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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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die Uebereinstimmung des musikalischen Ausdrucks mit dem Text zu erklären, ist
dieses Urtheil vollkommen berechtigt, denn es ist auch ein wesentliches Moment,
durch welches das technische Urtheil ergänzt wird. Aber dabei bleibt es in der
Regel nicht stehen. Wenn mau gefunden hat, daß der musikalische Ausdruck un¬
gefähr den Worten des Liedes oder der Action in der Oper angemessen ist, und
wenn man noch dazu dem Text selbst seinen Beifall schenken kann, so glaubt man
damit ein vollständiges Urtheil über die Musik ausgesprochen zu haben, wozu
denn doch noch sehr viel fehlt. Schwieriger ist es schon mit der reinen Orchester-
Musik, die gerade in Deutschland sehr ausgebildet und in gewissem Sinu fashivncibler
ist, als die Oper. Hier läßt man sich bei den Tönen eines Meisters, dessen
"nihil'alischer Werth bereits hinlänglich constatirt ist, allerlei einfallen, und glaubt
durch die Combination dieser Einfälle eine vollständige Uebersetzung der Musik in
Poesie vollzogen zu haben.

So wunderlich es mitunter auch aussieht, wenn man Beethoven bei irgend
einer beliebige" Symphonie einen Gedanken- oder Vorstellungskreis unterschiebt,
welcher der Musik vollkommen fern liegt, so ist es doch so lange ein unschuldiges
Spiel, als es sich innerhalb der Grenzen des reinen Dilettantismus bewegt. Aber
ganz, wie es mit der Kanucgießerei in politischen Dingen der Fall ist, üben diese
Einfälle, wenn sie mit einer gewissen Ueberzeugung auftrete", ihre Einwirkung
"uerst auf das Publicum, dann auf die handelnden Actenrs. Die Staatsmänner
sangen an, mit den Zeitungen um die Wette zu kannegießern, und die Componisten
und ausübenden Musiker fühlen sich berufen, in schöngeistigen Dilettantismus
ihre Kritiker zu überbieten. Das ist in unsren Tagen mehr als je der Fall,
"ut wir haben bereits bei einem sehr begabten Tonkünstler, bei Richard Wagner,
den Versuch gemacht, diesen knnstphilosophischcn Dilettantismus zurückzuweisen.
Wciguer steht aber uicht allein. Er hat eine ziemlich ausgebreitete Schule gcwou-
Uen, die für seine Doctrinen Propaganda macht, und was ihr an Geist fehlt,
d"res derbe und kräftige Schlagworte zu ersetzen sucht. Der Sammelplatz dieser
Schule ist die hier erscheinende "Neue Zeitschrift für Musik", und der Redacteur
derselben, Herr Franz Brendel, hat in der so ebeu erschienenen "Geschichte der
Musik" uns ein so vollständiges Bild von dem phrasenhaften Dilettantismus ge¬
lben, der in dieser Schule überhaupt Sitte ist, daß wir in diesem Sinn die
Musiker darauf aufmerksam machen müssen.

Eine im "Literarischen Centralblatt" erschienene Kritik dieses Buches erleich¬
tert uus die Mühe. Es wird in derselben nachgewiesen, daß an eine historische
Forschung nicht zu denken ist, weil die Kenntniß des Verfassers sich nicht einmal
"uf den bekannten und allgemein zugänglichen Kreis von Musikalien ausdehnt,
Und eben so wenig an eine geschickte und brauchbare Kompilation, weil die
'uusikalische und allgemeine Bildung des Verfassers ub.-br so weit reicht, um
benutzten Hilfsmittel zu verstehen. Es ist zu dieser Recension eigentlich nichts


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die Uebereinstimmung des musikalischen Ausdrucks mit dem Text zu erklären, ist
dieses Urtheil vollkommen berechtigt, denn es ist auch ein wesentliches Moment,
durch welches das technische Urtheil ergänzt wird. Aber dabei bleibt es in der
Regel nicht stehen. Wenn mau gefunden hat, daß der musikalische Ausdruck un¬
gefähr den Worten des Liedes oder der Action in der Oper angemessen ist, und
wenn man noch dazu dem Text selbst seinen Beifall schenken kann, so glaubt man
damit ein vollständiges Urtheil über die Musik ausgesprochen zu haben, wozu
denn doch noch sehr viel fehlt. Schwieriger ist es schon mit der reinen Orchester-
Musik, die gerade in Deutschland sehr ausgebildet und in gewissem Sinu fashivncibler
ist, als die Oper. Hier läßt man sich bei den Tönen eines Meisters, dessen
»nihil'alischer Werth bereits hinlänglich constatirt ist, allerlei einfallen, und glaubt
durch die Combination dieser Einfälle eine vollständige Uebersetzung der Musik in
Poesie vollzogen zu haben.

So wunderlich es mitunter auch aussieht, wenn man Beethoven bei irgend
einer beliebige» Symphonie einen Gedanken- oder Vorstellungskreis unterschiebt,
welcher der Musik vollkommen fern liegt, so ist es doch so lange ein unschuldiges
Spiel, als es sich innerhalb der Grenzen des reinen Dilettantismus bewegt. Aber
ganz, wie es mit der Kanucgießerei in politischen Dingen der Fall ist, üben diese
Einfälle, wenn sie mit einer gewissen Ueberzeugung auftrete», ihre Einwirkung
»uerst auf das Publicum, dann auf die handelnden Actenrs. Die Staatsmänner
sangen an, mit den Zeitungen um die Wette zu kannegießern, und die Componisten
und ausübenden Musiker fühlen sich berufen, in schöngeistigen Dilettantismus
ihre Kritiker zu überbieten. Das ist in unsren Tagen mehr als je der Fall,
»ut wir haben bereits bei einem sehr begabten Tonkünstler, bei Richard Wagner,
den Versuch gemacht, diesen knnstphilosophischcn Dilettantismus zurückzuweisen.
Wciguer steht aber uicht allein. Er hat eine ziemlich ausgebreitete Schule gcwou-
Uen, die für seine Doctrinen Propaganda macht, und was ihr an Geist fehlt,
d"res derbe und kräftige Schlagworte zu ersetzen sucht. Der Sammelplatz dieser
Schule ist die hier erscheinende „Neue Zeitschrift für Musik", und der Redacteur
derselben, Herr Franz Brendel, hat in der so ebeu erschienenen „Geschichte der
Musik" uns ein so vollständiges Bild von dem phrasenhaften Dilettantismus ge¬
lben, der in dieser Schule überhaupt Sitte ist, daß wir in diesem Sinn die
Musiker darauf aufmerksam machen müssen.

Eine im „Literarischen Centralblatt" erschienene Kritik dieses Buches erleich¬
tert uus die Mühe. Es wird in derselben nachgewiesen, daß an eine historische
Forschung nicht zu denken ist, weil die Kenntniß des Verfassers sich nicht einmal
"uf den bekannten und allgemein zugänglichen Kreis von Musikalien ausdehnt,
Und eben so wenig an eine geschickte und brauchbare Kompilation, weil die
'uusikalische und allgemeine Bildung des Verfassers ub.-br so weit reicht, um
benutzten Hilfsmittel zu verstehen. Es ist zu dieser Recension eigentlich nichts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/303>, abgerufen am 23.07.2024.