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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Cin kurzes Vorwort zum neuen Semester.

In der Regel enthalten wir uns aller einleitenden Bemerkungen, da wir der
Ansicht sind, daß anch die Principien sich besser in der concreten Durcharbeitung
des Einzelnen, als in vornehmer doctrinaircr Trennung von demselben darstellen
lassen. Von Zeit zu Zeit aber möge man uns gestatten, die Aufmerksamkeit un¬
srer Leser auf unsre Gesammtthätigkcit zu lenken, uicht um in Beziehung daraus
etwas Neues zu entwickeln, sondern nur um sie darau zu erinnern, über dem
Einzelnen nicht das Allgemeine zu vergessen. Der Grund, warum wir dies¬
mal einen solchen Ruhepunkt zu gewinnen suchen, ist folgender.

Wir haben einen ziemlich ausgedehnten Leserkreis gewonnen, der unsern kritischen
Bestrebungen mit freundlicher und. aufmerksamer Theilnahme folgt. Ein nicht ge¬
ringer Theil desselben aber, der sich unsern Urtheilen in Beziehung auf Kunst,
Religion, Poesie und Aehnliches anschließt, steht in der Politik noch immer auf
einem sehr verschiedenen Boden. Es sind gerade unter den gebildetem Anhän¬
gern der demokratischen Partei so Manche, die es bedauern, in einer der wich¬
tigsten Lebensfragen uns vollständig aufgeben zu müssen, während sie doch im
Uebrigen gerade in deu Principien uns Beifall schenken. An diese wollen wir
uns hier zunächst werden, uicht etwa, um sie zu bekehren, sondern nur, um sie
darauf aufmerksam zu machen, daß unsre politische Ansicht genau auf denselben
Grundsätzen beruht, wie unsre ästhetische und unsre religiöse.

Damit wollen wir keineswegs gesagt haben, daß wir allen unsern einzelnen
Urtheilen in politischen Dingen dieselbe unbedingte Nichtigkeit zuschreiben wollen,
die wir ihnen in dem Augenblicke zuschreiben mußten, wo wir sie aussprachen.
Wer, wie wir, seine politischen Ueberzeugungen, seine Hoffnungen, Wünsche und
Ideale nicht ans einer abgeschlossenen, gegen das Concrete und Wirkliche gleich-
giltigen, infalliblen Theorie nimmt, sondern sie aus der unbefangenen Anschauung
der wirklichen Zustände und aus der Berechnung der sich in ihnen mit Nothwen¬
digkeit ergebenden Combinationen herzuleiten sucht, der wird zugestehen müssen,


Grenzboten, UI. >8!U, 1
Cin kurzes Vorwort zum neuen Semester.

In der Regel enthalten wir uns aller einleitenden Bemerkungen, da wir der
Ansicht sind, daß anch die Principien sich besser in der concreten Durcharbeitung
des Einzelnen, als in vornehmer doctrinaircr Trennung von demselben darstellen
lassen. Von Zeit zu Zeit aber möge man uns gestatten, die Aufmerksamkeit un¬
srer Leser auf unsre Gesammtthätigkcit zu lenken, uicht um in Beziehung daraus
etwas Neues zu entwickeln, sondern nur um sie darau zu erinnern, über dem
Einzelnen nicht das Allgemeine zu vergessen. Der Grund, warum wir dies¬
mal einen solchen Ruhepunkt zu gewinnen suchen, ist folgender.

