wie in einer umwölkten Mondnacht, denu Nachbilder sind es allerdings fast aus- ^iießlich, was er uus vou der Natur zeigt, wenn er nicht ein blendendes fremd¬ artiges Colorit darüber breitet, oder sie in stnrmbcwegter Leidenschaft darstellt; mit ^"er heitern einfgcheu Tagesstimmung hat er es nie zu thun. Die schwächste Seite seiner Gedichte ist die Charakterzeichnung. Nicht allein >se der Held in allen der nämliche, Lord Byron selbst mit seinen glänzenden An¬ lagen »ut se^ein unklaren Wollen, sondern es werden uns auch nicht einmal die ^uzeluen Situationen deutlich gemacht. Während W. Scott anch in seinen Ge¬ übten durch ganz kleine Züge uns vollständig orientirt, bleiben uns beim Giaour, Lara n. s. w. die Motive vollkommen unverständlich, ja wir erfahren nur in Ultcuen Fälle», mit wem wir es eigentlich zu thun haben. Die historische Ver¬ legenheit und selbst die gegenwärtige Stellung der Helden bleibt fast überall unklar. Manfred, der Giaour haben irgend etwas Böses gethan, worüber sie ' ^ empfinden, aber was Das gewesen ist, erfahren wir nicht; wir können ''As also über die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigst ihrer Emsiudungcli kein Urtheil bilden. Wie klar wird uns dagegen Alles, was W. Scott z. B. in seinem "'keby, einer ganz ähnlich angelegten Erzählung, die auf Byron deu entscheidend- °" Einfluß ausgeübt hat, darstellt. - Zuweilen erstreckt sich diese Unbestimmt- '"t auch auf Zeit und Ort; z?B. im Lara dürfte es schwer sein, auszumitteln, und ""d welches Jahrhundert gemeint ist. Byron empfindet zu lebhaft sei, "^bwcheu, »in gut zu erzählen. Darum möchten im Ganzen diejenigen sind" Richte deu Vorzug verdienen, die auch in ihrer Form skizzenhaft gehalten ' ' "ud die daher auf Klarheit und Vollständigkeit keinen Anspruch machen. So ^rien wir z. B. die fragmentarischen Ideen und Anschauungen im Giaour ohne Anstand hin, wenn wir auch vou dem eigeutlichen Ereigniß nur die ganz allge- Gr cnzbetcn. IV. -I8L-I. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/53>, abgerufen am 23.07.2024.