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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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gearbeitete", sechsarmigen Leuchter des Allerheiligsten entzünden. Im oblongen
Schlußseite sitzt der Prophet Esra, in den heiligen Schriften blätternd. Nach
Beendigung der Babylonischen Gefangenschaft befestigte Esra mit Nehemia den
unter Ä'erxeS neubegründete" jüdischen Staat, ließ Jerusalem wieder herstellen,
und zeichnete alle bei der persischen Eroberung dieser Stadt verloren gegangenen
Schriften deS alten Testamentes wieder auf. Anderen Berichten zufolge soll er
in Gemeinschaft mit der, großen Synagoge den Kanon des alten Testaments un¬
ter entscheidende Regeln, was urjüdische Religiouswahrheit sei, gesammelt haben.
Die Darstellungen dieses Masters geben eine culturgeschichtliche Ergänzung zu
dem Hauptbilde der Zerstörung von Jerusalem, wie der Inhalt des griechischen
Masters den des zweiten Hauptbildes ergänzen wird. Kaulbach sieht in der
Darstellung deö Griechenthums, zu dessen reichster Entfaltung er im nächsten
Sommer gelangt, seine Lieblings-Aufgabe, und in der That entspricht nichts in
höherem Grade dem Wesen seiner Kunst, als die plastische Schönheit griechischer
Gestalten, überhaupt reiner, anmuthiger Menschlichkeit.

Den malerischen Schmuck der ersten Langseite beschließt endlich der römische
Master. Im obern Oblong liegt Saturnus, als die Zeit mit der Sichel dar¬
gestellt, und ist im Anschauen eines Menschenopfers versunken, das ihm nach
altitalischem Brauche dargebracht wird. -- Darunter steht hoch emporgerichtet die
.luno euritis, die speertragcnde Juno, eine ganz in faltenreiches Gewand ge¬
hüllte, hoheitvolle Gestalt, in jeder Hand einen langen Speer. Die Gänse des
Capitols rufen vou den Ranken der Arabeske zu ihr auf; am Fuße derselben
lodert das Feuer der Cybele aus einem Opferbecken, neben welchem Mars und
Venus ruhen. Wie anders als die griechische Welt beginnt also das kriegerische
Zeitalter der Römer! Im obern Medaillon: Jupiter, ein herrlicher Kopf,
von dessen stark gewölbter und scharf gezeichneter hoher Stirn die Macht des
Geistes strahlt, dessen Züge, Haar und Bart die Vollkraft der Männlichkrit ver¬
rathen. Im zweiten Arabeskenfelde sitzt die düster blickende Tellus- Auf ihrem
Schooße halt sie deu Erdkreis, auf dem wir die Worte s)rdis romanus lesen,
ihre Füße ruhen aus Garbenbuudeln. Unter diesem Sinnbild der von ihr aus¬
gehenden Fruchtbarkeit sind die Masken des Todtenreiches angebracht, denn Tellus
bezeichnete bei den Römern auch die Unterwelt, wo die Samenkörner Leben ge¬
winnen, die Wurzeln treiben und die abgeschiedenen Seele" in das Schatten¬
reich wandeln. Der Genius in der Nische trägt die sibyllinischen Bücher-
Das untere Medaillon umschließt das Bildniß des Rom" Ins, ein strenges, fin¬
ster dräuendes Kriegerhaupt mit kräftig gebogener Nase und trotzig aufgeworfe¬
nen Lippen. Der Sohn der Wölfin ist der Repräsentant des allverschlingenden
Römerthums. Ein Wolfsmaul bildet den Kopf seines mit dem römischen Feder-
kamm geschmückten Heims. In dem Arabeskenfelde darüber liegt Numa, der
zweite römische König, auf den Knien und opfert den Göttern, indem er zwei


gearbeitete», sechsarmigen Leuchter des Allerheiligsten entzünden. Im oblongen
Schlußseite sitzt der Prophet Esra, in den heiligen Schriften blätternd. Nach
Beendigung der Babylonischen Gefangenschaft befestigte Esra mit Nehemia den
unter Ä'erxeS neubegründete» jüdischen Staat, ließ Jerusalem wieder herstellen,
und zeichnete alle bei der persischen Eroberung dieser Stadt verloren gegangenen
Schriften deS alten Testamentes wieder auf. Anderen Berichten zufolge soll er
in Gemeinschaft mit der, großen Synagoge den Kanon des alten Testaments un¬
ter entscheidende Regeln, was urjüdische Religiouswahrheit sei, gesammelt haben.
Die Darstellungen dieses Masters geben eine culturgeschichtliche Ergänzung zu
dem Hauptbilde der Zerstörung von Jerusalem, wie der Inhalt des griechischen
Masters den des zweiten Hauptbildes ergänzen wird. Kaulbach sieht in der
Darstellung deö Griechenthums, zu dessen reichster Entfaltung er im nächsten
Sommer gelangt, seine Lieblings-Aufgabe, und in der That entspricht nichts in
höherem Grade dem Wesen seiner Kunst, als die plastische Schönheit griechischer
Gestalten, überhaupt reiner, anmuthiger Menschlichkeit.

Den malerischen Schmuck der ersten Langseite beschließt endlich der römische
Master. Im obern Oblong liegt Saturnus, als die Zeit mit der Sichel dar¬
gestellt, und ist im Anschauen eines Menschenopfers versunken, das ihm nach
altitalischem Brauche dargebracht wird. — Darunter steht hoch emporgerichtet die
.luno euritis, die speertragcnde Juno, eine ganz in faltenreiches Gewand ge¬
hüllte, hoheitvolle Gestalt, in jeder Hand einen langen Speer. Die Gänse des
Capitols rufen vou den Ranken der Arabeske zu ihr auf; am Fuße derselben
lodert das Feuer der Cybele aus einem Opferbecken, neben welchem Mars und
Venus ruhen. Wie anders als die griechische Welt beginnt also das kriegerische
Zeitalter der Römer! Im obern Medaillon: Jupiter, ein herrlicher Kopf,
von dessen stark gewölbter und scharf gezeichneter hoher Stirn die Macht des
Geistes strahlt, dessen Züge, Haar und Bart die Vollkraft der Männlichkrit ver¬
rathen. Im zweiten Arabeskenfelde sitzt die düster blickende Tellus- Auf ihrem
Schooße halt sie deu Erdkreis, auf dem wir die Worte s)rdis romanus lesen,
ihre Füße ruhen aus Garbenbuudeln. Unter diesem Sinnbild der von ihr aus¬
gehenden Fruchtbarkeit sind die Masken des Todtenreiches angebracht, denn Tellus
bezeichnete bei den Römern auch die Unterwelt, wo die Samenkörner Leben ge¬
winnen, die Wurzeln treiben und die abgeschiedenen Seele» in das Schatten¬
reich wandeln. Der Genius in der Nische trägt die sibyllinischen Bücher-
Das untere Medaillon umschließt das Bildniß des Rom» Ins, ein strenges, fin¬
ster dräuendes Kriegerhaupt mit kräftig gebogener Nase und trotzig aufgeworfe¬
nen Lippen. Der Sohn der Wölfin ist der Repräsentant des allverschlingenden
Römerthums. Ein Wolfsmaul bildet den Kopf seines mit dem römischen Feder-
kamm geschmückten Heims. In dem Arabeskenfelde darüber liegt Numa, der
zweite römische König, auf den Knien und opfert den Göttern, indem er zwei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/222>, abgerufen am 23.07.2024.