Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Laster geworden. Außerdem aber wird dem Einzelnen jede selbstständige Cultur er¬
schwert; es ist ihm oft unmöglich, zu seinem Ackersleck in der Mitte von hundert
anderen zu kommen, außer in der Zeit, wo seine Nachbarn nach altem Brauch
bestellen oder ernten. Schon diese Nachtheile sind so groß, daß ein rationeller
Feldbau und eine höhere Cultur an vielen Stellen verleidet wird.")

Thüringen wäre dnrch seinen fruchtbaren Boden, seine landschaftlichen Reize
und seine gute Lage in der Mitte Deutschlands zu beiden Seiten einer großen
Nölkerstraße ganz geeignet, Kapitalisten und intelligente Landwirthe anderer Ge¬
genden aufzunehmen. Das Einbürgern von solchen Fremden aber ist für jedes
Land ein großes Glück. Denn die Landeskinder werden durch die Verbindung
mit den Eingewanderten ihre provinzielle Beschränktheit los, neue Kenntnisse,
Culturen und fremde Capitalien vermehren die Strebsamkeit, Industrie und Wohl¬
habenheit der Staatsbürger. Kein fremder Capitalist und Landwirth aber, wel¬
cher an cousolidirtcn Grundbesitz gewohnt ist, kann eine Freude darin finden,
Landbau in einer Gegend zu treiben, wo die Hilfe Land so viele Grenzfnrchen
hat, daß sie zusammen vielleicht eine halbe Meile Länge betragen, wo er mit hun¬
dert Grenz-Nachbarn fortwährend Regulirungen, Bcrhaudlungen, Streitigkeiten
durchzumachen hat, wo er kaum noch von seiner Ackerfläche sprechen kann, nnr
von Streifen und Beeten, welche nnr persönlich kennen zu lernen keine geringe
Arbeit ist. Dies ist der Grund, weshalb fremde Intelligenz dem Landbau in
Thüringen noch jetzt verhältnißmäßig so wenig zu Gute kommt.

Noch schlimmer aber ist der Umstand, daß das gemüthliche Gedeihen des
Thüringers bei dieser Zersplitterung des Bodens verkümmert wird.

Die echte männliche Freude deö Landwirths an seinem Grund und Boden
kann bei dieser Methode des Ackerbaues nicht aufkommen. Der Holstciner steht
mit Stolz in der Mitte seiner eingefriedigten Koppel, die märkischen Bauern des Oder-
Bruchs sehen mit trotziger Kraft aus dem Hof ihrer "Loose" aus das wogende Aehren-
>ueer, welches rings um sie seine gelben Wellen schlägt, und beide lassen den Blick
^Ngsam und freudig über Länge und Breite des weiten Feldes schweifen, welches
umgiebt, über ihren eigenen Grund, der so stattlich daliegt, und den ihnen
^'ni Herr und kein Teufel nehmen kann; sie sind in Wahrheit freie Männer, Ko¬
tige im Kleinen, und sie fühlen das. Diesen männlichen Stolz kennt der thü¬
ringische Landwirt!) nicht. Man achte dies Selbstgefühl nicht gering; es ist die
Grundlage vieler schöner Empfindungen und kräftiger That. Wenn wir in vielen



*) As ist zwar gegenwärtig dem Aiuzclncn erlaubt, von der alten Dreifelderwirthschaft
abzuweichen, sein Brachfeld wenigste"!! theilweise zu bestellen; al'er diese theoretische, Freiheit
^'>rd in der Praxis sehr verkümmert, denn die meisten Gemeinden halten noch Schafherden,
^lebe'auf das Brachfeld angewiesen sind, "ub obwol der Hirt verpflichtet ist, das bebaute
^rachfeld zu schonen, so weist doch jeder Landwirth, was eine Gemeindeherde dnrchzuscticn
^ist, wenn sie hungrig ein kleines angebautes Ackerstiick umkreist.

