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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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scheu Imperator gegenüber, erblicken wir vereinzelte Reste des geschlagenen jüdi¬
schen Heers. Simon und Johannes von Gischala, die Führer desselben, schauen
voll, grimmigen Trotzes in das wilde Getümmel, das den Sieg des Feindes be¬
gleitet. Gruppen von Sterbenden umgeben sie, aber auch die gottlosen Flüche
und Verwünschungen der Lebenden, welche in ihrer Verblendung die drohenden
Fäuste gegen den Himmel erbeben und Gott anklagen, daß er sein Volk ver¬
lassen habe. In diesen Gestalten gewinnt der Abfall des neuern Geschlechts von
dem alten Glauben der Väter, mit dem gleichzeitig die vom göttlichen Gebot
abhängige und darum in sich selber unselbstständige Sittlichkeit zu Grunde ging,
eine sinnlich malerische Erscheinung.

Weiter zurück wüthet der Brand in den Räumen des Gebäudes, und die
rothe Gluth, welche schaurig um die Säulen und Wände deö Tempels spielt, be¬
leuchtet zahlreiche Scenen der Verzweiflung. Am Fuß einer Säule flüchten zwei
Kinder in den Schooß der Mutier, welche die vor Angst Vergehenden mit ihren
Armen umspannt, als konnten diese schwachen Wälle die geliebten Wesen schützen.
Die Scenen des Jammers setzen sich rechts bis in den Vorgrund und anch nach
links durch den Mittelgrund sort. Einen entsetzlichen Gegensatz zu der zuletzt ge¬
schilderten Gruppe bildet eine andere Mutter, welche ihren Säugling aus dem
Schooße hält und in der Rechten ein Messer. Es ist die Tochter Eleazar's. Die
Leichenblässe anhaltender Entbehrung bedeckt die Züge des noch jugendlichen Wei¬
bes, dessen irrer Sinn zu überlegen scheint, e>b es dem Kinde den Tod geben
soll, ob nicht. Will sie es erlösen von der Qual des Hungers? Will sie ^
gräßlicher Gedanke! Neben ihr kauern andere Weiber, ans deren verzerrten Zü-
gen die Qualen des Hungers spreche", deren eine die Zähne mit wilder Gier in
den eigene" Arm begräbt. Soll die Opferung des Kindes dazu dienen, das Lebe"
Anderer zu fristen? Der Künstler, welcher diese Scene mit richtigem Takte in
das Halbdunkel des Mittelgrundes legte, läßt uns über seine Intention in Zwei¬
fel, Aber wir dürfe" das Entsetzlichste ahnen. Denn im Worte des Prophet"-'"
hat der Herr verkündigt: "Ich werde sie essen lassen das Fleisch ihrer Söhne
und das Fleisch ihrer Tochter in der Belagerung und in der Angst, in welche
ihre Feinde, und die nach ihrem Leben stehen, sie bedrängen werden." -- Rede"
dem Altar schleppt ein römischer Reiter eine händeringende Jungfrau mit sich f^'
Drei andere Jungfrauen drängen sich angstvoll zusammen, als könne ,sie diese
mcinschast der Angst erretten. Ihre Furcht gilt einem lüsternen Barbaren ans
dem feiiidlichcn Heere, der, in zottige Thierfelle gekleidet, über die Stufen des
Altars herabkommt, und in sinnlicher Begierde die Arme uach ihnen ausstreckt-
In einiger Verbindung mit dieser Gestalt steht die Haupt- und Mittelgruppe des
Vorgrundes, zu deren Betrachtung ich nun übergehe: der Hohepriester mit seinem
Weib und seinen beiden Söhnen. Das Interesse der Handlung, deren bewun-
dernswerthe Gliederung ringsumher bald in großen geschichtlichen Zügen, bald in


scheu Imperator gegenüber, erblicken wir vereinzelte Reste des geschlagenen jüdi¬
schen Heers. Simon und Johannes von Gischala, die Führer desselben, schauen
voll, grimmigen Trotzes in das wilde Getümmel, das den Sieg des Feindes be¬
gleitet. Gruppen von Sterbenden umgeben sie, aber auch die gottlosen Flüche
und Verwünschungen der Lebenden, welche in ihrer Verblendung die drohenden
Fäuste gegen den Himmel erbeben und Gott anklagen, daß er sein Volk ver¬
lassen habe. In diesen Gestalten gewinnt der Abfall des neuern Geschlechts von
dem alten Glauben der Väter, mit dem gleichzeitig die vom göttlichen Gebot
abhängige und darum in sich selber unselbstständige Sittlichkeit zu Grunde ging,
eine sinnlich malerische Erscheinung.

