Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Im Allgemeinen drückt sich der französische Esprit vorzüglich in der Fähigkeit
ans, Allem, was gesagt wird, eine auffallende, originelle Tournüre zu geben, die
auf den ersten Anblick auch ganz vernünftig aussieht, und durch den drastischen
Eindruck das Urtheil befangen macht. Das hier Gesagte gilt denn doch zunächst
nur von den Espritmachern, die freilich häufig genug sind; im Volke tritt er
im Gegentheil meistens als gesunder Menschenverstand aus, in gefälligem, launi¬
gen, witzigen Gewande, das die französische Sprache gern gestattet. Die besseren
Schriftsteller und die geistigen Koryphäen der französischen Gesellschaft wissen
sich mich vor der allznglänzcuden Form zu hüten, und die Einfachheit des Gewan¬
des durch den Gehalt vergessen zu machen. Die französische Sprache behält
ohehin selbst in der ungesuchtcstcn Form eine gewisse Eleganz des Ausdrucks,
deren Allgemeinheit man eben in der Sprechweise des Volkes am besten beur¬
theilen kann. Geistige Heiterkeit ist den Franzosen so sehr Bedürfniß, daß in
bürgerlichen, oder, besser gesagt, in spießbürgerlichen Kreisen ein sogenannter
Chargenmacher, der selbsterfundene oder von Andern gedichtete Possen und Schwänke
vorträgt, die Stelle der allgemeinen Conversation der gebildeten oder literarischen
Kreise vertritt. Dieses Talent, gut vorzutragen, ist aber hier so gewöhnlich, daß
schon dieser Umstand allein genügte, zu beweisen, wie das Theater vorzugsweise
die nationale Kunst der Franzosen sei.

Solche Unterhaltungen sind, wie gesagt, nur in den kleineren Kreisen zu fin¬
den, wo man sich zwischen zwei Quadrillen gern noch einen Separatjnx macht.
In deu Salons ein gi'ann nouae, in den politischen Cirkeln ist weder hiervon,
noch von einer allgemeinen Unterhaltung die Rede. Bei deu zahllosen Märtyrern,
die sich in diesen herumbewegen, und zwischen Leuten, von denen sich in der Regel
die wenigsten kennen, ist das auch nicht gut möglich.

Je glänzender -- in Frankreich ist, wie schon Börne richtig bemerkt, Alles
gläuzend, die Gesundheit, die Hoffnung, der Erfolg, die Jugend u. f. w.---
also je glänzender ein Salon sein soll, um so mehr Menschen müssen in einen
Raum gepreßt werden, um so langweiliger muß auch die Gesellschaft sein und
um so gelangweilter.

Man versteht auch wirklich die Kunst, sich mit Anstand zu langweilen, nir¬
gends besser, als in den Salons der Minister, >der politischen oder künstlerischen
Koryphäen, überhaupt, als in den Cirkeln der sogenannten großen Welt. Nach¬
dem man durch allerlei gymnastische Künste bis zur Hausfrau gedrungen, um vor
dieser, deu Hut im Arm, sich möglichst graziös zu präsentiren, commentirt der
Pele Geschmack und die Etiquette rechts um, und man ist seinem Schicksal über¬
lassen. Man hat Zeit, Betrachtungen anzustellen, und es hängt rein von zufälligen
Bekanntschaften ab, soll es uns gelingen, hier und da ein Gespräch anknüpfen
zu können. Bekanntschaften zu machen wird schwer oder fast unmöglich, mau
benimmt sich zurückhaltend, wie an einem öffentlichen Orte, an dem man für sein


Im Allgemeinen drückt sich der französische Esprit vorzüglich in der Fähigkeit
ans, Allem, was gesagt wird, eine auffallende, originelle Tournüre zu geben, die
auf den ersten Anblick auch ganz vernünftig aussieht, und durch den drastischen
Eindruck das Urtheil befangen macht. Das hier Gesagte gilt denn doch zunächst
nur von den Espritmachern, die freilich häufig genug sind; im Volke tritt er
im Gegentheil meistens als gesunder Menschenverstand aus, in gefälligem, launi¬
gen, witzigen Gewande, das die französische Sprache gern gestattet. Die besseren
Schriftsteller und die geistigen Koryphäen der französischen Gesellschaft wissen
sich mich vor der allznglänzcuden Form zu hüten, und die Einfachheit des Gewan¬
des durch den Gehalt vergessen zu machen. Die französische Sprache behält
ohehin selbst in der ungesuchtcstcn Form eine gewisse Eleganz des Ausdrucks,
deren Allgemeinheit man eben in der Sprechweise des Volkes am besten beur¬
theilen kann. Geistige Heiterkeit ist den Franzosen so sehr Bedürfniß, daß in
bürgerlichen, oder, besser gesagt, in spießbürgerlichen Kreisen ein sogenannter
Chargenmacher, der selbsterfundene oder von Andern gedichtete Possen und Schwänke
vorträgt, die Stelle der allgemeinen Conversation der gebildeten oder literarischen
Kreise vertritt. Dieses Talent, gut vorzutragen, ist aber hier so gewöhnlich, daß
schon dieser Umstand allein genügte, zu beweisen, wie das Theater vorzugsweise
die nationale Kunst der Franzosen sei.