Laster geworden. Außerdem aber wird dem Einzelnen jede selbstständige Cultur er¬
schwert; es ist ihm oft unmöglich, zu seinem Ackersleck in der Mitte von hundert
anderen zu kommen, außer in der Zeit, wo seine Nachbarn nach altem Brauch
bestellen oder ernten. Schon diese Nachtheile sind so groß, daß ein rationeller
Feldbau und eine höhere Cultur an vielen Stellen verleidet wird.")

Thüringen wäre dnrch seinen fruchtbaren Boden, seine landschaftlichen Reize
und seine gute Lage in der Mitte Deutschlands zu beiden Seiten einer großen
Nölkerstraße ganz geeignet, Kapitalisten und intelligente Landwirthe anderer Ge¬
genden aufzunehmen. Das Einbürgern von solchen Fremden aber ist für jedes
Land ein großes Glück. Denn die Landeskinder werden durch die Verbindung
mit den Eingewanderten ihre provinzielle Beschränktheit los, neue Kenntnisse,
Culturen und fremde Capitalien vermehren die Strebsamkeit, Industrie und Wohl¬
habenheit der Staatsbürger. Kein fremder Capitalist und Landwirth aber, wel¬
cher an cousolidirtcn Grundbesitz gewohnt ist, kann eine Freude darin finden,
Landbau in einer Gegend zu treiben, wo die Hilfe Land so viele Grenzfnrchen
hat, daß sie zusammen vielleicht eine halbe Meile Länge betragen, wo er mit hun¬
dert Grenz-Nachbarn fortwährend Regulirungen, Bcrhaudlungen, Streitigkeiten
durchzumachen hat, wo er kaum noch von seiner Ackerfläche sprechen kann, nnr
von Streifen und Beeten, welche nnr persönlich kennen zu lernen keine geringe
Arbeit ist. Dies ist der Grund, weshalb fremde Intelligenz dem Landbau in
Thüringen noch jetzt verhältnißmäßig so wenig zu Gute kommt.

Noch schlimmer aber ist der Umstand, daß das gemüthliche Gedeihen des
Thüringers bei dieser Zersplitterung des Bodens verkümmert wird.

Die echte männliche Freude deö Landwirths an seinem Grund und Boden
kann bei dieser Methode des Ackerbaues nicht aufkommen. Der Holstciner steht
mit Stolz in der Mitte seiner eingefriedigten Koppel, die märkischen Bauern des Oder-
Bruchs sehen mit trotziger Kraft aus dem Hof ihrer „Loose" aus das wogende Aehren-
>ueer, welches rings um sie seine gelben Wellen schlägt, und beide lassen den Blick
^Ngsam und freudig über Länge und Breite des weiten Feldes schweifen, welches
umgiebt, über ihren eigenen Grund, der so stattlich daliegt, und den ihnen
^'ni Herr und kein Teufel nehmen kann; sie sind in Wahrheit freie Männer, Ko¬
tige im Kleinen, und sie fühlen das. Diesen männlichen Stolz kennt der thü¬
ringische Landwirt!) nicht. Man achte dies Selbstgefühl nicht gering; es ist die
Grundlage vieler schöner Empfindungen und kräftiger That. Wenn wir in vielen



