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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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der Herren Blanc, auch den Winter dablieben. Nicht zu verwundern ist es unter
solchen Umständen, daß der Beschluß der Paulskirche, welcher die Schließung der
Spielhöllen verordnete, nicht nur den Vertreter Homburgs, den armen Vene bey,
in eigenthümliche Verlegenheit brachte, sondern auch nirgend reellem Widerstand
fand, als in dieser Stadt, deren ganzer Flor leider auf dem Hazardspiel beruht.
Der Fürst wurde von Deputationen bestürmt, an deren Spitze sogar der Kirchcu-
vorstcmd sich gestellt hatte, welche die Fortdauer, beziehungsweise Wiedereröffnung
des Spiels verlangten. Er ließ sich auch gern bereit finden, und trieb bekannt¬
lich seinen Widerstand gegen National-Versammlung und Reichsverweser so weit,
daß er förmlich mit Execution belegt wurde. Die Einstellung des Spiels dauerte
nicht länger, als bis zum Rücktritt des Reichsverwesers. Kaum war dieser
erfolgt, so wurde uuter dem Beifall der "liberalen" Hombnrger der Bruch des
"Neichsgesetzes" erneuert. Es will uus daher bedünken, daß die klägliche Bür¬
gerschaft von Homburg, welche ihren Fürsten einst selber zur Verletzung eines
feierlich verkündeten Gesetzes antrieb, jetzt am wenigsten Ursache habe, sich über
die kürzlich erfolgte "Selbstcntbinduug" des Fürsten von den deutsche" Grund¬
rechten und allen März-Versprechungen, als über einen Rechtsbruch, zu beschweren.
Dagegen ist es allerdings charakteristisch, daß die "atheistische", die "antichrist¬
liche", die "unmoralische" Revolution die Spielsäle in Deutschland schloß, daß
aber die fromme, specifisch "christliche" Legitimität sowol in Homburg als in
Baden und Kurhessen dieselben wieder geöffnet hat. Zwar verbietet der Landgraf
seinen eigenen Unterthanen die' Theilnahme an diesem gefährlichen Vergnügen;
aber er legt es darauf an, daß die Ausländer -- d. h. alle Nicht-Homburger --
in die unter seinen Auspicien ausgespannten Netze fallen. Auch kaun er gar
nicht verhindern, daß nicht auch seine eigenen Unterthanen durch die dritte Hand
spielen, und daß sie von der moralischen Pest mit inficirt werden, welche ein
solcher Zusammenfluß reicher, dem Genuß lebender Fremdlinge, die noch dazu
einer sehr privilegirten Stellung genießen, unvermeidlich nach sich zieht. Man
darf sich um so mehr hierüber wundern, da der 68jährige Landgraf Ferdinand,
der jüngste von fünf nach einander regierenden Brüdern, ein persönlich unbe¬
scholtener und achtungswerther Herr von sehr einfachen Bedürfnissen ist, und da
sein Minister, Geh. Rath Dr. Bansn (früher Advocat zu Gießen), uoch zu den
wenigen bis jetzt im Amt gebliebenen Märzministern gehört. Freilich ist sein
Einfluß so ziemlich geschwunden, und wenn er sich nicht für den Fall seiner Ent¬
lassung eine Penston von 2000 si. ausbedungen hätte, so würde man sich dieser
lästigen Reminiscenz ans der Zeit der Märzerhebnng her schon längst entledigt haben.

Ungeheuer müssen die Einnahmen der Spielpächter sein; das ergiebt sich
schon aus der Größe der Ausgaben. Der Einblick in das Detail des Budgets
ist natürlich nnr Eingeweihten gestattet. Doch schätzt man die Ausgaben jährlich
auf mindestens 200,009 si. Darunter sollen, nach der Angabe eines nicht ganz


der Herren Blanc, auch den Winter dablieben. Nicht zu verwundern ist es unter
solchen Umständen, daß der Beschluß der Paulskirche, welcher die Schließung der
Spielhöllen verordnete, nicht nur den Vertreter Homburgs, den armen Vene bey,
in eigenthümliche Verlegenheit brachte, sondern auch nirgend reellem Widerstand
fand, als in dieser Stadt, deren ganzer Flor leider auf dem Hazardspiel beruht.
Der Fürst wurde von Deputationen bestürmt, an deren Spitze sogar der Kirchcu-
vorstcmd sich gestellt hatte, welche die Fortdauer, beziehungsweise Wiedereröffnung
des Spiels verlangten. Er ließ sich auch gern bereit finden, und trieb bekannt¬
lich seinen Widerstand gegen National-Versammlung und Reichsverweser so weit,
daß er förmlich mit Execution belegt wurde. Die Einstellung des Spiels dauerte
nicht länger, als bis zum Rücktritt des Reichsverwesers. Kaum war dieser
erfolgt, so wurde uuter dem Beifall der „liberalen" Hombnrger der Bruch des
„Neichsgesetzes" erneuert. Es will uus daher bedünken, daß die klägliche Bür¬
gerschaft von Homburg, welche ihren Fürsten einst selber zur Verletzung eines
feierlich verkündeten Gesetzes antrieb, jetzt am wenigsten Ursache habe, sich über
die kürzlich erfolgte „Selbstcntbinduug" des Fürsten von den deutsche» Grund¬
rechten und allen März-Versprechungen, als über einen Rechtsbruch, zu beschweren.
Dagegen ist es allerdings charakteristisch, daß die „atheistische", die „antichrist¬
liche", die „unmoralische" Revolution die Spielsäle in Deutschland schloß, daß
aber die fromme, specifisch „christliche" Legitimität sowol in Homburg als in
Baden und Kurhessen dieselben wieder geöffnet hat. Zwar verbietet der Landgraf
seinen eigenen Unterthanen die' Theilnahme an diesem gefährlichen Vergnügen;
aber er legt es darauf an, daß die Ausländer — d. h. alle Nicht-Homburger —
in die unter seinen Auspicien ausgespannten Netze fallen. Auch kaun er gar
nicht verhindern, daß nicht auch seine eigenen Unterthanen durch die dritte Hand
spielen, und daß sie von der moralischen Pest mit inficirt werden, welche ein
solcher Zusammenfluß reicher, dem Genuß lebender Fremdlinge, die noch dazu
einer sehr privilegirten Stellung genießen, unvermeidlich nach sich zieht. Man
darf sich um so mehr hierüber wundern, da der 68jährige Landgraf Ferdinand,
der jüngste von fünf nach einander regierenden Brüdern, ein persönlich unbe¬
scholtener und achtungswerther Herr von sehr einfachen Bedürfnissen ist, und da
sein Minister, Geh. Rath Dr. Bansn (früher Advocat zu Gießen), uoch zu den
wenigen bis jetzt im Amt gebliebenen Märzministern gehört. Freilich ist sein
Einfluß so ziemlich geschwunden, und wenn er sich nicht für den Fall seiner Ent¬
lassung eine Penston von 2000 si. ausbedungen hätte, so würde man sich dieser
lästigen Reminiscenz ans der Zeit der Märzerhebnng her schon längst entledigt haben.

Ungeheuer müssen die Einnahmen der Spielpächter sein; das ergiebt sich
schon aus der Größe der Ausgaben. Der Einblick in das Detail des Budgets
ist natürlich nnr Eingeweihten gestattet. Doch schätzt man die Ausgaben jährlich
auf mindestens 200,009 si. Darunter sollen, nach der Angabe eines nicht ganz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/508>, abgerufen am 23.07.2024.