Wir haben einen ziemlich ausgedehnten Leserkreis gewonnen, der unsern kritischen
Bestrebungen mit freundlicher und. aufmerksamer Theilnahme folgt. Ein nicht ge¬
ringer Theil desselben aber, der sich unsern Urtheilen in Beziehung auf Kunst,
Religion, Poesie und Aehnliches anschließt, steht in der Politik noch immer auf
einem sehr verschiedenen Boden. Es sind gerade unter den gebildetem Anhän¬
gern der demokratischen Partei so Manche, die es bedauern, in einer der wich¬
tigsten Lebensfragen uns vollständig aufgeben zu müssen, während sie doch im
Uebrigen gerade in deu Principien uns Beifall schenken. An diese wollen wir
uns hier zunächst werden, uicht etwa, um sie zu bekehren, sondern nur, um sie
darauf aufmerksam zu machen, daß unsre politische Ansicht genau auf denselben
Grundsätzen beruht, wie unsre ästhetische und unsre religiöse.

Damit wollen wir keineswegs gesagt haben, daß wir allen unsern einzelnen
Urtheilen in politischen Dingen dieselbe unbedingte Nichtigkeit zuschreiben wollen,
die wir ihnen in dem Augenblicke zuschreiben mußten, wo wir sie aussprachen.
Wer, wie wir, seine politischen Ueberzeugungen, seine Hoffnungen, Wünsche und
Ideale nicht ans einer abgeschlossenen, gegen das Concrete und Wirkliche gleich-
giltigen, infalliblen Theorie nimmt, sondern sie aus der unbefangenen Anschauung
der wirklichen Zustände und aus der Berechnung der sich in ihnen mit Nothwen¬
digkeit ergebenden Combinationen herzuleiten sucht, der wird zugestehen müssen,


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[0009] Cin kurzes Vorwort zum neuen Semester. In der Regel enthalten wir uns aller einleitenden Bemerkungen, da wir der Ansicht sind, daß anch die Principien sich besser in der concreten Durcharbeitung des Einzelnen, als in vornehmer doctrinaircr Trennung von demselben darstellen lassen. Von Zeit zu Zeit aber möge man uns gestatten, die Aufmerksamkeit un¬ srer Leser auf unsre Gesammtthätigkcit zu lenken, uicht um in Beziehung daraus etwas Neues zu entwickeln, sondern nur um sie darau zu erinnern, über dem Einzelnen nicht das Allgemeine zu vergessen. Der Grund, warum wir dies¬ mal einen solchen Ruhepunkt zu gewinnen suchen, ist folgender. Wir haben einen ziemlich ausgedehnten Leserkreis gewonnen, der unsern kritischen Bestrebungen mit freundlicher und. aufmerksamer Theilnahme folgt. Ein nicht ge¬ ringer Theil desselben aber, der sich unsern Urtheilen in Beziehung auf Kunst, Religion, Poesie und Aehnliches anschließt, steht in der Politik noch immer auf einem sehr verschiedenen Boden. Es sind gerade unter den gebildetem Anhän¬ gern der demokratischen Partei so Manche, die es bedauern, in einer der wich¬ tigsten Lebensfragen uns vollständig aufgeben zu müssen, während sie doch im Uebrigen gerade in deu Principien uns Beifall schenken. An diese wollen wir uns hier zunächst werden, uicht etwa, um sie zu bekehren, sondern nur, um sie darauf aufmerksam zu machen, daß unsre politische Ansicht genau auf denselben Grundsätzen beruht, wie unsre ästhetische und unsre religiöse. Damit wollen wir keineswegs gesagt haben, daß wir allen unsern einzelnen Urtheilen in politischen Dingen dieselbe unbedingte Nichtigkeit zuschreiben wollen, die wir ihnen in dem Augenblicke zuschreiben mußten, wo wir sie aussprachen. Wer, wie wir, seine politischen Ueberzeugungen, seine Hoffnungen, Wünsche und Ideale nicht ans einer abgeschlossenen, gegen das Concrete und Wirkliche gleich- giltigen, infalliblen Theorie nimmt, sondern sie aus der unbefangenen Anschauung der wirklichen Zustände und aus der Berechnung der sich in ihnen mit Nothwen¬ digkeit ergebenden Combinationen herzuleiten sucht, der wird zugestehen müssen, Grenzboten, UI. >8!U, 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/9>, abgerufen am 30.06.2024.