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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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t'gsten Schriften des besondern Stammes lesen, welchem der Pilaster gewidmet
ist. Unter der Nische wiederholt sich in entgegengesetzter Folge die obere Anord¬
nung: zwei Arabeskenfelder, mit dem Medaillon in der Mitte, und schließlich das
olbonge Feld. Einige der Pilaster sind bereits vollendet, die übrigen harren als
Cartons der malerischen Ausführung. Die ersten beiden, rechts und links am
Saume des Thurmbaues zu Babel, send der indischen und persischen Cultur ge¬
widmet; der dritte und vierte, rechts und links vom singenden Homer, der ägyp¬
tischen und griechischen Cultur; der fünfte und sechste, rechts und links von der
Zerstörung Jerusalems, der jüdischen und römischen Cultur. Zwischen dem
Zweiten und dritten, dem vierten und fünften liegen die beiden eben geschilderten
Pfeiler.

In dem obern Oblong des indischen Masters ruht Wischnu Narajena,
der das Wasser bewegende Geist, auf dem Körper der Weltschlange Abiseschen,
deren fünffacher Kops durch die Wölbung des Halses über seinem Haupte steht.
Wischn", ein träumender Jüngling, denkt über die Erschaffung der Welt nach.
Er ist der Anfang und das Ende aller Dinge, und in seinem Schooße ruht
das Weltall. Aus seinem Nabel sehen wir die Lotosblume erwachsen, in deren
Kelche die Schöpferkraft, Brahma, enthalten ist. Das obere Medaillon zeigt uns
das vierköpfige Haupt des Brahma, und in dem Arabeskenfelde darüber steht
auf einem candelaberartigen Untersatz die indische Venus: Lokschmie, die Mutter
der Erde, mit zwei brennenden Fackeln. Am Fuße des Arabeskenstammes, dessen
Eandelaberform sich auf den meisten Mahlern wiederholt, die Pfauen der Göttin
und ein mit Blumen gefülltes Opferbecken, auf dem ihr die schönsten Kinder der
Erde duften. In dem Arabeskeufelde, welches unter dem obern Medaillon sich
bis zur mittlern Architektur erstreckt, wird die von Brahma geschaffene Welt
l^um) in Kugelgestalt von den vier Elephanten getragen. Die Blumenkelche
der Arabeske ergießen ihre Samenkörner befruchtend aus die neue Schöpfung.
Der Genius in der Nische entfaltet die Veda's, und gleich darunter thront auf
einem von Arabesken umspielten Kandelaber mit verschränkten Beinen der gött¬
liche Gesetzgeber Manu, dessen zwölf Bücher neben den Veda's die wichtigste
Quelle für die Kenntniß des indischen Cultus bilden. In jeder Hand hält er
^ne Papyrusrolle, und streckt sie einem der Menschenkinder entgegen, welche rechts
. u"d links an den Arabeskenranken zu ihm emporklettern, um die Gabe zu em¬
pfangen. Aus jeder Seite hebt sich mit drollig aufgestemmten Händen ein zweites
Menschenkind ans dem Kelche der schöpferischen Lotosblume, dem ersten nachzu¬
streben/ Im untern Medaillon befindet sich der Kopf des indischen Königs Park¬
schi t oder Parikschitu, mit dessen Regierung (3101 vor Christi Geburt!) das
Kali-Dschug, das vierte Weltalter, begann. Nach dem Glauben der Inder dauert
^ noch heute fort, aber sein Untergang wird erwartet. Der König ist in indi¬
scher Kriegertracht dargestellt, und unter ihm wird von der Arabeske eine Krieger-


t'gsten Schriften des besondern Stammes lesen, welchem der Pilaster gewidmet
ist. Unter der Nische wiederholt sich in entgegengesetzter Folge die obere Anord¬
nung: zwei Arabeskenfelder, mit dem Medaillon in der Mitte, und schließlich das
olbonge Feld. Einige der Pilaster sind bereits vollendet, die übrigen harren als
Cartons der malerischen Ausführung. Die ersten beiden, rechts und links am
Saume des Thurmbaues zu Babel, send der indischen und persischen Cultur ge¬
widmet; der dritte und vierte, rechts und links vom singenden Homer, der ägyp¬
tischen und griechischen Cultur; der fünfte und sechste, rechts und links von der
Zerstörung Jerusalems, der jüdischen und römischen Cultur. Zwischen dem
Zweiten und dritten, dem vierten und fünften liegen die beiden eben geschilderten
Pfeiler.

