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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Liebesgeschichte darin verflochten. Adriane liebt ihn, und sie gefällt ihm anch ganz
wohl, aber seine Empfindung ist mit jenem Skepticismus gefärbt, die sein ganzes
Wesen charakterisirt. In dem Augenblick, wo er im Begriff ist, ihr eine Erklä¬
rung zu machen, sagt er zu sich selbst: "Was ist eigentlich Liebe? Ich mag zwar
davon geträumt haben, aber was kann ich genau darüber wissen? Wir bilden
uns selbst die Form, an der wir Gefallen finden, und bauen sie, wie es der Zu¬
fall will, auf Fels oder auf Sand, denn die Gedanken sind müde, beständig über
die Welt zu Streifen, und die Phantasie, die sich nach einer Heimath sehnt, läßt
ihre Barke an der Küste stranden."'") Daß die Erklärung, die er in einer sol¬
chen Stimmung macht, nicht gerade sehr feurig ausfällt, läßt sich denken. Er
fordert das arme Mädchen, welches von seinem Gefühl überwältigt ist, auf, sich
die Sache kaltblütig zu überlegen, und hat keine Freude an dem Erfolg.--
So ist es denn begreiflich, daß in dem zweiten Theil des Drama's der Gedanke
an Adriane, welche mittlerweile gestorben ist, ihm nur noch wie ein Traum er¬
scheint. Trotz dem schätzt er sie jetzt mehr als früher, und malt ihre Tugenden
einer zweiten Dame, Helene, um die er sich gegenwärtig bewirbt, in sehr glän¬
zenden Farben ans, so daß Helene in Furcht und Zittern darüber ist, ob sie
einen solchen Engel auch wird ersetzen können. Er beruhigt sie darüber, und
sie ergiebt sich ihm. Kaum ist sie abgetreten, so spricht er zu sich selbst: "So
habe ich eine halbe Nacht verschwendet. War sie wohl angewandt? Ich weiß
nicht; wenigstens erfolgreich. Es liegt doch in solcher Weiberliebe wenig
schmeichelhaftes." Diesen Gedanken führt er noch weiter ans, und da¬
zwischen fällt ihm ein, daß er einen Verräther zu bestrafen hat. Er läßt also
einen Galgen ausrichten, um ihn daran zu hängen. -- Schon aus dieser Scene
kann mau ungefähr die Stimmung errathen, in welcher der ganze zweite Theil des
Stücks gehalten ist. Es ist genan die Stimmung des zweiten Theils von Macbeth;
aber hier wird sie durch die vorhergehende That mit Nothwendigkeit vorbereitet,
während bei Artevelde anch eben so gut eine andere Gemüthsrichtung hätte ein¬
treten können. -- Es trifft ihn Unheil über Unheil. Zum Theil ist sein Verhältniß
zu Helene daran Schuld, welche früher, wie in einem Zwischenstück weiter ausge-
führt wird, die Geliebte des Herzogs von Bourbon gewesen war. Es entfremdet
ihm seine treuesten Anhängers namentlich einen wackern Priester, der als sein
Hauptagent bei den fremden Mächten auftritt. Er fühlt sich auch diesen Vor¬
würfen gegenüber nicht ganz sicher, und weiß ihnen nichts Anderes entgegenzusetzen,
als die Betrachtung, daß es doch ziemlich einerlei ist, was man thut. Diese



")

