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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Allerdings ist seine Virtuosität in der Handhabung der Sprache, des MetrnmS
und des Reims bewundernswürdig. Er spielt mit dem Alexandriner, in dem die
Deutschen früher nnr das steife, pedantische Wesen gesehen hatten, mit derselben
Leichtigkeit und Sicherheit, wie mit der Ottave, dem Sonett und andern Itali¬
enischen Weisen. Diese Virtuosität verführt ihn sogar, wie die herumreisenden
Geiger und Klavierspieler, sich unnöthige Schwierigkeiten zu schaffen, deren
Ueberwindung mehr die technische Fertigkeit, als den guten Geschmack verräth.
Er bewegt sich mit großer Vorliebe in unerhörten und gewaltsamen Neunen,
die dem Ohr zwar keinen besonders angenehmen Eindruck machen, die aber doch
durch die Leichtigkeit imponiren, mit der er ihrer Herr wird, und es ist nicht
zu läugnen, daß wenigstens ein Theil seines Erfolgs diesem Virtuosenthum zuge¬
schrieben werden muß. Ich kenne nur einen Dichter, dessen Technik ihm an die
Seite zu stellen ist, und dessen Beispiel ans ihn den größten Einfluß ausgeübt hat:
Victor Hugo. Freiligrath hat auch noch ein zweites Talent: er weiß wenigstens an
einzelnen Stellen die poetische Empfindung in das angemessene Bild zu übersetzen,
und einzelne Strophen, z. B. in seinem bekannten Gedichte: "Der Löwenritt",
sind darin unvergleichlich, während die übrigen Strophen auf leere Reimereien
herauskommen. Bei einem lyrischen Gedicht ist es aber erforderlich, daß es in
seiner Totalität einen befriedigenden, melodischen Eindruck macht; das verkennen
unsre modernen Lyriker und ihre Verehrer.

Aber eben so wie Victor Hugo fehlt ihm die Hauptsache, die den lyrischen
Dichter macht. Die Sprache hat für ihn keine Schwierigkeiten, er kann Alles
sagen, was er will und wie er es will, aber -- er hat Nichts zu sagen. Er
hat niemals in sein eigenes Innere geblickt, niemals mit theilnehmender Aufmerk¬
samkeit das Herz der Meuscheu durchforscht. Das Herz ist aber der einzige Ge¬
genstand der lyrischen Poesie, und alles Uebrige, Natur, Kunst, Politik u. s. w.
nur, insofern es sich im Herzen wiederspiegelt. Ich fordere aber die Verehrer
Freiligrath's ans, irgend eines seiner Gedichte nachzuweisen, in welchem eine
neue Saite des Herzens entdeckt und mit überwältigender Kraft angeschlagen
wäre. Aus diesem Mangel ist es auch zu erklären, daß selbst seine Naturbilder
nie jene Unmittelbarkeit und jene innere Harmonie zeigen, welche allein im Stande
ist, das seelenlose in den Kreis der Poesie einzuführen. Seine vereinzelten,
zum Theil glücklichen Anschauungen gestalten sich nie zu einer vollkommen reinen,
abgerundeten Stimmung, nie zu einer klaren, melodisch empfundenen Geschichte,
seine Balladen sind fast alle ohne Pointe, und in seinen beschreibenden Gedichten
kann mau die Strophen beliebig durch einander mischen, ohne daß der Eindruck
geschwächt wird. Diese Neflexionspoeste, die sich der Natur und dem Herzen
entzieht, kann nur durch Eins gerechtfertigt werden, durch die tiefen Gedanken
und durch die sittliche Energie, wie sie Schiller'S didaktischen Gedichte auszeichnet.
Von beiden ist bei Freiligrath keine Spur.


Allerdings ist seine Virtuosität in der Handhabung der Sprache, des MetrnmS
und des Reims bewundernswürdig. Er spielt mit dem Alexandriner, in dem die
Deutschen früher nnr das steife, pedantische Wesen gesehen hatten, mit derselben
Leichtigkeit und Sicherheit, wie mit der Ottave, dem Sonett und andern Itali¬
enischen Weisen. Diese Virtuosität verführt ihn sogar, wie die herumreisenden
Geiger und Klavierspieler, sich unnöthige Schwierigkeiten zu schaffen, deren
Ueberwindung mehr die technische Fertigkeit, als den guten Geschmack verräth.
Er bewegt sich mit großer Vorliebe in unerhörten und gewaltsamen Neunen,
die dem Ohr zwar keinen besonders angenehmen Eindruck machen, die aber doch
durch die Leichtigkeit imponiren, mit der er ihrer Herr wird, und es ist nicht
zu läugnen, daß wenigstens ein Theil seines Erfolgs diesem Virtuosenthum zuge¬
schrieben werden muß. Ich kenne nur einen Dichter, dessen Technik ihm an die
Seite zu stellen ist, und dessen Beispiel ans ihn den größten Einfluß ausgeübt hat:
Victor Hugo. Freiligrath hat auch noch ein zweites Talent: er weiß wenigstens an
einzelnen Stellen die poetische Empfindung in das angemessene Bild zu übersetzen,
und einzelne Strophen, z. B. in seinem bekannten Gedichte: „Der Löwenritt",
sind darin unvergleichlich, während die übrigen Strophen auf leere Reimereien
herauskommen. Bei einem lyrischen Gedicht ist es aber erforderlich, daß es in
seiner Totalität einen befriedigenden, melodischen Eindruck macht; das verkennen
unsre modernen Lyriker und ihre Verehrer.

Aber eben so wie Victor Hugo fehlt ihm die Hauptsache, die den lyrischen
Dichter macht. Die Sprache hat für ihn keine Schwierigkeiten, er kann Alles
sagen, was er will und wie er es will, aber — er hat Nichts zu sagen. Er
hat niemals in sein eigenes Innere geblickt, niemals mit theilnehmender Aufmerk¬
samkeit das Herz der Meuscheu durchforscht. Das Herz ist aber der einzige Ge¬
genstand der lyrischen Poesie, und alles Uebrige, Natur, Kunst, Politik u. s. w.
nur, insofern es sich im Herzen wiederspiegelt. Ich fordere aber die Verehrer
Freiligrath's ans, irgend eines seiner Gedichte nachzuweisen, in welchem eine
neue Saite des Herzens entdeckt und mit überwältigender Kraft angeschlagen
wäre. Aus diesem Mangel ist es auch zu erklären, daß selbst seine Naturbilder
nie jene Unmittelbarkeit und jene innere Harmonie zeigen, welche allein im Stande
ist, das seelenlose in den Kreis der Poesie einzuführen. Seine vereinzelten,
zum Theil glücklichen Anschauungen gestalten sich nie zu einer vollkommen reinen,
abgerundeten Stimmung, nie zu einer klaren, melodisch empfundenen Geschichte,
seine Balladen sind fast alle ohne Pointe, und in seinen beschreibenden Gedichten
kann mau die Strophen beliebig durch einander mischen, ohne daß der Eindruck
geschwächt wird. Diese Neflexionspoeste, die sich der Natur und dem Herzen
entzieht, kann nur durch Eins gerechtfertigt werden, durch die tiefen Gedanken
und durch die sittliche Energie, wie sie Schiller'S didaktischen Gedichte auszeichnet.
Von beiden ist bei Freiligrath keine Spur.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/64>, abgerufen am 26.08.2024.