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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Schäfte in den blauen Himmel hinein erheben; zur andern Seite erstreckt sich
bergab und über die Ebene hiu eine neue, im Werden begriffene Stadt, roth¬
gedeckte, zerstreute, durch Gärten und Brachfeld von einander geschiedene Hänser:
dies die Ansicht von Belgrad, wie sie sich den von Semlin Hinüberschiffcnden
darbietet. Eine Geschichte, die ihre letzte" Capitel abzuspielen im Begriff ist --
die Geschichte des Welt erobernden Stammes der Osmanen -- und eine Geschichte,
die eben erst anfängt in den Kreis der Weltereignisse zu treten, berühren hier
einander. Man sieht es Belgrad an, daß man eine Stadt vor sich habe, in der
sich Absterben nud Neuauflcben, Niedergang und Aufgang, Vergangenheit n"d
Zukunft berühren. Man sieht die Herrschaft des Halbmondes aufhören und die
des Christenthums wieder beginnen." --

Am Abend komMt der Reisende mit Emigranten aus allen möglichen Gegen¬
den zusammen, die meistens in Ungarn gedient haben. Ein Anhänger Kossuth's spricht
sich über Görgey ans. "Ich halte ihn sür einen Starren, und zwar für einen
Narren der schrecklichsten Art, weil mit Geschick begabt; für einen Narren, der
der da sagt, ich will Tragödie spielen, und eine Fratze reißt. Ja, ich halte ihn
nicht einmal für ehrgeizig, höchstens für eifersüchtig; und hat er einen Ehrgeiz, w
ist es der ans Alcibiades' Flegeljahren, der das, was- alle Welt bewundert, ver¬
stümmelt, damit man von ihm rede!" - Ans ähnliche Weise wird anmuthig fort¬
geplaudert, und hin und wieder eine recht treffende Bemerkung gemacht.

Am andern Morgen wird der Reifende durch ein Geräusch an der Stuben-
thür seines Wirthshauses aufgestört. "Es war der "Knecht des Hau.ses," der sein
pfiffiges, bis auf einen dünnen Schnurrbart glattrasirtes Antlitz zwischen ScA'ß
und Pfosten hereinsteckte. "Darf ich?" fragte er, da ich mich gegen das Innere
der Stube wandte. "Was willst Du dürfen?" fragte ich Serbisch. "Knurren
helfen, Haljina --" deu Nest des Satzes ergänzte Stewa durch die Mimik des
Klcideranziehens -- "und dann -- tummelt bitten -- machen -- pank Dich
Groznitza." Ich gestehe, daß ich nicht sogleich das seltsame Deutsch meines
vis-K-vis zu enträthseln vermochte. Ich erbat mir daher in einer ziemlich wohl-
gesetzten serbischen Rede einige Erläuterungen., Stewa aber fand sich nicht be¬
müßigt, mir solche in seiner Muttersprache zu geben, sondern glaubte sich "ach
Voraussendung einigen, keineswegs der Mimik Engels entlehnten Geberdenspiels
fortan in Deutscher Sprache folgendermaßen expliciren zu sollen: "Groznitza
packen mich, AospcxZwk, anf Tag nicht, auf Tag ja, aus Tag nicht, auf Tag
ja. Erst Winter, dann Summer, aber trinken alleweil. Ganzen Jahr essen
Mclezin Doctor Eins -- nix gut! Trinken Pulver Doctor Zwei, Doctor sage",
marsch Groznitza; Groznitza nix marsch!" Mit dieser Expectoration schien aber Stewa
wirklich Alles, was ihm an Deutscher Sprachkennniß zu Gebote stand, erschöpft Z"
haben. Wenigstens trocknete er sich mit seinen Beinkleidern den Schweiß von der
Stirn, was den verehrten Lesern gar nicht so außerordentlich erscheinen wird, wenn sie


Schäfte in den blauen Himmel hinein erheben; zur andern Seite erstreckt sich
bergab und über die Ebene hiu eine neue, im Werden begriffene Stadt, roth¬
gedeckte, zerstreute, durch Gärten und Brachfeld von einander geschiedene Hänser:
dies die Ansicht von Belgrad, wie sie sich den von Semlin Hinüberschiffcnden
darbietet. Eine Geschichte, die ihre letzte» Capitel abzuspielen im Begriff ist —
die Geschichte des Welt erobernden Stammes der Osmanen — und eine Geschichte,
die eben erst anfängt in den Kreis der Weltereignisse zu treten, berühren hier
einander. Man sieht es Belgrad an, daß man eine Stadt vor sich habe, in der
sich Absterben nud Neuauflcben, Niedergang und Aufgang, Vergangenheit n»d
Zukunft berühren. Man sieht die Herrschaft des Halbmondes aufhören und die
des Christenthums wieder beginnen." —

Am Abend komMt der Reisende mit Emigranten aus allen möglichen Gegen¬
den zusammen, die meistens in Ungarn gedient haben. Ein Anhänger Kossuth's spricht
sich über Görgey ans. „Ich halte ihn sür einen Starren, und zwar für einen
Narren der schrecklichsten Art, weil mit Geschick begabt; für einen Narren, der
der da sagt, ich will Tragödie spielen, und eine Fratze reißt. Ja, ich halte ihn
nicht einmal für ehrgeizig, höchstens für eifersüchtig; und hat er einen Ehrgeiz, w
ist es der ans Alcibiades' Flegeljahren, der das, was- alle Welt bewundert, ver¬
stümmelt, damit man von ihm rede!" - Ans ähnliche Weise wird anmuthig fort¬
geplaudert, und hin und wieder eine recht treffende Bemerkung gemacht.

Am andern Morgen wird der Reifende durch ein Geräusch an der Stuben-
thür seines Wirthshauses aufgestört. „Es war der „Knecht des Hau.ses," der sein
pfiffiges, bis auf einen dünnen Schnurrbart glattrasirtes Antlitz zwischen ScA'ß
und Pfosten hereinsteckte. „Darf ich?" fragte er, da ich mich gegen das Innere
der Stube wandte. „Was willst Du dürfen?" fragte ich Serbisch. „Knurren
helfen, Haljina —" deu Nest des Satzes ergänzte Stewa durch die Mimik des
Klcideranziehens — „und dann — tummelt bitten — machen — pank Dich
Groznitza." Ich gestehe, daß ich nicht sogleich das seltsame Deutsch meines
vis-K-vis zu enträthseln vermochte. Ich erbat mir daher in einer ziemlich wohl-
gesetzten serbischen Rede einige Erläuterungen., Stewa aber fand sich nicht be¬
müßigt, mir solche in seiner Muttersprache zu geben, sondern glaubte sich »ach
Voraussendung einigen, keineswegs der Mimik Engels entlehnten Geberdenspiels
fortan in Deutscher Sprache folgendermaßen expliciren zu sollen: „Groznitza
packen mich, AospcxZwk, anf Tag nicht, auf Tag ja, aus Tag nicht, auf Tag
ja. Erst Winter, dann Summer, aber trinken alleweil. Ganzen Jahr essen
Mclezin Doctor Eins — nix gut! Trinken Pulver Doctor Zwei, Doctor sage»,
marsch Groznitza; Groznitza nix marsch!" Mit dieser Expectoration schien aber Stewa
wirklich Alles, was ihm an Deutscher Sprachkennniß zu Gebote stand, erschöpft Z»
haben. Wenigstens trocknete er sich mit seinen Beinkleidern den Schweiß von der
Stirn, was den verehrten Lesern gar nicht so außerordentlich erscheinen wird, wenn sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/478>, abgerufen am 02.07.2024.