Liebesgeschichte darin verflochten. Adriane liebt ihn, und sie gefällt ihm anch ganz
wohl, aber seine Empfindung ist mit jenem Skepticismus gefärbt, die sein ganzes
Wesen charakterisirt. In dem Augenblick, wo er im Begriff ist, ihr eine Erklä¬
rung zu machen, sagt er zu sich selbst: „Was ist eigentlich Liebe? Ich mag zwar
davon geträumt haben, aber was kann ich genau darüber wissen? Wir bilden
uns selbst die Form, an der wir Gefallen finden, und bauen sie, wie es der Zu¬
fall will, auf Fels oder auf Sand, denn die Gedanken sind müde, beständig über
die Welt zu Streifen, und die Phantasie, die sich nach einer Heimath sehnt, läßt
ihre Barke an der Küste stranden."'") Daß die Erklärung, die er in einer sol¬
chen Stimmung macht, nicht gerade sehr feurig ausfällt, läßt sich denken. Er
fordert das arme Mädchen, welches von seinem Gefühl überwältigt ist, auf, sich
die Sache kaltblütig zu überlegen, und hat keine Freude an dem Erfolg.—
So ist es denn begreiflich, daß in dem zweiten Theil des Drama's der Gedanke
an Adriane, welche mittlerweile gestorben ist, ihm nur noch wie ein Traum er¬
scheint. Trotz dem schätzt er sie jetzt mehr als früher, und malt ihre Tugenden
einer zweiten Dame, Helene, um die er sich gegenwärtig bewirbt, in sehr glän¬
zenden Farben ans, so daß Helene in Furcht und Zittern darüber ist, ob sie
einen solchen Engel auch wird ersetzen können. Er beruhigt sie darüber, und
sie ergiebt sich ihm. Kaum ist sie abgetreten, so spricht er zu sich selbst: „So
habe ich eine halbe Nacht verschwendet. War sie wohl angewandt? Ich weiß
nicht; wenigstens erfolgreich. Es liegt doch in solcher Weiberliebe wenig
schmeichelhaftes." Diesen Gedanken führt er noch weiter ans, und da¬
zwischen fällt ihm ein, daß er einen Verräther zu bestrafen hat. Er läßt also
einen Galgen ausrichten, um ihn daran zu hängen. — Schon aus dieser Scene
kann mau ungefähr die Stimmung errathen, in welcher der ganze zweite Theil des
Stücks gehalten ist. Es ist genan die Stimmung des zweiten Theils von Macbeth;
aber hier wird sie durch die vorhergehende That mit Nothwendigkeit vorbereitet,
während bei Artevelde anch eben so gut eine andere Gemüthsrichtung hätte ein¬
treten können. — Es trifft ihn Unheil über Unheil. Zum Theil ist sein Verhältniß
zu Helene daran Schuld, welche früher, wie in einem Zwischenstück weiter ausge-
führt wird, die Geliebte des Herzogs von Bourbon gewesen war. Es entfremdet
ihm seine treuesten Anhängers namentlich einen wackern Priester, der als sein
Hauptagent bei den fremden Mächten auftritt. Er fühlt sich auch diesen Vor¬
würfen gegenüber nicht ganz sicher, und weiß ihnen nichts Anderes entgegenzusetzen,
als die Betrachtung, daß es doch ziemlich einerlei ist, was man thut. Diese



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[0449] Liebesgeschichte darin verflochten. Adriane liebt ihn, und sie gefällt ihm anch ganz wohl, aber seine Empfindung ist mit jenem Skepticismus gefärbt, die sein ganzes Wesen charakterisirt. In dem Augenblick, wo er im Begriff ist, ihr eine Erklä¬ rung zu machen, sagt er zu sich selbst: „Was ist eigentlich Liebe? Ich mag zwar davon geträumt haben, aber was kann ich genau darüber wissen? Wir bilden uns selbst die Form, an der wir Gefallen finden, und bauen sie, wie es der Zu¬ fall will, auf Fels oder auf Sand, denn die Gedanken sind müde, beständig über die Welt zu Streifen, und die Phantasie, die sich nach einer Heimath sehnt, läßt ihre Barke an der Küste stranden."'") Daß die Erklärung, die er in einer sol¬ chen Stimmung macht, nicht gerade sehr feurig ausfällt, läßt sich denken. Er fordert das arme Mädchen, welches von seinem Gefühl überwältigt ist, auf, sich die Sache kaltblütig zu überlegen, und hat keine Freude an dem Erfolg.— So ist es denn begreiflich, daß in dem zweiten Theil des Drama's der Gedanke an Adriane, welche mittlerweile gestorben ist, ihm nur noch wie ein Traum er¬ scheint. Trotz dem schätzt er sie jetzt mehr als früher, und malt ihre Tugenden einer zweiten Dame, Helene, um die er sich gegenwärtig bewirbt, in sehr glän¬ zenden Farben ans, so daß Helene in Furcht und Zittern darüber ist, ob sie einen solchen Engel auch wird ersetzen können. Er beruhigt sie darüber, und sie ergiebt sich ihm. Kaum ist sie abgetreten, so spricht er zu sich selbst: „So habe ich eine halbe Nacht verschwendet. War sie wohl angewandt? Ich weiß nicht; wenigstens erfolgreich. Es liegt doch in solcher Weiberliebe wenig schmeichelhaftes." Diesen Gedanken führt er noch weiter ans, und da¬ zwischen fällt ihm ein, daß er einen Verräther zu bestrafen hat. Er läßt also einen Galgen ausrichten, um ihn daran zu hängen. — Schon aus dieser Scene kann mau ungefähr die Stimmung errathen, in welcher der ganze zweite Theil des Stücks gehalten ist. Es ist genan die Stimmung des zweiten Theils von Macbeth; aber hier wird sie durch die vorhergehende That mit Nothwendigkeit vorbereitet, während bei Artevelde anch eben so gut eine andere Gemüthsrichtung hätte ein¬ treten können. — Es trifft ihn Unheil über Unheil. Zum Theil ist sein Verhältniß zu Helene daran Schuld, welche früher, wie in einem Zwischenstück weiter ausge- führt wird, die Geliebte des Herzogs von Bourbon gewesen war. Es entfremdet ihm seine treuesten Anhängers namentlich einen wackern Priester, der als sein Hauptagent bei den fremden Mächten auftritt. Er fühlt sich auch diesen Vor¬ würfen gegenüber nicht ganz sicher, und weiß ihnen nichts Anderes entgegenzusetzen, als die Betrachtung, daß es doch ziemlich einerlei ist, was man thut. Diese »)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/449>, abgerufen am 23.07.2024.