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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Uebergewicht dieses einzigen Mannes über ein ganzes, der Abgötterei ergebenes
Volk konnte kaum schöner ausgedrückt werden. -- Solon, dessen Gesetze die
Milde griechischer Bildung athmen, wie die Erscheinung der Venus Urania deren
reinste Schönheit, Solon ist auf einer Steinbank 'sitzend dargestellt, im weißen
Gewände, den rothen Mantel über die auf einander geschlagenen Beine gedeckt. Mit
der Rechte" hält er die Tafeln seiner Gesetzabsassung, die sein prüfender Geist noch
einmal mustert, während die linke Hand mit dem Griffel sich nachdenklich dem
Antlitz genähert hat, und, wie im innern Beifall, unwillkürlich in den Locken
des Bartes spielt. Das Haar zeigt ein Helles Braun, aber die Stirn, der Sitz
des Gedankens, hat einen Theil desselben verdrängt, und ihre Höhe bis über den
halben Kopf hinausgeschoben. Des Haares Kranz hält ein graues Band zusam¬
men. Im Blick des Auges und auf der Stirn ruht der tiefe Ernst des Denkens,
über den edlen Zügen lagert Sauftmuth, und wie eine Ahnung heiterer Zukunft
scheint Befriedigung über das gelungene Werk der Menschlichkeit in ihnen auf-
leuchten zu wollen. Sie sind der Ausdruck vollster Humanität. Ein eherner
Kasten zu Solon's Füßen cuthälr die Gesetztafeln des Drako mit Beil und Strang,
aber des Beiles Stiel ist zerbrochen, der Strang zerrissen. Vou links eilt ein
griechischer Knabe herbei, mit einem Kranze frischer, bunter Blumen und einem
lichtblauen Bande geschmückt. Jugend und Lebenslust treiben ihn, dem nach¬
denkenden Gesetzgeber erwartungsvoll in die Tafeln zu blicken. Wird ihm die
freie Regung der menschlichen Natur gestattet sein? Die Mischung von Neugier
und Aengstlichkeit ist in dem Gesichte dieses Knaben mit seiner Lebendigkeit ausge¬
drückt. Welch' ein charaktervoller Gegensatz aber in dem jüdischen ickd in dein
griechischen Helden der Cultur! In Moses der gewaltige, begeisterte Gesetzgeber,
welcher die Offenbarung Jehovah'S als göttliche Gebote einem sündhaften Volke
zu verkünden hat, , die ausführende Energie, die Hand Gottes; in Solon das
humane Denken, das aus liebevoller Betrachtung der menschlichen Natur daS
befreiende Gesetz erzeugt. -- Der Moses ist von Muhr, der Solon von
Echter, zwei Schülern Kaulbach's, trefflich gemalt; das Grau in Gran
der nun zu betrachtenden Pilasterfriese führt der Berliner Maler Peterssen ans.

In der allgemeinen Eintheilung der kaum über einen Fuß breiten Pilaster
macht sich die architektonische Anordnung noch viel entschiedener geltend als bei
den Hauvtpseilern.' Sie ist, sechsfach wiederkehrend, folgende. Oben beginnt
sie mit einem oblongen Felde, dessen eine Langseite die Basis bildet. Darunter
folgt .eine dreigetheilte Anordnung: zwei lothrecht gestreckte Arabeskenfelder,
welche durch ein kreisrundes Medaillon unterbrochen werden. Hieran schließt sich
das Mittelstück des ganzen Pilasterö, eine nischenartige Architektur, deren Rund¬
bogen von zwei Mahlern getragen wird., In der Nische entfaltet ein an den
Schultern befittigter, unten ganz in Flügelpaare auslaufender Genius eine Rolle,
auf der wir stets den Titel der vorzugsweise heiligen, oder für die Cultur wich-


Uebergewicht dieses einzigen Mannes über ein ganzes, der Abgötterei ergebenes
Volk konnte kaum schöner ausgedrückt werden. — Solon, dessen Gesetze die
Milde griechischer Bildung athmen, wie die Erscheinung der Venus Urania deren
reinste Schönheit, Solon ist auf einer Steinbank 'sitzend dargestellt, im weißen
Gewände, den rothen Mantel über die auf einander geschlagenen Beine gedeckt. Mit
der Rechte» hält er die Tafeln seiner Gesetzabsassung, die sein prüfender Geist noch
einmal mustert, während die linke Hand mit dem Griffel sich nachdenklich dem
Antlitz genähert hat, und, wie im innern Beifall, unwillkürlich in den Locken
des Bartes spielt. Das Haar zeigt ein Helles Braun, aber die Stirn, der Sitz
des Gedankens, hat einen Theil desselben verdrängt, und ihre Höhe bis über den
halben Kopf hinausgeschoben. Des Haares Kranz hält ein graues Band zusam¬
men. Im Blick des Auges und auf der Stirn ruht der tiefe Ernst des Denkens,
über den edlen Zügen lagert Sauftmuth, und wie eine Ahnung heiterer Zukunft
scheint Befriedigung über das gelungene Werk der Menschlichkeit in ihnen auf-
leuchten zu wollen. Sie sind der Ausdruck vollster Humanität. Ein eherner
Kasten zu Solon's Füßen cuthälr die Gesetztafeln des Drako mit Beil und Strang,
aber des Beiles Stiel ist zerbrochen, der Strang zerrissen. Vou links eilt ein
griechischer Knabe herbei, mit einem Kranze frischer, bunter Blumen und einem
lichtblauen Bande geschmückt. Jugend und Lebenslust treiben ihn, dem nach¬
denkenden Gesetzgeber erwartungsvoll in die Tafeln zu blicken. Wird ihm die
freie Regung der menschlichen Natur gestattet sein? Die Mischung von Neugier
und Aengstlichkeit ist in dem Gesichte dieses Knaben mit seiner Lebendigkeit ausge¬
drückt. Welch' ein charaktervoller Gegensatz aber in dem jüdischen ickd in dein
griechischen Helden der Cultur! In Moses der gewaltige, begeisterte Gesetzgeber,
welcher die Offenbarung Jehovah'S als göttliche Gebote einem sündhaften Volke
zu verkünden hat, , die ausführende Energie, die Hand Gottes; in Solon das
humane Denken, das aus liebevoller Betrachtung der menschlichen Natur daS
befreiende Gesetz erzeugt. — Der Moses ist von Muhr, der Solon von
Echter, zwei Schülern Kaulbach's, trefflich gemalt; das Grau in Gran
der nun zu betrachtenden Pilasterfriese führt der Berliner Maler Peterssen ans.

