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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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in lebenslängliche Verbannung in die Nertschinsker Bergwerke "gemildert".
Wann er daselbst eintraf, ist unbekannt, man glaubt 1833. Er fand mehrere
seiner Landsleute vor, über die gleiche Strafe, doch nicht auf Lebenszeit, verfügt
worden war, und hatte sich, wol in Rücksicht auf seinen Rang und seine Bedeutung
-- auch der Feind achtet ja den tapfern Mann -- so wie auf geschwächte Ge¬
sundheit, einer Behandlung zu erfreuen, die man, in Betracht der Verhältnisse,
eine rücksichtsvolle nennen konnte. Allein die Knechtschaft, mag sie in noch so
leichter und milder Form auftreten, bleibt immer Knechtschaft, und hat für den
fühlenden und für die Freiheit glühenden Menschen immer etwas entwürdigendes;
das empfand auch Wysocki, besonders wenn er daran dachte, hier, fern vom hei߬
geliebten Vaterlande, sein Leben beschließen zu müssen. Er sann aus Mittel zur
Flucht, ungeachtet er wußte, wie äußerst schwierig eine solche sei, und welch
wachsames Auge die Behörden auf jeden Verbannten, vorzüglich auf denjenigen,
der sich politischer Verbrechen schuldig gemacht hat, haben. Er fand bald
einige Gesinnungsverwandtc, denen er sich eröffnete, und auch einen Eingebornen,
der, gewonnen dnrch reiche Belohnung, sich zum Führer hergeben wollte. Ju
einer vorher geuau besprochenen Stunde machten sich Nachts alle ans den Weg,
besiegten glücklich alle Hindernisse, und standen endlich im Freien. Dort erwartete
sie der Führer, der ihnen nochmals betheuerte, er werde sie an einen sichern Ort
geleiten, und dem sie daher willig folgten. Sie waren nicht weit gegangen, so
entfernte sich der Führer von ihnen, angeblich um zu crspüren, ob nirgend
Gefahr drohe, in Wahrheit jedoch, um geraden Wegs ins Amt zu laufen und
die Flüchtigen zu verrathen. Sofort wurde Lärm geschlagen, ein Theil der
Garnison eilte den Entflohenen nach und umzingelte den Platz, wo sie sich ^r"
steckt hielten. Zu spät erkannten die Unglücklichen, daß sie betrogen waren, doch
ihre verzweifelte Lage trieb sie zur Wehr, ungeachtet sie gänzlich waffenlos waren.
Sie versuchten sich durchzuschlagen, allein vergebens; sie wurden sämmtlich
sangen genommen und Wysocki noch außerdem verwundet. Er als der Radelö-
sichrer wurde, wenn ich uicht irre, zu Hieben verurtheilt, die Uebrigen zu
weniger. Von einem Russen und einstigen Geführte" Pertl'S, der von nere^
schiltst uach dem Tobolsker Gubernium versetzt worden war, um daselbst als
Kolonist zu leben, und welcher Augenzeuge war, wie die Strafe vollzogen wurde,
hörte ich, Wysocki sei so "umeuschlich getuutet worden, daß er unter den Streiche"
fast erlag, und für todt in's Lazarett) getragen wurde. Nachdem sein zerfieiM"
Körper wieder nothdürftig zugesellt, und seine Gesundheit etwas fester war, wurde
er noch tiefer ins Land, nach Akatuya, einer Festung, gebracht, die nur für ^u
Auswurf der Menschheit bestimmt, und wo die Behandlung natürlich M eine bonds
barbarische ist. Hier sperrte man ihn ins Zuchthaus, und ließ HÄ^so sthwcr
arbeiten, daß er oft ohnmächtig wurde und sichtlich verfiel. Der kampfeMMge
Soldat des Jahres 30 schwand zu einem finstern, wortkargen, in stetem Hinbrüten


in lebenslängliche Verbannung in die Nertschinsker Bergwerke „gemildert".
Wann er daselbst eintraf, ist unbekannt, man glaubt 1833. Er fand mehrere
seiner Landsleute vor, über die gleiche Strafe, doch nicht auf Lebenszeit, verfügt
worden war, und hatte sich, wol in Rücksicht auf seinen Rang und seine Bedeutung
— auch der Feind achtet ja den tapfern Mann — so wie auf geschwächte Ge¬
sundheit, einer Behandlung zu erfreuen, die man, in Betracht der Verhältnisse,
eine rücksichtsvolle nennen konnte. Allein die Knechtschaft, mag sie in noch so
leichter und milder Form auftreten, bleibt immer Knechtschaft, und hat für den
fühlenden und für die Freiheit glühenden Menschen immer etwas entwürdigendes;
das empfand auch Wysocki, besonders wenn er daran dachte, hier, fern vom hei߬
geliebten Vaterlande, sein Leben beschließen zu müssen. Er sann aus Mittel zur
Flucht, ungeachtet er wußte, wie äußerst schwierig eine solche sei, und welch
wachsames Auge die Behörden auf jeden Verbannten, vorzüglich auf denjenigen,
der sich politischer Verbrechen schuldig gemacht hat, haben. Er fand bald
einige Gesinnungsverwandtc, denen er sich eröffnete, und auch einen Eingebornen,
der, gewonnen dnrch reiche Belohnung, sich zum Führer hergeben wollte. Ju
einer vorher geuau besprochenen Stunde machten sich Nachts alle ans den Weg,
besiegten glücklich alle Hindernisse, und standen endlich im Freien. Dort erwartete
sie der Führer, der ihnen nochmals betheuerte, er werde sie an einen sichern Ort
geleiten, und dem sie daher willig folgten. Sie waren nicht weit gegangen, so
entfernte sich der Führer von ihnen, angeblich um zu crspüren, ob nirgend
Gefahr drohe, in Wahrheit jedoch, um geraden Wegs ins Amt zu laufen und
die Flüchtigen zu verrathen. Sofort wurde Lärm geschlagen, ein Theil der
Garnison eilte den Entflohenen nach und umzingelte den Platz, wo sie sich ^r"
steckt hielten. Zu spät erkannten die Unglücklichen, daß sie betrogen waren, doch
ihre verzweifelte Lage trieb sie zur Wehr, ungeachtet sie gänzlich waffenlos waren.
Sie versuchten sich durchzuschlagen, allein vergebens; sie wurden sämmtlich
sangen genommen und Wysocki noch außerdem verwundet. Er als der Radelö-
sichrer wurde, wenn ich uicht irre, zu Hieben verurtheilt, die Uebrigen zu
weniger. Von einem Russen und einstigen Geführte» Pertl'S, der von nere^
schiltst uach dem Tobolsker Gubernium versetzt worden war, um daselbst als
Kolonist zu leben, und welcher Augenzeuge war, wie die Strafe vollzogen wurde,
hörte ich, Wysocki sei so »umeuschlich getuutet worden, daß er unter den Streiche»
fast erlag, und für todt in's Lazarett) getragen wurde. Nachdem sein zerfieiM"
Körper wieder nothdürftig zugesellt, und seine Gesundheit etwas fester war, wurde
er noch tiefer ins Land, nach Akatuya, einer Festung, gebracht, die nur für ^u
Auswurf der Menschheit bestimmt, und wo die Behandlung natürlich M eine bonds
barbarische ist. Hier sperrte man ihn ins Zuchthaus, und ließ HÄ^so sthwcr
arbeiten, daß er oft ohnmächtig wurde und sichtlich verfiel. Der kampfeMMge
Soldat des Jahres 30 schwand zu einem finstern, wortkargen, in stetem Hinbrüten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/128>, abgerufen am 23.07.2024.