Solche Unterhaltungen sind, wie gesagt, nur in den kleineren Kreisen zu fin¬
den, wo man sich zwischen zwei Quadrillen gern noch einen Separatjnx macht.
In deu Salons ein gi'ann nouae, in den politischen Cirkeln ist weder hiervon,
noch von einer allgemeinen Unterhaltung die Rede. Bei deu zahllosen Märtyrern,
die sich in diesen herumbewegen, und zwischen Leuten, von denen sich in der Regel
die wenigsten kennen, ist das auch nicht gut möglich.

Je glänzender — in Frankreich ist, wie schon Börne richtig bemerkt, Alles
gläuzend, die Gesundheit, die Hoffnung, der Erfolg, die Jugend u. f. w.—-
also je glänzender ein Salon sein soll, um so mehr Menschen müssen in einen
Raum gepreßt werden, um so langweiliger muß auch die Gesellschaft sein und
um so gelangweilter.

Man versteht auch wirklich die Kunst, sich mit Anstand zu langweilen, nir¬
gends besser, als in den Salons der Minister, >der politischen oder künstlerischen
Koryphäen, überhaupt, als in den Cirkeln der sogenannten großen Welt. Nach¬
dem man durch allerlei gymnastische Künste bis zur Hausfrau gedrungen, um vor
dieser, deu Hut im Arm, sich möglichst graziös zu präsentiren, commentirt der
Pele Geschmack und die Etiquette rechts um, und man ist seinem Schicksal über¬
lassen. Man hat Zeit, Betrachtungen anzustellen, und es hängt rein von zufälligen
Bekanntschaften ab, soll es uns gelingen, hier und da ein Gespräch anknüpfen
zu können. Bekanntschaften zu machen wird schwer oder fast unmöglich, mau
benimmt sich zurückhaltend, wie an einem öffentlichen Orte, an dem man für sein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0465" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281082"/>
          <p xml:id="ID_1319"> Im Allgemeinen drückt sich der französische Esprit vorzüglich in der Fähigkeit<lb/>
ans, Allem, was gesagt wird, eine auffallende, originelle Tournüre zu geben, die<lb/>
auf den ersten Anblick auch ganz vernünftig aussieht, und durch den drastischen<lb/>
Eindruck das Urtheil befangen macht. Das hier Gesagte gilt denn doch zunächst<lb/>
nur von den Espritmachern, die freilich häufig genug sind; im Volke tritt er<lb/>
im Gegentheil meistens als gesunder Menschenverstand aus, in gefälligem, launi¬<lb/>
gen, witzigen Gewande, das die französische Sprache gern gestattet. Die besseren<lb/>
Schriftsteller und die geistigen Koryphäen der französischen Gesellschaft wissen<lb/>
sich mich vor der allznglänzcuden Form zu hüten, und die Einfachheit des Gewan¬<lb/>
des durch den Gehalt vergessen zu machen. Die französische Sprache behält<lb/>
ohehin selbst in der ungesuchtcstcn Form eine gewisse Eleganz des Ausdrucks,<lb/>
deren Allgemeinheit man eben in der Sprechweise des Volkes am besten beur¬<lb/>
theilen kann. Geistige Heiterkeit ist den Franzosen so sehr Bedürfniß, daß in<lb/>
bürgerlichen, oder, besser gesagt, in spießbürgerlichen Kreisen ein sogenannter<lb/>
Chargenmacher, der selbsterfundene oder von Andern gedichtete Possen und Schwänke<lb/>
vorträgt, die Stelle der allgemeinen Conversation der gebildeten oder literarischen<lb/>
Kreise vertritt. Dieses Talent, gut vorzutragen, ist aber hier so gewöhnlich, daß<lb/>
schon dieser Umstand allein genügte, zu beweisen, wie das Theater vorzugsweise<lb/>
die nationale Kunst der Franzosen sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1320"> Solche Unterhaltungen sind, wie gesagt, nur in den kleineren Kreisen zu fin¬<lb/>
den, wo man sich zwischen zwei Quadrillen gern noch einen Separatjnx macht.<lb/>
In deu Salons ein gi'ann nouae, in den politischen Cirkeln ist weder hiervon,<lb/>
noch von einer allgemeinen Unterhaltung die Rede. Bei deu zahllosen Märtyrern,<lb/>
die sich in diesen herumbewegen, und zwischen Leuten, von denen sich in der Regel<lb/>
die wenigsten kennen, ist das auch nicht gut möglich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1321"> Je glänzender &#x2014; in Frankreich ist, wie schon Börne richtig bemerkt, Alles<lb/>
gläuzend, die Gesundheit, die Hoffnung, der Erfolg, die Jugend u. f. w.&#x2014;-<lb/>
also je glänzender ein Salon sein soll, um so mehr Menschen müssen in einen<lb/>
Raum gepreßt werden, um so langweiliger muß auch die Gesellschaft sein und<lb/>