Weiter zurück wüthet der Brand in den Räumen des Gebäudes, und die
rothe Gluth, welche schaurig um die Säulen und Wände deö Tempels spielt, be¬
leuchtet zahlreiche Scenen der Verzweiflung. Am Fuß einer Säule flüchten zwei
Kinder in den Schooß der Mutier, welche die vor Angst Vergehenden mit ihren
Armen umspannt, als konnten diese schwachen Wälle die geliebten Wesen schützen.
Die Scenen des Jammers setzen sich rechts bis in den Vorgrund und anch nach
links durch den Mittelgrund sort. Einen entsetzlichen Gegensatz zu der zuletzt ge¬
schilderten Gruppe bildet eine andere Mutter, welche ihren Säugling aus dem
Schooße hält und in der Rechten ein Messer. Es ist die Tochter Eleazar's. Die
Leichenblässe anhaltender Entbehrung bedeckt die Züge des noch jugendlichen Wei¬
bes, dessen irrer Sinn zu überlegen scheint, e>b es dem Kinde den Tod geben
soll, ob nicht. Will sie es erlösen von der Qual des Hungers? Will sie ^
gräßlicher Gedanke! Neben ihr kauern andere Weiber, ans deren verzerrten Zü-
gen die Qualen des Hungers spreche», deren eine die Zähne mit wilder Gier in
den eigene» Arm begräbt. Soll die Opferung des Kindes dazu dienen, das Lebe»
Anderer zu fristen? Der Künstler, welcher diese Scene mit richtigem Takte in
das Halbdunkel des Mittelgrundes legte, läßt uns über seine Intention in Zwei¬
fel, Aber wir dürfe» das Entsetzlichste ahnen. Denn im Worte des Prophet«-'"
hat der Herr verkündigt: „Ich werde sie essen lassen das Fleisch ihrer Söhne
und das Fleisch ihrer Tochter in der Belagerung und in der Angst, in welche
ihre Feinde, und die nach ihrem Leben stehen, sie bedrängen werden." — Rede»
dem Altar schleppt ein römischer Reiter eine händeringende Jungfrau mit sich f^'
Drei andere Jungfrauen drängen sich angstvoll zusammen, als könne ,sie diese
mcinschast der Angst erretten. Ihre Furcht gilt einem lüsternen Barbaren ans
dem feiiidlichcn Heere, der, in zottige Thierfelle gekleidet, über die Stufen des
Altars herabkommt, und in sinnlicher Begierde die Arme uach ihnen ausstreckt-
In einiger Verbindung mit dieser Gestalt steht die Haupt- und Mittelgruppe des
Vorgrundes, zu deren Betrachtung ich nun übergehe: der Hohepriester mit seinem
Weib und seinen beiden Söhnen. Das Interesse der Handlung, deren bewun-
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[0186] scheu Imperator gegenüber, erblicken wir vereinzelte Reste des geschlagenen jüdi¬ schen Heers. Simon und Johannes von Gischala, die Führer desselben, schauen voll, grimmigen Trotzes in das wilde Getümmel, das den Sieg des Feindes be¬ gleitet. Gruppen von Sterbenden umgeben sie, aber auch die gottlosen Flüche und Verwünschungen der Lebenden, welche in ihrer Verblendung die drohenden Fäuste gegen den Himmel erbeben und Gott anklagen, daß er sein Volk ver¬ lassen habe. In diesen Gestalten gewinnt der Abfall des neuern Geschlechts von dem alten Glauben der Väter, mit dem gleichzeitig die vom göttlichen Gebot abhängige und darum in sich selber unselbstständige Sittlichkeit zu Grunde ging, eine sinnlich malerische Erscheinung. Weiter zurück wüthet der Brand in den Räumen des Gebäudes, und die rothe Gluth, welche schaurig um die Säulen und Wände deö Tempels spielt, be¬ leuchtet zahlreiche Scenen der Verzweiflung. Am Fuß einer Säule flüchten zwei Kinder in den Schooß der Mutier, welche die vor Angst Vergehenden mit ihren Armen umspannt, als konnten diese schwachen Wälle die geliebten Wesen schützen. Die Scenen des Jammers setzen sich rechts bis in den Vorgrund und anch nach links durch den Mittelgrund sort. Einen entsetzlichen Gegensatz zu der zuletzt ge¬ schilderten Gruppe bildet eine andere Mutter, welche ihren Säugling aus dem Schooße hält und in der Rechten ein Messer. Es ist die Tochter Eleazar's. Die Leichenblässe anhaltender Entbehrung bedeckt die Züge des noch jugendlichen Wei¬ bes, dessen irrer Sinn zu überlegen scheint, e>b es dem Kinde den Tod geben soll, ob nicht. Will sie es erlösen von der Qual des Hungers? Will sie ^ gräßlicher Gedanke! Neben ihr kauern andere Weiber, ans deren verzerrten Zü- gen die Qualen des Hungers spreche», deren eine die Zähne mit wilder Gier in den eigene» Arm begräbt. Soll die Opferung des Kindes dazu dienen, das Lebe» Anderer zu fristen? Der Künstler, welcher diese Scene mit richtigem Takte in das Halbdunkel des Mittelgrundes legte, läßt uns über seine Intention in Zwei¬ fel, Aber wir dürfe» das Entsetzlichste ahnen. Denn im Worte des Prophet«-'" hat der Herr verkündigt: „Ich werde sie essen lassen das Fleisch ihrer Söhne und das Fleisch ihrer Tochter in der Belagerung und in der Angst, in welche ihre Feinde, und die nach ihrem Leben stehen, sie bedrängen werden." — Rede» dem Altar schleppt ein römischer Reiter eine händeringende Jungfrau mit sich f^' Drei andere Jungfrauen drängen sich angstvoll zusammen, als könne ,sie diese mcinschast der Angst erretten. Ihre Furcht gilt einem lüsternen Barbaren ans dem feiiidlichcn Heere, der, in zottige Thierfelle gekleidet, über die Stufen des Altars herabkommt, und in sinnlicher Begierde die Arme uach ihnen ausstreckt- In einiger Verbindung mit dieser Gestalt steht die Haupt- und Mittelgruppe des Vorgrundes, zu deren Betrachtung ich nun übergehe: der Hohepriester mit seinem Weib und seinen beiden Söhnen. Das Interesse der Handlung, deren bewun- dernswerthe Gliederung ringsumher bald in großen geschichtlichen Zügen, bald in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/186>, abgerufen am 23.07.2024.