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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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selben Stoff daher noch einmal in dem Romane la tu.mil! <Je An>N5u,r"im be¬
handelt. Die° alten Chroniken geben freilich nur die Färbung; der eigentliche
Inhalt stammt aus den Gewohnheiten des Pariser Ionriialistenlebens. Wenn der
politische Theil sehr langweilig ist, so kann man in dem novellistischen wenig¬
stens eine gewisse individuelle Wahrheit nicht verkennen, obgleich die Motive
zuweilen von einer inlglaiiblichen Rohheit und Geschmacklosigkeit zeugen, z. B. die
Art und Weise, wie der Herzog vou Guise seine Gemahlin bestimmt, ihren Ge¬
liebten zu einem Rendezvous zu bestelle", das sein Untergang werden soll. Er
preßt ihr nämlich mil seinem Eiseichandschnh so lange den Arm zusammen, bis
sie den Schmerz nicht länger ertragen kann, und sich seinem Willen unterwirft. --
Daß an ein ethisches Interesse in diesem Stück nicht zu denken ist, versteht sich
von, selbst. -- Diese Form der historischen Stücke, Haupt- und Staatsactionen
in Verbindung mit einer Liebesintrigue, ist seit der Zeit sehr häufig angewendet.
Das beste Stück dieser Art ist l^ uim'6ni^w ä'/Vuvru von Alfred de Vigny
(1831) welches seine Vorbilder bei weitem übertrifft. An sich ist das Genre
schvir darum verwerflich, weil es einen reinen Styl unmöglich macht.

Von größerem Interesse, als diese historischen Versuche, siud die Dramen,
in welchen Dumas die moderne Gesellschaft zum Gegenstand nimmt. Das erste
derselben, Auto my (1831), ist bei den Franzosen typisch geworden. Der Held
ist eine Copie von Lara und Nerv, doch wird sein Weltschmerz dadurch motivirt,
daß er als Findling der Welt gleichsam rechtlos gegenübersteht. Er hat, um
diesem Gefühl zu entgehen, Reisen in den Orient ze. gemacht, findet nach seiner
Rückkehr seine ehemalige Geliebte verheirathet, knüpft aus eine höchst abenteuer¬
liche Weise wieder ein Verhältniß mit ihr an, verfolgt sie, als sie demselben steh
durch die Flucht zu ihrem Manne entziehen will, in ein einsames Gasthaus, wo
er ihr direct oder indirect Gewalt anthut -- denn genau kaun man das nicht wisset
da mit seinem Eintritt in ihr Schlafzimmer der Vorhang fällt: ein Manöver,
welches Dumas in seinen Stücken ein Duzend Mal wiederholt hat -- und weiß
zuletzt, da sie in den Augen der Gesellschaft gebrandmarkt dasteht, und da auch
ihr Manu als Rächer herbeieile, nichts Besseres zu thun, als sie umzubringen, um
wenigstens nachträglich ihren Ruf zu retten, indem er vorgiebt, er habe sie ihres
Widerstands wegen umgebracht. -- Diesem wüsten Inhalt ist die Form angemessen-
Es herrscht eine Leidenschaftlichkeit darin, die zuweilen an das Viehische grenzt,
aber die Leidenschaft ist wahr und gefühlt, man glaubt darau und wird gefesselt.

Unskilled verhält es sich mit der Angole (1834). -- Das dazwischen lie¬
gende Stück Theresa (1832) ist mir unbekannt. -- Alle diese Stücke sind in
Prosa geschrieben. -- Der Inhalt giebt an Frechheit dem Antony nichts nach.
Die früheren Franzosen hatten zwar in ihren Romanen ohne alles Bedenken
die schlüpfrigsten und unsittlichsten Scenen ausgestellt, allein sie in dieser Nackt¬
heit aus das Theater zu bringen, war doch Niemand eingefallen. DaS Maximum,