*) As ist zwar gegenwärtig dem Aiuzclncn erlaubt, von der alten Dreifelderwirthschaft
abzuweichen, sein Brachfeld wenigste»!! theilweise zu bestellen; al'er diese theoretische, Freiheit
^'>rd in der Praxis sehr verkümmert, denn die meisten Gemeinden halten noch Schafherden,
^lebe'auf das Brachfeld angewiesen sind, »ub obwol der Hirt verpflichtet ist, das bebaute
^rachfeld zu schonen, so weist doch jeder Landwirth, was eine Gemeindeherde dnrchzuscticn
^ist, wenn sie hungrig ein kleines angebautes Ackerstiick umkreist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280906"/>
          <p xml:id="ID_867" prev="#ID_866"> Laster geworden. Außerdem aber wird dem Einzelnen jede selbstständige Cultur er¬<lb/>
schwert; es ist ihm oft unmöglich, zu seinem Ackersleck in der Mitte von hundert<lb/>
anderen zu kommen, außer in der Zeit, wo seine Nachbarn nach altem Brauch<lb/>
bestellen oder ernten. Schon diese Nachtheile sind so groß, daß ein rationeller<lb/>
Feldbau und eine höhere Cultur an vielen Stellen verleidet wird.")</p><lb/>
          <p xml:id="ID_868"> Thüringen wäre dnrch seinen fruchtbaren Boden, seine landschaftlichen Reize<lb/>
und seine gute Lage in der Mitte Deutschlands zu beiden Seiten einer großen<lb/>
Nölkerstraße ganz geeignet, Kapitalisten und intelligente Landwirthe anderer Ge¬<lb/>
genden aufzunehmen. Das Einbürgern von solchen Fremden aber ist für jedes<lb/>
Land ein großes Glück. Denn die Landeskinder werden durch die Verbindung<lb/>
mit den Eingewanderten ihre provinzielle Beschränktheit los, neue Kenntnisse,<lb/>
Culturen und fremde Capitalien vermehren die Strebsamkeit, Industrie und Wohl¬<lb/>
habenheit der Staatsbürger. Kein fremder Capitalist und Landwirth aber, wel¬<lb/>
cher an cousolidirtcn Grundbesitz gewohnt ist, kann eine Freude darin finden,<lb/>
Landbau in einer Gegend zu treiben, wo die Hilfe Land so viele Grenzfnrchen<lb/>
hat, daß sie zusammen vielleicht eine halbe Meile Länge betragen, wo er mit hun¬<lb/>
dert Grenz-Nachbarn fortwährend Regulirungen, Bcrhaudlungen, Streitigkeiten<lb/>
durchzumachen hat, wo er kaum noch von seiner Ackerfläche sprechen kann, nnr<lb/>
von Streifen und Beeten, welche nnr persönlich kennen zu lernen keine geringe<lb/>
Arbeit ist. Dies ist der Grund, weshalb fremde Intelligenz dem Landbau in<lb/>
Thüringen noch jetzt verhältnißmäßig so wenig zu Gute kommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_869"> Noch schlimmer aber ist der Umstand, daß das gemüthliche Gedeihen des<lb/>
Thüringers bei dieser Zersplitterung des Bodens verkümmert wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_870" next="#ID_871"> Die echte männliche Freude deö Landwirths an seinem Grund und Boden<lb/>
kann bei dieser Methode des Ackerbaues nicht aufkommen. Der Holstciner steht<lb/>
mit Stolz in der Mitte seiner eingefriedigten Koppel, die märkischen Bauern des Oder-<lb/>
Bruchs sehen mit trotziger Kraft aus dem Hof ihrer &#x201E;Loose" aus das wogende Aehren-<lb/>
&gt;ueer, welches rings um sie seine gelben Wellen schlägt, und beide lassen den Blick<lb/>
^Ngsam und freudig über Länge und Breite des weiten Feldes schweifen, welches<lb/>
umgiebt, über ihren eigenen Grund, der so stattlich daliegt, und den ihnen<lb/>
^'ni Herr und kein Teufel nehmen kann; sie sind in Wahrheit freie Männer, Ko¬<lb/>
tige im Kleinen, und sie fühlen das. Diesen männlichen Stolz kennt der thü¬<lb/>
ringische Landwirt!) nicht. Man achte dies Selbstgefühl nicht gering; es ist die<lb/>
Grundlage vieler schöner Empfindungen und kräftiger That.  Wenn wir in vielen</p><lb/>
          <note xml:id="FID_18" place="foot"> *) As ist zwar gegenwärtig dem Aiuzclncn erlaubt, von der alten Dreifelderwirthschaft<lb/>