In dem obern Oblong des indischen Masters ruht Wischnu Narajena,
der das Wasser bewegende Geist, auf dem Körper der Weltschlange Abiseschen,
deren fünffacher Kops durch die Wölbung des Halses über seinem Haupte steht.
Wischn», ein träumender Jüngling, denkt über die Erschaffung der Welt nach.
Er ist der Anfang und das Ende aller Dinge, und in seinem Schooße ruht
das Weltall. Aus seinem Nabel sehen wir die Lotosblume erwachsen, in deren
Kelche die Schöpferkraft, Brahma, enthalten ist. Das obere Medaillon zeigt uns
das vierköpfige Haupt des Brahma, und in dem Arabeskenfelde darüber steht
auf einem candelaberartigen Untersatz die indische Venus: Lokschmie, die Mutter
der Erde, mit zwei brennenden Fackeln. Am Fuße des Arabeskenstammes, dessen
Eandelaberform sich auf den meisten Mahlern wiederholt, die Pfauen der Göttin
und ein mit Blumen gefülltes Opferbecken, auf dem ihr die schönsten Kinder der
Erde duften. In dem Arabeskeufelde, welches unter dem obern Medaillon sich
bis zur mittlern Architektur erstreckt, wird die von Brahma geschaffene Welt
l^um) in Kugelgestalt von den vier Elephanten getragen. Die Blumenkelche
der Arabeske ergießen ihre Samenkörner befruchtend aus die neue Schöpfung.
Der Genius in der Nische entfaltet die Veda's, und gleich darunter thront auf
einem von Arabesken umspielten Kandelaber mit verschränkten Beinen der gött¬
liche Gesetzgeber Manu, dessen zwölf Bücher neben den Veda's die wichtigste
Quelle für die Kenntniß des indischen Cultus bilden. In jeder Hand hält er
^ne Papyrusrolle, und streckt sie einem der Menschenkinder entgegen, welche rechts
. u«d links an den Arabeskenranken zu ihm emporklettern, um die Gabe zu em¬
pfangen. Aus jeder Seite hebt sich mit drollig aufgestemmten Händen ein zweites
Menschenkind ans dem Kelche der schöpferischen Lotosblume, dem ersten nachzu¬
streben/ Im untern Medaillon befindet sich der Kopf des indischen Königs Park¬
schi t oder Parikschitu, mit dessen Regierung (3101 vor Christi Geburt!) das
Kali-Dschug, das vierte Weltalter, begann. Nach dem Glauben der Inder dauert
^ noch heute fort, aber sein Untergang wird erwartet. Der König ist in indi¬
scher Kriegertracht dargestellt, und unter ihm wird von der Arabeske eine Krieger-


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[0217] t'gsten Schriften des besondern Stammes lesen, welchem der Pilaster gewidmet ist. Unter der Nische wiederholt sich in entgegengesetzter Folge die obere Anord¬ nung: zwei Arabeskenfelder, mit dem Medaillon in der Mitte, und schließlich das olbonge Feld. Einige der Pilaster sind bereits vollendet, die übrigen harren als Cartons der malerischen Ausführung. Die ersten beiden, rechts und links am Saume des Thurmbaues zu Babel, send der indischen und persischen Cultur ge¬ widmet; der dritte und vierte, rechts und links vom singenden Homer, der ägyp¬ tischen und griechischen Cultur; der fünfte und sechste, rechts und links von der Zerstörung Jerusalems, der jüdischen und römischen Cultur. Zwischen dem Zweiten und dritten, dem vierten und fünften liegen die beiden eben geschilderten Pfeiler. In dem obern Oblong des indischen Masters ruht Wischnu Narajena, der das Wasser bewegende Geist, auf dem Körper der Weltschlange Abiseschen, deren fünffacher Kops durch die Wölbung des Halses über seinem Haupte steht. Wischn», ein träumender Jüngling, denkt über die Erschaffung der Welt nach. Er ist der Anfang und das Ende aller Dinge, und in seinem Schooße ruht das Weltall. Aus seinem Nabel sehen wir die Lotosblume erwachsen, in deren Kelche die Schöpferkraft, Brahma, enthalten ist. Das obere Medaillon zeigt uns das vierköpfige Haupt des Brahma, und in dem Arabeskenfelde darüber steht auf einem candelaberartigen Untersatz die indische Venus: Lokschmie, die Mutter der Erde, mit zwei brennenden Fackeln. Am Fuße des Arabeskenstammes, dessen Eandelaberform sich auf den meisten Mahlern wiederholt, die Pfauen der Göttin und ein mit Blumen gefülltes Opferbecken, auf dem ihr die schönsten Kinder der Erde duften. In dem Arabeskeufelde, welches unter dem obern Medaillon sich bis zur mittlern Architektur erstreckt, wird die von Brahma geschaffene Welt l^um) in Kugelgestalt von den vier Elephanten getragen. Die Blumenkelche der Arabeske ergießen ihre Samenkörner befruchtend aus die neue Schöpfung. Der Genius in der Nische entfaltet die Veda's, und gleich darunter thront auf einem von Arabesken umspielten Kandelaber mit verschränkten Beinen der gött¬ liche Gesetzgeber Manu, dessen zwölf Bücher neben den Veda's die wichtigste Quelle für die Kenntniß des indischen Cultus bilden. In jeder Hand hält er ^ne Papyrusrolle, und streckt sie einem der Menschenkinder entgegen, welche rechts . u«d links an den Arabeskenranken zu ihm emporklettern, um die Gabe zu em¬ pfangen. Aus jeder Seite hebt sich mit drollig aufgestemmten Händen ein zweites Menschenkind ans dem Kelche der schöpferischen Lotosblume, dem ersten nachzu¬ streben/ Im untern Medaillon befindet sich der Kopf des indischen Königs Park¬ schi t oder Parikschitu, mit dessen Regierung (3101 vor Christi Geburt!) das Kali-Dschug, das vierte Weltalter, begann. Nach dem Glauben der Inder dauert ^ noch heute fort, aber sein Untergang wird erwartet. Der König ist in indi¬ scher Kriegertracht dargestellt, und unter ihm wird von der Arabeske eine Krieger-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/217>, abgerufen am 23.07.2024.