um so gelangweilter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1322" next="#ID_1323"> Man versteht auch wirklich die Kunst, sich mit Anstand zu langweilen, nir¬<lb/>
gends besser, als in den Salons der Minister, &gt;der politischen oder künstlerischen<lb/>
Koryphäen, überhaupt, als in den Cirkeln der sogenannten großen Welt. Nach¬<lb/>
dem man durch allerlei gymnastische Künste bis zur Hausfrau gedrungen, um vor<lb/>
dieser, deu Hut im Arm, sich möglichst graziös zu präsentiren, commentirt der<lb/>
Pele Geschmack und die Etiquette rechts um, und man ist seinem Schicksal über¬<lb/>
lassen. Man hat Zeit, Betrachtungen anzustellen, und es hängt rein von zufälligen<lb/>
Bekanntschaften ab, soll es uns gelingen, hier und da ein Gespräch anknüpfen<lb/>
zu können. Bekanntschaften zu machen wird schwer oder fast unmöglich, mau<lb/>
benimmt sich zurückhaltend, wie an einem öffentlichen Orte, an dem man für sein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0465] Im Allgemeinen drückt sich der französische Esprit vorzüglich in der Fähigkeit ans, Allem, was gesagt wird, eine auffallende, originelle Tournüre zu geben, die auf den ersten Anblick auch ganz vernünftig aussieht, und durch den drastischen Eindruck das Urtheil befangen macht. Das hier Gesagte gilt denn doch zunächst nur von den Espritmachern, die freilich häufig genug sind; im Volke tritt er im Gegentheil meistens als gesunder Menschenverstand aus, in gefälligem, launi¬ gen, witzigen Gewande, das die französische Sprache gern gestattet. Die besseren Schriftsteller und die geistigen Koryphäen der französischen Gesellschaft wissen sich mich vor der allznglänzcuden Form zu hüten, und die Einfachheit des Gewan¬ des durch den Gehalt vergessen zu machen. Die französische Sprache behält ohehin selbst in der ungesuchtcstcn Form eine gewisse Eleganz des Ausdrucks, deren Allgemeinheit man eben in der Sprechweise des Volkes am besten beur¬ theilen kann. Geistige Heiterkeit ist den Franzosen so sehr Bedürfniß, daß in bürgerlichen, oder, besser gesagt, in spießbürgerlichen Kreisen ein sogenannter Chargenmacher, der selbsterfundene oder von Andern gedichtete Possen und Schwänke vorträgt, die Stelle der allgemeinen Conversation der gebildeten oder literarischen Kreise vertritt. Dieses Talent, gut vorzutragen, ist aber hier so gewöhnlich, daß schon dieser Umstand allein genügte, zu beweisen, wie das Theater vorzugsweise die nationale Kunst der Franzosen sei. Solche Unterhaltungen sind, wie gesagt, nur in den kleineren Kreisen zu fin¬ den, wo man sich zwischen zwei Quadrillen gern noch einen Separatjnx macht. In deu Salons ein gi'ann nouae, in den politischen Cirkeln ist weder hiervon, noch von einer allgemeinen Unterhaltung die Rede. Bei deu zahllosen Märtyrern, die sich in diesen herumbewegen, und zwischen Leuten, von denen sich in der Regel die wenigsten kennen, ist das auch nicht gut möglich. Je glänzender — in Frankreich ist, wie schon Börne richtig bemerkt, Alles gläuzend, die Gesundheit, die Hoffnung, der Erfolg, die Jugend u. f. w.—- also je glänzender ein Salon sein soll, um so mehr Menschen müssen in einen Raum gepreßt werden, um so langweiliger muß auch die Gesellschaft sein und um so gelangweilter. Man versteht auch wirklich die Kunst, sich mit Anstand zu langweilen, nir¬ gends besser, als in den Salons der Minister, >der politischen oder künstlerischen Koryphäen, überhaupt, als in den Cirkeln der sogenannten großen Welt. Nach¬ dem man durch allerlei gymnastische Künste bis zur Hausfrau gedrungen, um vor dieser, deu Hut im Arm, sich möglichst graziös zu präsentiren, commentirt der Pele Geschmack und die Etiquette rechts um, und man ist seinem Schicksal über¬ lassen. Man hat Zeit, Betrachtungen anzustellen, und es hängt rein von zufälligen Bekanntschaften ab, soll es uns gelingen, hier und da ein Gespräch anknüpfen zu können. Bekanntschaften zu machen wird schwer oder fast unmöglich, mau benimmt sich zurückhaltend, wie an einem öffentlichen Orte, an dem man für sein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/465
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/465>, abgerufen am 23.07.2024.