abzuweichen, sein Brachfeld wenigste»!! theilweise zu bestellen; al'er diese theoretische, Freiheit<lb/>
^'&gt;rd in der Praxis sehr verkümmert, denn die meisten Gemeinden halten noch Schafherden,<lb/>
^lebe'auf das Brachfeld angewiesen sind, »ub obwol der Hirt verpflichtet ist, das bebaute<lb/>
^rachfeld zu schonen, so weist doch jeder Landwirth, was eine Gemeindeherde dnrchzuscticn<lb/>
^ist, wenn sie hungrig ein kleines angebautes Ackerstiick umkreist.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0289] Laster geworden. Außerdem aber wird dem Einzelnen jede selbstständige Cultur er¬ schwert; es ist ihm oft unmöglich, zu seinem Ackersleck in der Mitte von hundert anderen zu kommen, außer in der Zeit, wo seine Nachbarn nach altem Brauch bestellen oder ernten. Schon diese Nachtheile sind so groß, daß ein rationeller Feldbau und eine höhere Cultur an vielen Stellen verleidet wird.") Thüringen wäre dnrch seinen fruchtbaren Boden, seine landschaftlichen Reize und seine gute Lage in der Mitte Deutschlands zu beiden Seiten einer großen Nölkerstraße ganz geeignet, Kapitalisten und intelligente Landwirthe anderer Ge¬ genden aufzunehmen. Das Einbürgern von solchen Fremden aber ist für jedes Land ein großes Glück. Denn die Landeskinder werden durch die Verbindung mit den Eingewanderten ihre provinzielle Beschränktheit los, neue Kenntnisse, Culturen und fremde Capitalien vermehren die Strebsamkeit, Industrie und Wohl¬ habenheit der Staatsbürger. Kein fremder Capitalist und Landwirth aber, wel¬ cher an cousolidirtcn Grundbesitz gewohnt ist, kann eine Freude darin finden, Landbau in einer Gegend zu treiben, wo die Hilfe Land so viele Grenzfnrchen hat, daß sie zusammen vielleicht eine halbe Meile Länge betragen, wo er mit hun¬ dert Grenz-Nachbarn fortwährend Regulirungen, Bcrhaudlungen, Streitigkeiten durchzumachen hat, wo er kaum noch von seiner Ackerfläche sprechen kann, nnr von Streifen und Beeten, welche nnr persönlich kennen zu lernen keine geringe Arbeit ist. Dies ist der Grund, weshalb fremde Intelligenz dem Landbau in Thüringen noch jetzt verhältnißmäßig so wenig zu Gute kommt. Noch schlimmer aber ist der Umstand, daß das gemüthliche Gedeihen des Thüringers bei dieser Zersplitterung des Bodens verkümmert wird. Die echte männliche Freude deö Landwirths an seinem Grund und Boden kann bei dieser Methode des Ackerbaues nicht aufkommen. Der Holstciner steht mit Stolz in der Mitte seiner eingefriedigten Koppel, die märkischen Bauern des Oder- Bruchs sehen mit trotziger Kraft aus dem Hof ihrer „Loose" aus das wogende Aehren- >ueer, welches rings um sie seine gelben Wellen schlägt, und beide lassen den Blick ^Ngsam und freudig über Länge und Breite des weiten Feldes schweifen, welches umgiebt, über ihren eigenen Grund, der so stattlich daliegt, und den ihnen ^'ni Herr und kein Teufel nehmen kann; sie sind in Wahrheit freie Männer, Ko¬ tige im Kleinen, und sie fühlen das. Diesen männlichen Stolz kennt der thü¬ ringische Landwirt!) nicht. Man achte dies Selbstgefühl nicht gering; es ist die Grundlage vieler schöner Empfindungen und kräftiger That. Wenn wir in vielen *) As ist zwar gegenwärtig dem Aiuzclncn erlaubt, von der alten Dreifelderwirthschaft abzuweichen, sein Brachfeld wenigste»!! theilweise zu bestellen; al'er diese theoretische, Freiheit ^'>rd in der Praxis sehr verkümmert, denn die meisten Gemeinden halten noch Schafherden, ^lebe'auf das Brachfeld angewiesen sind, »ub obwol der Hirt verpflichtet ist, das bebaute ^rachfeld zu schonen, so weist doch jeder Landwirth, was eine Gemeindeherde dnrchzuscticn ^ist, wenn sie hungrig ein kleines angebautes Ackerstiick umkreist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/289
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/289>, abgerufen am 23.07.2024.