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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Engländer fingen es zuerst praktisch an. Der Robinson von de Foe, der in die
ersten Jahre des vorigen Jahrhunderts fällt (1719), ist gleichsam das Evange¬
lium für die spätern Doctrinen Rousseau's. Die Reisebeschreibungen, die uns
die wilden Völkerschaften der verschiedensten Zonen als Exempel von Unschuld
oder von jenem in unserm Zeitalter verloren gegangenen Heroismus darstellten,
folgten sich in gedrängter Reihe. Ich erinnere mich namentlich, daß jenes Hotten-
tvttische Idyll, mit welchem Levaillant das Pariser Publicum erbaute, noch zu
Ende der zwanziger Jahre in der Campe'schen Bearbeitung eine Liebliugslecture un¬
srer Deutschen Jugend war. Später kam der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg
und die Theilnahme der Französischen Officiere dazu, der Sehnsucht der alten
Welt eine bestimmte Richtung zu geben, und ihre ethischen Freiheitsideen mit den
gemüthlichen Vorstellungen waldnrsprünglicher Unschuld zu verschmelzen. Man
war geneigt, die harten, nüchternen und prosaischen Ansiedler, welche sich von dem
Einfluß der Engländer frei gemacht, mit den von ihnen unterdrückten Indianern
zu verwechseln. Herr v. Chateaubriand brachte von seinen Reisen nach dem Ur¬
wald jene überzuckerten Jndianerbildcr zurück, die damals die fashionable Welt
in Entzücken versetzten, obgleich wir uns heute kaum mehr den Grund dieses
Entzückens erklären können, wenn es nicht in einzelnen poetisch ausgeführten Land-
schaftsschildcrnngcn gelegen hat. Denn die wilde Natur, die er darzustellen unter¬
nimmt, ist eine noch viel ärgere historische und psychologische Lüge, als Macpher-
son's Ossiauische Gesichte, und sie ist neben ihrer Unwahrheit anch unschön.
Eben so willkürlich und rasstnirt wie sein Chaktas und seine Atala ist die geistige
Macht, die er ihnen gegenüberstellt, das Christenthum, die gegeustaudlose, ab-
stracte Liebe mit Reminiscenzen aus der orientalischen Märchenwelt. Chateau¬
briand blieb in diesen Naturstudien sogar weit hinter seinem nächsten Vorbilde,
Bernardin de Se. Pierre, zurück; denn wenn die Schilderungen des Letztern
auch nicht viel plastisches Leben enthalten, so athmen sie doch ein tiefes, inniges
und wahres Gefühl, während die Empfindsamkeit des Erstem zu deutlich den
Stempel des Gemachtem an sich trägt.

An Chateaubriand müssen wir Cooper zunächst anknüpfen, um die Sympa¬
thien seines Publicums zu begreifen, obgleich ein Einfluß des Einen ans den
Andern wol nicht stattgefunden hat. In der Form des Romans lehnte
sich Cooper vielmehr an Walter Scott, und zwar so weit, daß er anch seine
Fehler nachahmte, z. B. die breite Ausführung des Dialogs, ohne jene Würze
des Humors, die bei Walter Scott die Ermüdung abwehrt.

Coopers erster Roman, "der Spion", erschien 1821, 19 Jahre nach der
Atala, 7 Jahre nach dem Waverley. Er war 1789 geboren, und schon in seinem
16. Jahre zur See gegangen. Nach Herausgabe einer ganzen Reihe von Ro¬
manen, unter denen "die Ansiedler am Susquehanna", 1822, der "Lootse", 1823,
"der letzte Mohikaner", 1826, die bedeutendsten waren, machte er seine große Tour


Engländer fingen es zuerst praktisch an. Der Robinson von de Foe, der in die
ersten Jahre des vorigen Jahrhunderts fällt (1719), ist gleichsam das Evange¬
lium für die spätern Doctrinen Rousseau's. Die Reisebeschreibungen, die uns
die wilden Völkerschaften der verschiedensten Zonen als Exempel von Unschuld
oder von jenem in unserm Zeitalter verloren gegangenen Heroismus darstellten,
folgten sich in gedrängter Reihe. Ich erinnere mich namentlich, daß jenes Hotten-
tvttische Idyll, mit welchem Levaillant das Pariser Publicum erbaute, noch zu
Ende der zwanziger Jahre in der Campe'schen Bearbeitung eine Liebliugslecture un¬
srer Deutschen Jugend war. Später kam der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg
und die Theilnahme der Französischen Officiere dazu, der Sehnsucht der alten
Welt eine bestimmte Richtung zu geben, und ihre ethischen Freiheitsideen mit den
gemüthlichen Vorstellungen waldnrsprünglicher Unschuld zu verschmelzen. Man
war geneigt, die harten, nüchternen und prosaischen Ansiedler, welche sich von dem
Einfluß der Engländer frei gemacht, mit den von ihnen unterdrückten Indianern
zu verwechseln. Herr v. Chateaubriand brachte von seinen Reisen nach dem Ur¬
wald jene überzuckerten Jndianerbildcr zurück, die damals die fashionable Welt
in Entzücken versetzten, obgleich wir uns heute kaum mehr den Grund dieses
Entzückens erklären können, wenn es nicht in einzelnen poetisch ausgeführten Land-
schaftsschildcrnngcn gelegen hat. Denn die wilde Natur, die er darzustellen unter¬
nimmt, ist eine noch viel ärgere historische und psychologische Lüge, als Macpher-
son's Ossiauische Gesichte, und sie ist neben ihrer Unwahrheit anch unschön.
Eben so willkürlich und rasstnirt wie sein Chaktas und seine Atala ist die geistige
Macht, die er ihnen gegenüberstellt, das Christenthum, die gegeustaudlose, ab-
stracte Liebe mit Reminiscenzen aus der orientalischen Märchenwelt. Chateau¬
briand blieb in diesen Naturstudien sogar weit hinter seinem nächsten Vorbilde,
Bernardin de Se. Pierre, zurück; denn wenn die Schilderungen des Letztern
auch nicht viel plastisches Leben enthalten, so athmen sie doch ein tiefes, inniges
und wahres Gefühl, während die Empfindsamkeit des Erstem zu deutlich den
Stempel des Gemachtem an sich trägt.

An Chateaubriand müssen wir Cooper zunächst anknüpfen, um die Sympa¬
thien seines Publicums zu begreifen, obgleich ein Einfluß des Einen ans den
Andern wol nicht stattgefunden hat. In der Form des Romans lehnte
sich Cooper vielmehr an Walter Scott, und zwar so weit, daß er anch seine
Fehler nachahmte, z. B. die breite Ausführung des Dialogs, ohne jene Würze
des Humors, die bei Walter Scott die Ermüdung abwehrt.

Coopers erster Roman, „der Spion", erschien 1821, 19 Jahre nach der
Atala, 7 Jahre nach dem Waverley. Er war 1789 geboren, und schon in seinem
16. Jahre zur See gegangen. Nach Herausgabe einer ganzen Reihe von Ro¬
manen, unter denen „die Ansiedler am Susquehanna", 1822, der „Lootse", 1823,
„der letzte Mohikaner", 1826, die bedeutendsten waren, machte er seine große Tour


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/50>, abgerufen am 30.06.2024.