selben Stoff daher noch einmal in dem Romane la tu.mil! <Je An>N5u,r«im be¬
handelt. Die° alten Chroniken geben freilich nur die Färbung; der eigentliche
Inhalt stammt aus den Gewohnheiten des Pariser Ionriialistenlebens. Wenn der
politische Theil sehr langweilig ist, so kann man in dem novellistischen wenig¬
stens eine gewisse individuelle Wahrheit nicht verkennen, obgleich die Motive
zuweilen von einer inlglaiiblichen Rohheit und Geschmacklosigkeit zeugen, z. B. die
Art und Weise, wie der Herzog vou Guise seine Gemahlin bestimmt, ihren Ge¬
liebten zu einem Rendezvous zu bestelle», das sein Untergang werden soll. Er
preßt ihr nämlich mil seinem Eiseichandschnh so lange den Arm zusammen, bis
sie den Schmerz nicht länger ertragen kann, und sich seinem Willen unterwirft. —
Daß an ein ethisches Interesse in diesem Stück nicht zu denken ist, versteht sich
von, selbst. — Diese Form der historischen Stücke, Haupt- und Staatsactionen
in Verbindung mit einer Liebesintrigue, ist seit der Zeit sehr häufig angewendet.
Das beste Stück dieser Art ist l^ uim'6ni^w ä'/Vuvru von Alfred de Vigny
(1831) welches seine Vorbilder bei weitem übertrifft. An sich ist das Genre
schvir darum verwerflich, weil es einen reinen Styl unmöglich macht.

Von größerem Interesse, als diese historischen Versuche, siud die Dramen,
in welchen Dumas die moderne Gesellschaft zum Gegenstand nimmt. Das erste
derselben, Auto my (1831), ist bei den Franzosen typisch geworden. Der Held
ist eine Copie von Lara und Nerv, doch wird sein Weltschmerz dadurch motivirt,
daß er als Findling der Welt gleichsam rechtlos gegenübersteht. Er hat, um
diesem Gefühl zu entgehen, Reisen in den Orient ze. gemacht, findet nach seiner
Rückkehr seine ehemalige Geliebte verheirathet, knüpft aus eine höchst abenteuer¬
liche Weise wieder ein Verhältniß mit ihr an, verfolgt sie, als sie demselben steh
durch die Flucht zu ihrem Manne entziehen will, in ein einsames Gasthaus, wo
er ihr direct oder indirect Gewalt anthut — denn genau kaun man das nicht wisset
da mit seinem Eintritt in ihr Schlafzimmer der Vorhang fällt: ein Manöver,
welches Dumas in seinen Stücken ein Duzend Mal wiederholt hat — und weiß
zuletzt, da sie in den Augen der Gesellschaft gebrandmarkt dasteht, und da auch
ihr Manu als Rächer herbeieile, nichts Besseres zu thun, als sie umzubringen, um
wenigstens nachträglich ihren Ruf zu retten, indem er vorgiebt, er habe sie ihres
Widerstands wegen umgebracht. — Diesem wüsten Inhalt ist die Form angemessen-
Es herrscht eine Leidenschaftlichkeit darin, die zuweilen an das Viehische grenzt,
aber die Leidenschaft ist wahr und gefühlt, man glaubt darau und wird gefesselt.

Unskilled verhält es sich mit der Angole (1834). — Das dazwischen lie¬
gende Stück Theresa (1832) ist mir unbekannt. — Alle diese Stücke sind in
Prosa geschrieben. — Der Inhalt giebt an Frechheit dem Antony nichts nach.
Die früheren Franzosen hatten zwar in ihren Romanen ohne alles Bedenken
die schlüpfrigsten und unsittlichsten Scenen ausgestellt, allein sie in dieser Nackt¬
heit aus das Theater zu bringen, war doch Niemand eingefallen. DaS Maximum,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/170>, abgerufen am 23.07.2024.