In der allgemeinen Eintheilung der kaum über einen Fuß breiten Pilaster
macht sich die architektonische Anordnung noch viel entschiedener geltend als bei
den Hauvtpseilern.' Sie ist, sechsfach wiederkehrend, folgende. Oben beginnt
sie mit einem oblongen Felde, dessen eine Langseite die Basis bildet. Darunter
folgt .eine dreigetheilte Anordnung: zwei lothrecht gestreckte Arabeskenfelder,
welche durch ein kreisrundes Medaillon unterbrochen werden. Hieran schließt sich
das Mittelstück des ganzen Pilasterö, eine nischenartige Architektur, deren Rund¬
bogen von zwei Mahlern getragen wird., In der Nische entfaltet ein an den
Schultern befittigter, unten ganz in Flügelpaare auslaufender Genius eine Rolle,
auf der wir stets den Titel der vorzugsweise heiligen, oder für die Cultur wich-


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[0216] Uebergewicht dieses einzigen Mannes über ein ganzes, der Abgötterei ergebenes Volk konnte kaum schöner ausgedrückt werden. — Solon, dessen Gesetze die Milde griechischer Bildung athmen, wie die Erscheinung der Venus Urania deren reinste Schönheit, Solon ist auf einer Steinbank 'sitzend dargestellt, im weißen Gewände, den rothen Mantel über die auf einander geschlagenen Beine gedeckt. Mit der Rechte» hält er die Tafeln seiner Gesetzabsassung, die sein prüfender Geist noch einmal mustert, während die linke Hand mit dem Griffel sich nachdenklich dem Antlitz genähert hat, und, wie im innern Beifall, unwillkürlich in den Locken des Bartes spielt. Das Haar zeigt ein Helles Braun, aber die Stirn, der Sitz des Gedankens, hat einen Theil desselben verdrängt, und ihre Höhe bis über den halben Kopf hinausgeschoben. Des Haares Kranz hält ein graues Band zusam¬ men. Im Blick des Auges und auf der Stirn ruht der tiefe Ernst des Denkens, über den edlen Zügen lagert Sauftmuth, und wie eine Ahnung heiterer Zukunft scheint Befriedigung über das gelungene Werk der Menschlichkeit in ihnen auf- leuchten zu wollen. Sie sind der Ausdruck vollster Humanität. Ein eherner Kasten zu Solon's Füßen cuthälr die Gesetztafeln des Drako mit Beil und Strang, aber des Beiles Stiel ist zerbrochen, der Strang zerrissen. Vou links eilt ein griechischer Knabe herbei, mit einem Kranze frischer, bunter Blumen und einem lichtblauen Bande geschmückt. Jugend und Lebenslust treiben ihn, dem nach¬ denkenden Gesetzgeber erwartungsvoll in die Tafeln zu blicken. Wird ihm die freie Regung der menschlichen Natur gestattet sein? Die Mischung von Neugier und Aengstlichkeit ist in dem Gesichte dieses Knaben mit seiner Lebendigkeit ausge¬ drückt. Welch' ein charaktervoller Gegensatz aber in dem jüdischen ickd in dein griechischen Helden der Cultur! In Moses der gewaltige, begeisterte Gesetzgeber, welcher die Offenbarung Jehovah'S als göttliche Gebote einem sündhaften Volke zu verkünden hat, , die ausführende Energie, die Hand Gottes; in Solon das humane Denken, das aus liebevoller Betrachtung der menschlichen Natur daS befreiende Gesetz erzeugt. — Der Moses ist von Muhr, der Solon von Echter, zwei Schülern Kaulbach's, trefflich gemalt; das Grau in Gran der nun zu betrachtenden Pilasterfriese führt der Berliner Maler Peterssen ans. In der allgemeinen Eintheilung der kaum über einen Fuß breiten Pilaster macht sich die architektonische Anordnung noch viel entschiedener geltend als bei den Hauvtpseilern.' Sie ist, sechsfach wiederkehrend, folgende. Oben beginnt sie mit einem oblongen Felde, dessen eine Langseite die Basis bildet. Darunter folgt .eine dreigetheilte Anordnung: zwei lothrecht gestreckte Arabeskenfelder, welche durch ein kreisrundes Medaillon unterbrochen werden. Hieran schließt sich das Mittelstück des ganzen Pilasterö, eine nischenartige Architektur, deren Rund¬ bogen von zwei Mahlern getragen wird., In der Nische entfaltet ein an den Schultern befittigter, unten ganz in Flügelpaare auslaufender Genius eine Rolle, auf der wir stets den Titel der vorzugsweise heiligen, oder für die Cultur wich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/216>, abgerufen am 23.07.2024.